Oerlinghausen

Elke D. in den Mühlen der Justiz

Gegen den Vater des Kindes von Elke D. ermittelt das Landeskriminalamt wegen des Verdachts auf sexuellen Kindesmissbrauch. Trotzdem soll Elke D. ihm das Kind bringen.

Die Göttin Justitia mit Augenbinde, um ohne Ansehen der Person entscheiden zu können, mit der Waage der Gleichheit und dem Schwert der Gerechtigkeit. Die Justiz soll immer unvoreingenommen entscheiden. Die Anwälte von Elke D. bezweifeln, ob diese Prämisse beim Familiengericht in Detmold noch gilt. Foto: Pixabay | © Pixabay

Gunter Held
23.02.2022 | 23.02.2022, 16:26

Oerlinghausen. Ihren Glauben an die Justiz hat Elke D. (Name geändert) fast verloren. Seit mehr als drei Jahren kämpft die Mutter aus Oerlinghausen um ihr Kind. Einmal hat sie bisher recht bekommen. Die Inobhutnahme ihres Kindes im August 2019 war rechtswidrig, stellte das Verwaltungsgericht Minden im November 2021 fest (NW berichtete). Damit ist belegt, dass die Mitarbeiter des Jugendamtes Lippe, Elke D. das Kind nicht haben wegnehmen dürfen. Die Mitarbeiter des Jugendamtes haben sich nach der Lektüre eines vom Familiengericht Detmold in Auftrag gegebenen Gutachtens zu dieser widerrechtlichen Aktion entschlossen. Ohne eine Anordnung des Familiengerichts.

Die mit dem Fall des Kindes von Elke D. betraute Mitarbeiterin des Jugendamtes Lippe, Anna H., (Name der Red. bekannt) sagte vor dem Verwaltungsgericht Minden, dass es ein Telefonat mit dem Familiengericht gegeben habe, in dem dem Jugendamt die Entscheidung über eine Inobhutnahme überlassen worden sei. Eine schriftliche Bestätigung oder ein Gesprächsprotokoll über diesen härtesten Akt, den ein Jugendamt gegenüber einer Familie vollziehen kann, gibt es nicht. Auch war es der Neuen Westfälischen nicht möglich, mit der Richterin beim Familiengericht zu sprechen. „Laufende Verhandlungen kommentieren wir nicht“, sagte Wolfram Wormuth, Pressesprecher des Landgerichts Detmold.

Mittlerweile hat sich die Lage von Elke D. und ihrem Kind dramatisch zugespitzt. Ende Dezember wandte sich Sonja Howard, langjähriges Mitglied im Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs beim Bundesfamilienministerium, und mit dem Fall der Elke D. vertraut, an das Landeskriminalamt (LKA). Das LKA hat das im Juli 2019 von der Staatsanwaltschaft Detmold eingestellte Ermittlungsverfahren gegen den Kindesvater wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch geprüft und von Amts wegen wieder aufgenommen. D.s Rechtsanwalt, Christian Laue, Professor am Institut für Kriminologie an der Universität Heidelberg, sagt dazu: „Ein möglicher sexueller Missbrauch durch den Kindesvater ist naturgemäß für die Kindesmutter ein wichtiges und den Blick auf das Wohlergehen des Kindes dominierendes Thema.“

In Absprache mit ihren Anwälten taucht Elke D. ab

Auch das Detmolder Familiengericht wusste von den wieder aufgenommenen Ermittlungen. Dazu Christian Laue: „Dabei wurden dem Amtsgericht (zu dem das Familiengericht gehört, Anm. d. Red.) auch Ermittlungsergebnisse übermittelt, die darauf hindeuten, dass Übergriffe des Vaters gegenüber seinem Kind nicht nur vor mehreren Jahren vorgekommen sind, sondern noch weiter andauern.“

Nach einer Unterredung mit dem LKA stellte das Jugendamt des Kreises Lippe am 4. Januar den Antrag einer einstweiligen Anordnung, „das Kind aus dem Haushalt des Vaters zu nehmen“. Wie Laue weiter erklärte, war mit diesem Antrag eine Situation eingetreten, in der alle Verfahrensbeteiligten – außer dem Kindesvater – überzeugt waren, dass eine Rückkehr des Kindes zum Vater eine Gefährdung für dessen Wohl darstelle. Und es war den Beteiligten auch klar, dass Eile geboten war. Nur die Familienrichterin sah keine Dringlichkeit, sondern terminierte eine mündliche Anhörung auf den 21. Januar. Das Jugendamt hatte zwar die mögliche Kindeswohlgefährdung erkannt, wollte das Kind aber nicht in den Haushalt der Mutter zurückführen, obwohl Elke D. die gerichtliche Bestätigung vorweisen kann, dass sie voll erziehungsfähig sei und nicht an irgendeiner psychischen Erkrankung leide. Das Jugendamt wollte das Kind in einem Heim unterbringen und einem gesetzlichen Vormund unterstellen. „Das kann ich meinem Kind nicht antun“, sagte Elke D. im Gespräch mit der Neuen Westfälischen. „Es hat schon genug gelitten. Eine Heimunterbringung würde es vollkommen aus der Bahn werfen.“

In Absprache mit ihren Anwälten taucht Elke D. mit ihrem Kind ab, erklärt die Sache in der Grundschule, die das Kind besucht, organisiert Homeschooling und ist sich vollkommen klar darüber, dass sie sich auf der Grenze der Legalität bewegt, wenn nicht sogar schon darüber hinaus.

Doch die Sache eskaliert weiter: Am 12. Januar verschickt das Familiengericht einen unverzüglichen Herausgabebeschluss. Christian Laue: „Damit sollte Elke D. gezwungen werden, das eigene Kind – entgegen der Einschätzung durch das LKA, durch zwei unabhängige Begutachtungsstellen (NW berichtete) und durch das Jugendamt – einer möglichen Gefahr des sexuellen Missbrauchs auszusetzen.“ Das Ganze sei noch verstärkt worden durch die Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 25.000 Euro.

Familiengericht hält Herausgabe an den Vater für dringlich

Hierbei allerdings sah das Familiengericht „wegen der Dringlichkeit“ keine Notwendigkeit einer Anhörung. Laue: „Das Familiengericht hält den Schutz des Kindes vor einer Gefahr für nicht dringlich – es bleiben zwei Wochen Zeit bis zur Anhörung – die Rückführung zum Kindesvater und damit in eine mögliche Gefahrensituation für dringlich.“

Aufgrund dieser Beschlüsse und der vorherigen Verfahrensführung des Familiengerichts (NW berichtete), stellte Laue einen Befangenheitsantrag. Der wurde jedoch von Michael Wölfinger, Direktor des Amtsgerichts Detmold, abgelehnt. Es sprächen nicht genügend objektive Gründe dafür, an der Unvoreingenommenheit des Familiengerichts zu zweifeln. Der Juraprofessor aus Heidelberg legte daraufhin eine „sofortige Beschwerde“ ein. Darüber wird das Oberlandesgericht in Hamm entscheiden.

Seit kurzem weht Elke D. noch ein weiterer Wind ins Gesicht. Ende vergangener Woche bekam sie einen Brief von der Leitung der Schule, die ihr Kind besucht. Darin steht, dass der Schulleitung „jegliche weiteren Informationen fehlen“ und dass für das Kind Schulpflicht bestehe. Wenn Elke D. kein ärztliches Attest oder eine behördliche Anordnung vorlegen könne, müsse das Kind die Schulpflicht wieder wahrnehmen. Auf Nachfrage der Neuen Westfälischen bei der Schulleitung hieß es nur: „Dazu sage ich nichts, das ist ein laufendes Verfahren.“ Rechtsanwalt Laue schreibt der Schulleitung: „Sollte das Kind in der nächsten Zeit am Unterricht in Ihrer Schule teilnehmen müssen, wäre es in kürzester Zeit wieder in den Händen des Kindesvaters. Das sollte vermieden werden, bis die jetzt noch offenen Fragen geklärt sind.“