Rechtsanwalt kritisiert die Staatsanwaltschaft

Oerlinghausen. Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes des Kreises Lippe hat am 7. Februar 2019 die Kreispolizeibehörde Lippe über den Verdacht auf sexuellen Missbrauch des eigenen Kindes gegen den Vater des Kindes von Elke D. informiert (NW berichtete mehrfach). Das Verfahren wurde eingestellt – und später, Ende 2021, auf Intervention des Landeskriminalamtes, erneut aufgenommen. Und auch das erneute Verfahren wurde Ende vergangenen Jahres eingestellt, ohne die Unschuld des Beschuldigten nachzuweisen. In der Einstellungsverfügung heißt es: &bdquo;Insgesamt lässt sich der Verdacht eines sexuellen Missbrauchs durch den Beschuldigten weder bestätigen noch vollständig entkräften . . . Letztlich erscheint eine Verurteilung bei dieser Beweislage nicht wahrscheinlich.“ Aktuell hat ein Gericht jedoch ein Näherungsverbot gegen den Vater ausgesprochen. Er darf sich dem Kind von Elke D. nicht mehr als 20 Meter nähern (NW berichtete). Grund für die ersten Ermittlungen war ein Schreiben aus der Kinderklinik des St. Vincenz-Krankenhauses in Paderborn. Dort hatte der Chefarzt Friedrich Ebinger gemeinsam mit einer Fachärztin für Kinder und Jugendmedizin, einer Sozialpädagogin und einer Psychologin, beide tätig in Fachstellen gegen sexuellen Missbrauch von Kindern, das Kreisjugendamt am 6. Februar 2019 darüber informiert, dass es den &bdquo;dringenden Verdacht“ gebe, dass das damals dreijährige Kind der Elke D. einem &bdquo;sexuellen Missbrauch in wahrscheinlich mehreren Fällen“ ausgesetzt war. Darin sahen die Experten eine &bdquo;akute Kindeswohlgefährdung“. Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein Offizialdelikt Da der sexuelle Missbrauch von Kindern ein sogenanntes Offizialdelikt ist, musste die Polizei die Ermittlungen aufnehmen, nachdem sie von der Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes informiert worden waren. Elke D. wurde als Mutter des vermeintlichen Opfers nicht informiert. Jedoch wird sie in den Unterlagen der Polizei als Anzeigenerstatterin geführt, was nicht der Fall war. In den Unterlagen der Polizei ist auch ein Datentransferbeleg für die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zu finden. Der datiert auf den 11. März 2019, 11.10 Uhr. Da sind gerade einmal vier Wochen seit der Information des Kreisjugendamtes vergangen. Trotzdem ist dort zu lesen: &bdquo;Fall geklärt: ja“. Allerdings ist es so, dass ein Fall für die PKS als geklärt angegeben wird, wenn die Polizei einen Verdächtigen hat. Der Verdacht muss sich noch nicht bestätigt haben. Die Staatsanwaltschaft Detmold stellt das Verfahren des laut PKS-Meldung geklärten Falles vier Monate später, am 9. Juli 2019, &bdquo;mangels hinreichenden Tatverdachts“ ein. Das Landeskriminalamt nimmt die Ermittlungen erneut auf Ende Dezember 2021 wendet sich Sonja Howard, Mitglied im Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, an das Hilfetelefon des Landeskriminalamtes (LKA) NRW. Sie schildert einer Beamtin den Fall und zitiert deren Reaktion gegenüber der Neuen Westfälischen: &bdquo;Da ist ja gar nicht ermittelt worden.“ Das LKA nimmt von Amts wegen die Ermittlungen wieder auf. Ermittelnde Behörde ist wiederum die Staatsanwaltschaft Detmold, die auch das erste Ermittlungsverfahren geführt hat. Die Ermittlungen werden geführt von der Staatsanwältin Werpup, die auch im ersten Ermittlungsverfahren fallführend war. Jetzt wurde am 30. September das Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern eingestellt. Unterschrieben war die Einstellungsverfügung von Staatsanwältin Bretthauer, was darauf hindeutet, dass sie die Ermittlungen übernommen hatte. Die Einstellungsverfügung wurde dem Rechtsbeistand von Elke D., dem Rechtsanwalt Christian Laue zugestellt, denn tatsächlich hat Elke D. am 28. September 2022 zum ersten Mal Strafanzeige gegen den Beschuldigten, den Vater ihres Kindes, erstattet. In der Begründung der Einstellung findet Rechtsanwalt Laue, der Strafrechtler ist unter anderem Professor an der Universität Heidelberg, Institut für Kriminologie, einige Kritikpunkte. So wird angemerkt, dass das Kind in der polizeilichen Vernehmung keine Angaben gemacht hätte, aus denen sich eine &bdquo;konkrete Straftat des Beschuldigten“ ergeben hätte. Rechtsanwalt kritisiert fehlende Vernehmung Nicht erwähnt wird, dass die Polizistin, die das Kind verhörte, keine spezielle Ausbildung zur Vernehmung von Kleinkindern, das Kind war zum Zeitpunkt der Vernehmung drei Jahre alt, gehabt hat. Insgesamt sei das Kind von Elke D. &bdquo;durchweg negativ zu dem Beschuldigten eingestellt“ gewesen. Diese pauschale Feststellung lasse vermuten, dass die Beamtin einen Fall des Elterlichen Entfremdungssyndroms annehme, vermutet Laue. Das Elterliche Entfremdungssyndrom ist Mitte der 80er Jahre vom amerikanischen Psychiater Richard Gardner beschrieben worden. Er nimmt darin an, dass Mütter in einer Trennungssituation ihre Kinder grundsätzlich gegen deren Vater manipulieren. Das &bdquo;Syndrom“ ist nie in die Liste der international anerkannten Krankheiten aufgenommen worden und darf nicht mehr vor Gerichten herangezogen werden. Im Verlauf des zweiten Ermittlungsverfahrens wurde eine Vernehmung des Kindes auf Video aufgenommen. Diese Vernehmung im Frühjahr 2023 wurde ebenfalls von der Polizei vorgenommen und bei einer Verhandlung Mitte 2023 vorgespielt. Die Qualität der Aufnahme sei allerdings besonders im letzten Drittel so schlecht gewesen, dass die Wiedergabe abgebrochen werden musste, da nichts mehr zu verstehen war. Auch der Richter habe die schlechte Qualität nicht nachvollziehen können, sagt Laue. &bdquo;Das war richtig peinlich.“ Zu verstehen war allerdings, dass das Kind mindestens eine Körperverletzung geschildert hat. &bdquo;Diesem Hinweis ist bei den Ermittlungen nicht nachgegangen worden“, sagt Laue. Bemerkenswert findet Rechtsanwalt Laue auch, dass in der Einstellungsverfügung auf ein Gespräch mit einer Ärztin der Kinderklinik verwiesen wird, die zwar eine Entzündung im Bereich des Afters festgestellt, aber als unspezifisch angesehen habe. Der Name dieser Ärztin tauche auf keinem Schriftstück auf, die damals versendet worden sind. Es könne natürlich sein, dass die Ärztin mittlerweile durch Heirat einen anderen Namen angenommen habe. Er fragt sich aber, warum wiederum nicht auf die gutachterliche Stellungnahme der Kinderklinik, immerhin unterschrieben vom Chefarzt, eingegangen oder mit diesem ein Gespräch geführt worden sei. Nach wie vor grobe Verfehlungen der Detmolder Staatsanwaltschaft sieht Laue in der 2019 nicht erfolgten Hausdurchsuchung des Beschuldigten, &bdquo;wie es in solchen Fällen allgemein üblich ist“. Und des Weiteren in der Vernichtung der in der Paderborner Kinderklinik entnommenen DNA-Proben. Christian Laue nennt Dinge beim Namen Die NW stellte Alexander Görlitz, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Detmold, zur Einstellung der Ermittlungen 2019 einige Fragen: Das Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Detmold am 9. Juli 2019 wegen Mangel an Beweisen eingestellt. Ist die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens mangels Beweisen gleichbedeutend mit der Aufklärung eines Falles? Er antwortet: &bdquo;Ein Ermittlungsverfahren wird durch die Staatsanwaltschaft entweder durch eine Einstellung des Verfahrens oder durch eine Anklageerhebung / Erlass eines Strafbefehls abgeschlossen.“ In der Einstellungsverfügung heißt es: &bdquo;Der Beschuldigte bestreitet sexuelle Übergriffe. Objektive Beweismittel, die eine Überführung gewährleisten könnten, liegen nicht vor.“ Die DNA-Proben seien deshalb vernichtet worden. Dazu sagt Rechtsanwalt Christian Laue, der auch Professor für Kriminologie an der Universität Heidelberg ist: &bdquo;Wie Staatsanwalt Görlitz richtig sagt, können bei abgeschlossenen, weil aufgeklärten Straftaten die Beweismittel vernichtet werden. Sonst müssen sie bis zur Verfolgungsverjährung aufgehoben werden. Das wäre im vorliegenden Fall das Jahr 2055 (der 40. Geburtstag des Kindes). Worin sich der Staatsanwalt aber irrt, ist die Annahme, die Straftat sei im Jahr 2019 aufgeklärt worden. Das ist sie definitiv nicht, denn es wurden nicht alle möglichen Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt, insbesondere nicht die Befragung des Chefarztes der Paderborner Kinderklinik, Friedrich Ebinger, und eben die rechtsmedizinische Untersuchung der gesicherten Körperspuren. So beißt sich die Katze in den Schwanz: Weil nicht alle Ermittlungen durchgeführt wurden, konnte keine Straftat festgestellt werden. Weil keine Straftat bewiesen werden konnte, gilt die Strafsache als ,aufgeklärt’. Weil die Sache als aufgeklärt gilt, können die unterlassenen Ermittlungsansätze zerstört werden.“ Diese Kritik hält er auch bei der Einstellung des jüngsten Ermittlungsverfahrens aufrecht, weshalb er gegen die Einstellung Beschwerde erhoben hat. &bdquo;Das Recht auf effektive Strafverfolgung, bei dem alle Ermittlungsansätze zu nutzen sind, ist in diesem Fall mehrfach nicht beachtet worden“, sagt Christian Laue.

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