Games

"Hot Wheels Unleashed" im Test: Kindheitsträume werden wahr

Der italienische Rennspiele-Entwickler "Milestone" versucht sich an einem Arcade-Racing-Game und legt damit einen richtigen Überraschungs-Hit vor.

Christian Lund
30.09.2021 | 01.10.2021, 10:29

Es ist doch so: Wer als Kind kleine Spielzeugautos toll fand, hatte entweder die deutschen Siku-Modelle oder aber die amerikanischen "Hot Wheels" von Mattel. Für die "Hot Wheels"-Fans geht jetzt ein kleiner Traum in Erfüllung: all die waghalsigen Rennen, die wir damals auf dem bunten Spielzeugteppich oder auf den richtigen "Hot Wheels"-Plastikbahnen gefahren sind, können wir nun endlich selber steuern. Am 30. September ist für PC und alle Konsolen der fantastische Arcade Racer "Hot Wheels Unleashed" erschienen. Wir durften das Spiel vorab auf der PS5 testen und können sagen: sieht geil aus, fährt sich grandios - aber der Strecken-Editor bringt uns an den Rand des Wahnsinns.

Man muss ja sagen, dass die Idee nicht neu ist, einen Arcade Racer mit Spielzeugautos auf den Markt zu bringen. Codemasters hat mit der "Micro Machines"-Reihe, bei der man mit kleinen Fahrzeugen der gleichnamigen Spielzeugautos-Serie auf Billardtischen und Küchenböden herumdüst, bereits seit 1991 und zuletzt 2017 tolle Spiele gemacht. Jetzt haben sich die italienischen Rennspiel-Profis von "Milestone" an die Autos von "Hot Wheels" gewagt und liefern damit aus unserer Sicht eines der besten Videospiele, die jemals mit lizenzierten Spielzeugautos gemacht worden sind. Jap, nichts weniger als das sagen wir!

Go!! Wir starten mit unserem kleinen Spielzeugauto auf der nächsten Strecke in diesem phantastischen Rennspiel.  | © Milestone
Go!! Wir starten mit unserem kleinen Spielzeugauto auf der nächsten Strecke in diesem phantastischen Rennspiel.  | © Milestone

In "Hot Wheels Unleashed" geben wir im Einzel- oder Mehrspielermodus auf teilweise raffinierten, interaktiven Strecken Vollgas, und was so nach niedlicher Spielzeugwelt klingt, in der man lustig vor sich hin juckelt, ist in Wahrheit ein forderndes Racing-Spiel der besonderen Art. Wir haben gerade schon "Micro Machines" erwähnt, wir müssen aber in diesem Zusammenhang auch noch das sehr gute "Trackmania" heranziehen, denn "Hot Wheels" vereinigt beide zu etwas Neuem: zum einen die winzigen Autos, mit denen wir durch Umgebungen wie einen Campus (mit Labor!), ein Hochhaus oder einen Keller rasen ("Micro Machines"), zum anderen die Möglichkeit, im Mehrspielermodus online wahnwitzig gebaute Strecken anderer Gamer zu fahren - und das wieder und wieder und wieder zu wollen ("Trackmania"). Wir waren und sind nach wie vor beglückt! Und wir haben Stunden mit diesem Spiel verbracht.

Liebevoll gemacht

Und es geht abwääärts! Im Hintergrund lauert schon der Drachenkopf. Aber bis dahin sind noch ein paar Kurven zu meistern! - © Milestone
Und es geht abwääärts! Im Hintergrund lauert schon der Drachenkopf. Aber bis dahin sind noch ein paar Kurven zu meistern! | © Milestone

Jeder Spieler beginnt mit drei zufällig ausgewählten Autos. Zum Release sind insgesamt 66 verfügbar, darunter "Hot Wheels"-Originale, Nachbildungen realer Automarken sowie popkulturelle Fahrzeuge aus den Universen von "Ninja Turtles", "Knight Rider" oder "Batman". Weitere Fahrzeuge werden folgen, versprechen die Entwickler. Wir hatten das Glück, gleich eine der legendären Karren zu ziehen, die ordentlich PS unter der Haube haben. Da kann man wahrscheinlich auch ordentlich Pech haben. Nach einem kleinen Tutorial geht's schnell auf die erste Strecke. Erst danach sehen wir, dass alle Strecken auf einer Art Spielzeugteppich angeordnet sind. Das ist wirklich liebevoll gemacht!

Mit jedem Rennen können wir unterschiedliche Belohnungen einheimsen. Meist sind das Goldmünzen, mit denen man zum Beispiel Überraschungskisten oder direkt neue Autos kaufen kann, oder Zahnräder, die wir brauchen, um die Autos in unserem Fuhrpark weiter aufzurüsten.

"Jetzt sind wir im Doppellooping"

Auf den rund 100 Strecken, die wir in der Kampagne fahren müssen, ist man voll umhüllt von der "Hot Wheels"-Welt. Die Bahnen sehen genauso blau und gelb und rot aus wie die Original-Plastik-Bahnen in den Kinderzimmern dieser Welt. Wir rasen durch enge oder weite Kurven, es geht hoch und runter, und manchmal verliert man ein wenig den Überblick: "Sind wir jetzt gerade kopfüber an der Decke oder unten auf der Erde? Huch! Jetzt sind wir im Doppellooping!"

Die Rennen der Einzelspieler-Kampagne sind auf einem Spielzeugteppich angeordnet. Bei jedem Rennen sehen wir, welche Belohnungen wir für welche erreichten Ziele bekommen.  - © Milestone
Die Rennen der Einzelspieler-Kampagne sind auf einem Spielzeugteppich angeordnet. Bei jedem Rennen sehen wir, welche Belohnungen wir für welche erreichten Ziele bekommen.  | © Milestone

Und wie gesagt: Das geht alles andere als behäbig zur Sache. Beim Fahren ist es unser Ziel, unsere Nitro-Reserven schnellstmöglich wieder aufzuladen, weil alle Gegner das genauso tun. Und wer mit einem leeren Boost-Tank durch die Gegend fährt, hat das Spiel nicht verstanden. Sobald wir in die Kurven einlenken und kurz auf die Bremse steigen, driften wir und füllen damit unsere Nitro-Tanks.

Aber es warten auch noch andere Gimmicks auf der Strecke. Fies sind die sehr massiven Baustellenschilder, die uns richtig runterbremsen, wenn wir da reindonnern. Nett dagegen sind die grünen Turbostreifen, die unsere Karre mit ordentlich zusätzlichem Speed versorgen. Rosa gefärbte Boost-Punkte sorgen für einen Nitro-Schub. Und wir sorgen ja selbst ständig dafür, unsere Nitro-Reserven auszugeben und neue aufzubauen. Das Spiel will also Speed, Speed, Speed.

Spinne und Drachenmaul

Eines der bisher 66 verfügbaren Boliden. Links sehen wir die unterschiedlichen Eigenschaften, rechts die Kosten für die Aufrüstung oder die Einnahmen, falls wir das Auto loswerden wollen (oder Teile/Geld brauchen). - © Milestone
Eines der bisher 66 verfügbaren Boliden. Links sehen wir die unterschiedlichen Eigenschaften, rechts die Kosten für die Aufrüstung oder die Einnahmen, falls wir das Auto loswerden wollen (oder Teile/Geld brauchen). | © Milestone

Richtig gemein sind die Monster, die hin und wieder über den Strecken lauern. Am nervigsten finden wir die Spinne, die über der Strecke sitzt und Spinnweben auf die Bahn schießt. Ein Ausweichen ist schier unmöglich - man hat das Gefühl, die Spinne schießt einem immer direkt vor die Stoßstange, egal wie man fährt. Das frustriert, ist aber an der nächsten Kurve auch wieder vergessen.

Ähnlich ist es bei einem Drachenmaul, das sich öffnet und schließt. Gerne schließt es sich gerade dann, wenn man in einem meterweiten Sprung herangeschossen kommt. Da hilft nur ein Respawn, bei dem natürlich die KI-Gegner schon an einem vorbeirasen. Immerhin: Nervige Gummiband-Effekte, die abgehängte Widersacher unfair schnell wieder an unser Heck saugen, gibt's hier nicht!

Die wichtigste Frage für uns vorab war: wie wird das Fahrgefühl sein? Antwort: Unglaublich gut! Es fühlt sich sehr realistisch an, gerade auch mit dem angenehm moderaten Einsatz der Adaptive Triggers der PS5. Die Wahrnehmung von Geschwindigkeit ist herausragend, insbesondere der Impuls beim Starten des Nitro-Boosts. Wahrscheinlich wird manch einem glückselig das Gesicht leuchten, wenn er das zum ersten Mal erlebt. Wir können nicht ausschließen, dass das bei uns so gewesen ist.

Das Fahrverhalten der Autos ist zumindest gefühlt unterscheidbar. Was wir damit meinen, ist: Bei 66 Autos kann man schwer feststellen, ob die sich alle unterschiedlich fahren, aber das Gefühl, sich nach einem Wechsel auf ein neues Auto einstellen zu müssen, hatten wir immer. Man muss aber natürlich auch sagen: "Milestone" haben jahrelange Erfahrung in der Entwicklung von Rennspielen. Die wissen eigentlich, was sie tun.

Ulkiges Aussehen? Nicht täuschen lassen

Dennoch erwarten sie auch von den Spielerinnen und Spielern, dass sie über die Fahrphysik von Autos ein wenig Kenntnis haben. Jedes Auto hat unterschiedliche Eigenschaften, die in der Liste auch angezeigt werden. Wer glaubt, das hier sei kein ernstzunehmender Arcade Racer, der wird irgendwann die Erfahrung machen, dass höher gebaute Fahrzeuge tatsächlich in Kurven umfallen können. Man sollte sich also nicht davon täuschen lassen, dass die Autos teilweise ulkig aussehen - die haben sehr ernsthafte Fahreigenschaften.

Sie sehen aber auch sehr gut aus. Es ist erstaunlich, was die Entwickler hier an Details eingearbeitet haben. Kenner werden vom Detailgrad schlichtweg begeistert sein. Wer genau hinsieht, kann sogar Fingerabdrücke auf den Metallautos sehen. Andere haben schon unter den Aufklebern an den Strecken-Banden eingeschlossene Luftblasen entdeckt (was hat uns das als Kind genervt!).

Kritiker werfen den Entwicklern vor, die Kampagne nicht besonders kreativ gestaltet zu haben. Richtig ist, dass die Ziele immer sind, auf dem Treppchen zu landen oder eine bestimmte Rundenzeit zu fahren. Es fehlen Herausforderungen, die man von anderen Rennspielen kennt, etwa eine bestimmte Zeit zu driften oder auf einer Position zu fahren oder auch ein gutes Handling über die Autos nachzuweisen. Uns hat das während des Spiels nicht gestört, wir waren aber ohnehin schnell mit der Kampagne durch und haben uns dann nach alter "Trackmania"-Manier in die Mehrspieler-Kämpfe geworfen. Wir denken dennoch, dass es für manche ein Manko sein könnte.

Was uns nicht gefallen hat

Nachdem wir es nicht mehr schaffen, irgendwie beide Streckenteile im Editor zusammenzufügen, würden wir den Bereich gerne verlassen. Es gibt aber keine Option dafür.  - © Milestone
Nachdem wir es nicht mehr schaffen, irgendwie beide Streckenteile im Editor zusammenzufügen, würden wir den Bereich gerne verlassen. Es gibt aber keine Option dafür.  | © Milestone

Ja, kommen wir mal wirklich zu den Mankos dieses Spiels: Der Track-Editor ist zumindest in der PS5-Version ein unhandliches Ding der Unmöglichkeit. Wir haben diverse Male versucht, mit den eigentlich tollen Gestaltungsmöglichkeiten eigene Strecken zu bauen, sind aber auf ganzer Linie gescheitert. Noch schlimmer: Sobald man merkt, dass das nichts wird, will man eigentlich nur noch zurück ins Menü. Dafür gibt es aber keinen Weg. Oder: Wir haben keinen gefunden. Es gibt auch keine Hilfe-Optionen. Da muss "Milestone" dringend nachbessern, denn nur mit Custom-Strecken wird "Hot Wheels Unleashed" im Mehrspielermodus ein dauerhafter Renner werden und bleiben.

Und eins noch: Spielspaß teilt man am liebsten mit Freunden. Und: ja, es gibt den Sofa-Modus. Prima, wir können das Spiel zu zweit im Splitscreen zocken. Aber warum hat "Milestone" hier nicht direkt den Vierer-Splitscreen mitgeliefert? Dieses Spiel ist prädestiniert für vergnügliche Vierer-Kämpfe auf dem Sofa - so wie wir es vermutlich alle an "Mario Kart" lieben. Mit dieser Nachbesserung hätte "Milestone" die Chance, einen dauerhaften Arcade-Racing-Hit zu haben.

Unser Fazit

"Hot Wheels Unleashed" hat die Anlagen zu einem hervorragenden, die Zeiten überdauernden Arcade-Racing-Game, dem nicht zu schnell der Sprit ausgeht oder der Motor verreckt - wenn "Milestone" es schafft, die Community fortwährend zu begeistern und nicht nur die zahlbereiten Premium-Kunden beliefert. Optisch und spielerisch ist es jedenfalls eines der besten Rennspiele, die wir seit langer Zeit gefahren sind. Wir sehen uns auf der Strecke, Leute!

"Hot Wheels Unleashed" ist seit dem 30. September 2021 erhältlich für PS4, PS5, Xbox One, Nintendo Switch, Xbox Series und PC und kostet 49,99 Euro.