
Viva la revolución! Lang lebe die Revolution! Mantra-ähnlich sagen wir das im Stillen immer wieder auf: Viva la revolución. Lang lebe die Revolution. Lang lebe die Guerilla! Wir spielen seit 10 Tagen "Far Cry 6", den neuesten Ableger der beliebt-berüchtigten Far-Cry-Reihe. Nach dem schlappen Steinzeit-Ableger "Primal", dem launigen, aber story-blassen "Far Cry 5", das uns nach Montana in den Kampf gegen eine Sekte schickte, und der 17 Jahre später spielenden Fortsetzung "Far Cry: New Dawn", die nur ein bunter Aufguss war, sind wir jetzt auf der fiktiven Karibikinsel Yara unterwegs, um dem brutalen und narzisstischen Diktator Antón Castillo mit aller zur Verfügung stehenden Waffengewalt den Garaus zu machen.
Ob das Spiel auch die lang erwartete Revolution der Far-Cry-Welt ist und sich der Kauf lohnt, haben wir ausgiebig getestet. Kurz zusammengefasst: Bei keinem der "Far Cry"-Spiele hatten wir zuletzt so wenig Motivation, weiterzuspielen. Wir erklären genauer, was die Probleme sind, zeigen aber auch die Pluspunkte dieses neuen Teils.

Worum geht's genau?

Wir spielen die Ex-Soldatin Dani Rojas (man kann wählen, ob man lieber einen Mann oder eine Frau spielt - wir haben uns für die Frau entschieden), die mit einer Freundin vor der Gewalt des Diktators flüchtet. Einen Freund hat sie schon vor ihren Augen sterben sehen, doch auch die Freundin wird sie später tot am Karibikstrand zurücklassen müssen. Denn wo Antón Castillo (gnadenlos gespielt von "Breaking Bad"-Bösewicht Giancarlo Esposito) in den Zwischensequenzen so hintritt, wächst nicht mehr viel. Auf sich allein gestellt schließt sich Dani einer Widerstandsgruppe an und unterstützt fortan die Rebellen von Libertad.
Was wir tun müssen? "Far Cry"-Spieler ahnen es schon: Gebiete entdecken, Stützpunkte erobern, Alarme deaktivieren und die Fahnen am Mast austauschen, Verbündete gewinnen, Geiseln befreien, Drogenfelder abfackeln, Waffen auf- und umrüsten und nach und nach die kleinen und großen Bosskämpfe bestehen. Alles wie immer.
Dazu kommt: Die Open World ist - ohne Übertreibung - gigantisch. Vier große Regionen und darin viele Hauptquests, unzählige Nebenquests und Zeitfresser-Mini-Spiele, die um unsere Aufmerksamkeit buhlen.
Natürlich kann man auch wieder fischen gehen. Wir haben anfangs gesagt: wir lassen das Fischen aus, weil es uns schon in anderen Ubisoft-Spielen enorm genervt hat. In "Far Cry 6" aber gibt es einen obernervigen Guru, der uns in den unpassendsten Momenten anruft und uns empfiehlt, zur Entspannung doch mal fischen zu gehen (Vorwurfsvoll: "Sind das Schüsse, was ich da höre?"). Um das abzustellen hilft nur: fischen gehen. Keine Sorge, danach ist dieser Nervfaktor vorbei. Dafür gibt es andere.

Also, wir haben vier riesige Regionen, in denen wir Unterstützer für unsere gute Sache finden müssen, um zuletzt in der Hauptstadt Esperanza den Diktator seines Amtes zu entheben. Nach "Far Cry"-Methoden, versteht sich. Diese vier Regionen werden von unterschiedlichen Rebellen-Gruppen geführt. Wir sind als erstes den bunt gekleideten Frauen und Männern von Máximas Matanzas begegnet. Und dachten: die haben von irgendwas zu viel geraucht. Die Matanzas sind nämlich Hipster-Hip-Hop-Rebellen, denen wir unter anderem dabei helfen, einen Rebellensender aufzubauen und ein fettes DJ-Programm auf die Beine zustellen. Die Figuren sind leider etwas klischeehaft, und die Dialoge erinnern an die Eloquenz der Halbstarken aus "Need for Speed: Payback". Ist eine Mission gelungen, treffen wir uns alle im Guerilla-Lager zu fetten Beats und tanzen unter dem Bast-Dach.
Die anderen Regionen dagegen sind besser gelungen. Hier zeigen sich die Auswirklungen von diktatorischem Handeln sehr deutlich. Wir sehen Szenen von kriegerischen Auseinandersetzungen, wo mit unerbittlicher Härte durchgegriffen wird, während das Volk unter der Unterdrückung leidet und sich kreativ zu helfen versucht. Hier passt, dass wir Waren gegen improvisierte Waffen eintauschen können. Hier ist es auch folgerichtig, dass wir bei Einsätzen immer nach Benzin und Metall Ausschau halten, weil sie notwendige Tauschwaren sind. Die Bezüge zu Kuba sind nicht nur bei den Tabakfeldern und der Wahl der fahrbaren Untersätze, die wir zur Verfügung haben, deutlich. Hier gelingen Ubisoft Ansätze einer guten Geschichte und einer glaubhaften Welt. Leider bleibt es wieder nur bei den Ansätzen.
Wie schon in "Far Cry 5" hat man als Spieler gehofft, dass die Story ein hervorragender Unterbau sein würde, der das Spiel trägt. Die Sektengeschichte in Teil 5 war genauso dafür geeignet, das Spiel gesellschaftskritisch aufzuziehen, wie es in Teil 6 die Möglichkeit gegeben hätte, Krieg und Widerstand kritisch einzuordnen. Doch diese Chance will Ubisoft offenbar genauso wenig nutzen wie im Hacker-Thriller "Watch Dogs".
Auch "Far Cry 6" fehlt jegliche Kommentierung. Die Story ist dünn und blitzt nur dann und wann auf, vor allem in den Zwischensequenzen. Aber wo ist die Kontextualisierung für all das, was passiert? Für Krieg und Tod und Folter? Wir sehen zwar gerade bei Diktator Castillo Entwicklungen und auch Risse in der harten Fassade, aber oft bleiben die so klein, dass man nicht hindurchschauen kann. Alle anderen Figuren bleiben ebenfalls undurchsichtig und wachsen uns nichts ans Herz.
Was hat uns nicht gefallen?

Das führt uns ganz klar zur Frage, was uns nicht gefallen hat. Dass "Far Cry" auch durch unser Handeln ein brutaler Shooter ist, ist allen klar. Dass aber das Setting an sich schon an schockierender Brutalität kaum zu überbieten ist, gerät uns zu sehr in den Hintergrund. Die Menschen sterben oder siechen als Geiseln in Gefängnissen vor sich hin, während andere Familienmitglieder als Versuchskaninchen dienen, um das neue Krebsheilmittel Viviro zu testen, mit dem der Diktator noch reicher werden will. Wir sehen im Vorbeigehen bedrückende Bilder und Gräueltaten.
Wenn ein Spiel solche Szenen zeigt, ist es aus unserer Sicht wichtig, auch eine Einordnung zu bringen. Die fehlt uns oft. Im Gegenteil: Wir werden das Gefühl nicht los, dass hier eine Art schockierende Version von potemkinschen Dörfern aufgebaut wird, die einfach nur dazu dient, die Missionen voranzubringen, aber nicht um wirklich eine relevante Geschichte zu erzählen. Hier hat Ubisoft den größten Fehler gemacht.
Und wieder einmal kann sich "Far Cry" nicht entscheiden, was es sein will - es ist sozusagen eine Mischung aus allen Ubisoft-Open-World-Spielen: Natürlich ist ganz viel "Far Cry" drin, die riesige Auswahl an Waffen erinnert an "Ghost Recon: Breakpoint", die Möglichkeit, unsere Guerilla-Lager auszubauen, kennen wir unter anderem aus "Assassin's Creed: Valhalla".
Und so werden wir das Gefühl nicht los, Ubisoft wolle auch mit "Far Cry 6" möglichst alle Spielerinnen und Spieler nicht nur glücklich machen, sondern auch noch möglichst lange auf Yara halten. Die von Ubisoft geplante Roadmap bestätigt das. Wir werden also niemals "fertig" sein mit "Far Cry 6". Puh! Uns stresst das ziemlich. Lang lebe die Revolution? Wahrscheinlich hat die auf Yara nie ein Ende. Will man das?

Auch im Rest des Gameplay-Loops stockt der Flow an einigen nervigen Stellen. Unsere Waffen können wir nur an den zahlreichen Werkbänken verändern. Zwischendurch mal beim Scharfschützengewehr ein anderes Zielfernrohr zu montieren, ist also nicht drin. Immer muss man erst eine Werkbank aufsuchen. Eine der unzähligen Regeln, die unser Rebellenfreund Juan immer wieder zum Besten gibt, ist deshalb sinngemäß: Bereite Dich auf jede Mission gut vor und wähle Deine Waffen. Wähle die Waffe, die richtige Munition und spraye die Waffe vielleicht noch hübsch an.
Da wir unsere Waffen durch Mods verbessern können und Dani auch noch durch bestimmte Kleidungsstücke Perks bekommt, hat Ubisoft den Fähigkeitenbaum komplett entfernt. Das ist zwar recht innovativ für "Far Cry", sorgt bei uns allerdings leider dafür, dass wir nicht wirklich ein Gefühl von Fortschritt bekommen. Das beseelende Erfolgsgefühl setzt also auch nicht ein, das man hätte, wenn man eine weitere Stufe erklommen hat.
Was hat uns gefallen?
Auch wenn wir oben gesagt haben, dass die Anzahl der verfügbaren Waffen uns zu groß erscheint, so müssen wir doch auch sagen, dass uns manch besondere Waffe sehr gefallen hat. Zum Beispiel der völlig irrsinnige Raketenrucksack, mit dem wir Hubschrauber vom Himmel holen und Panzer zerstören, ohne uns gleichzeitig dabei die Nackenhaare zu versengen. Ein Wunderwerk yaranischer Ingenieurskunst!

Tatsächlich ist auch die deutsche Sprachausgabe gut gelungen - wenn man Kalauer wie "Dem Ingenieur ist nichts zu schwör" mag. Dani murmelt den Spruch, als sie ein Lager auskundschaftet und dort einen Ingenieur mit dem Smartphone markiert. Männer mit Hipster-Frisuren sind bei ihr "Männer mit Ananas-Frisur", und generell ist Dani häufig spöttelnd unterwegs. Anders lässt sich das, was sie sieht, aber auch die eigene Brutalität wohl nicht ertragen.
Wie beim Vorgänger sind wir auch in "Far Cry 6" völlig frei darin, wie wir Missionen angehen. Ob wir schleichen oder mit großem Brimborium (Raketenrucksack) angreifen. Endlich ist auch der Schleichmodus nicht mehr stets die angesagteste Wahl aller Mittel. Wer beim Herumstromern entdeckt wird, wechselt einfach auf das Sturmgewehr und zeigt den Schergen mal, was eine Rebellin ist. Zumindest die Hauptmissionen sind fast immer fordernd und schön actionlastig.
Auf den untersten Erfahrungsstufen können die auch schon mal schnell tödlich enden, denn es gibt nur zwei Schwierigkeitslevel. Das führt dazu, dass sogar die leichtere Version sich teilweise extrem hart anfühlt. Gegner halten hin und wieder ein paar Treffer mit panzerbrechender Munition zu viel aus. Vielleicht trägt das auch der Welt Rechnung, in der wir uns dort bewegen. Tatsächlich ist es aber ein ausbaufähiges Trefferfeedback. Bei uns selbst dagegen fühlen sich Treffer schon... nun ja, gut an. Soweit es sich gut anfühlen kann, wenn man im Kugelhagel einen Treffer nach dem nächsten einsteckt.
Ein paar Worte noch zum Thema "Freiheit" in der Open World. Wer einfach nur die Inselwelt von Yara entdecken will, hat dafür einen bezaubernden Fuhr- und Getier-Park zur Verfügung. Von den ganzen Flugzeugen, Autos, Lastwagen und Booten mal abgesehen, die wir uns "bunkern" können, dürfen wir Yara nicht nur zu Fuß erkunden, sondern auch per Pferd, was sich tatsächlich sehr gut zügeln lässt. Da waren wir angenehm überrascht. Die Autos dagegen ließen sich auf der PS5 nur sehr "eckig" steuern. Das hat sich seit "Far Cry 5" leider nicht verbessert.
Ein weiterer Vorteil beim Entdecken: Anders als beim Vorgänger werden wir nicht immer sofort von Soldaten oder Raubtieren angegriffen, sobald die uns sehen, sondern erst dann, wenn wir für sie erkennbar eine Bedrohung darstellen. Das Entdecken führt allerdings unweigerlich dazu, dass man über irgendeine Aufgabe stolpert, die man einfach dann erledigen will. Das ist der "Far Cry"-Suchtfaktor.
Unser Fazit
Dass "Far Cry 6" wieder keine konsequente Geschichte erzählt, hat bei uns leider dazu geführt, dass wir kaum motiviert waren, weiterzuspielen. Wir könnten Unmengen an Nachrichten, Zettelchen und Akten lesen auf Yara - wir können es aber auch sein lassen, weil sie die Geschichte nicht so sehr weiterbringen, wie das in anderen Spielen der Fall wäre. Wir erwähnen in dem Zusammenhang oft "Horizon Zero Dawn", bei dem wir nach jedem Fitzelchen gelechzt haben, das die Hintergründe der Geschichte enthüllt. Denn da gab es Hintergründe. Das ist bei "Far Cry 6" zu oft nicht so. Es ist manchmal alles ziemlich egal. Und so hakt man irgendwann nur noch Questmarker ab, was so schade ist für diese optisch toll gestaltete Map, die so viele Entdeckungen bereit hält.
Wer also eine gut erzählte Story will, sollte die Finger lassen von "Far Cry 6". Unsere Hoffnungen darauf und auf eine echte Spielerfahrung waren so groß - und sind so enttäuscht worden. Wer aber einfach nur eine stumpfe Ballerwelt in malerischer Umgebung haben will, kann zugreifen.
"Far Cry 6" hat viele gute Ideen, ist aber nicht konsequent genug in der Umsetzung. Dem Spiel fehlt es einfach in zu vielen Bereichen an Tiefe. Stattdessen driftet alles in die Belanglosigkeit ab. Für uns ist "Far Cry 6" keine Revolution, kein großer Wurf, sondern allenfalls als Shooter-Mittelmaß getarnte Beschäftigungstherapie. Hoffen wir auf "Far Cry 7". Letzte Chance, Ubisoft.
"Far Cry 6" ist seit dem 7. Oktober 2021 erhältlich für PS, Ps5, Xbox Series, Xbox One und PC, ist freigegeben ab 18 Jahren und kostet ab 69,99 Euro.
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