
Hold my beer. Oder vielmehr: Halt mal einer meinen Met. Ich muss kurz den toten Ritter zum Metzger fahren und will vorher noch bei "Pimp my Horse" vorbei. Willkommen im wahnwitzigen Setting von "Rustler", dem kreativen und fast durchweg gelungenen Versuch, GTA I und II ins Mittelalter zu versetzen. Klingt irre? Ist auch so. Damit das gleich klar ist: Wir waren anfangs wirklich skeptisch, aber "Rustler" hat uns richtig erwischt. Die erste Kackgranate vergisst du nie.
Nun, also, "Rustler" (zu Deutsch: "Viehdieb") - worum geht's hier? Wir spielen einen etwas einfältigen und zu alkoholischen Genussmitteln neigenden Typen namens Guy, von seinen Eltern so genannt, weil sie keine Lust hatten, sich einen Namen zu überlegen. Guy ist ein Taugenichts und Gauner - schlichtweg: ein hervorragender Anti-Held. Und dem fällt eines Tages was wirklich Grandioses ein: Warum sollte nicht ein Typ wie er am Großen Turnier teilnehmen? Und vor allem: gewinnen und den Hauptpreis einheimsen, nämlich die Hand der Prinzessin und die Prinzessin noch dazu!
5.000 Goldtaler für den Fälscher
Doch Guy ist ein einfacher Mann vom Volke, kein Adliger. Und nur Adligen ist es überhaupt gestattet, die Brücken über den Fluss zu passieren und den Weg zum Turnier zu finden. Was also tun? Erste Hürde: 5.000 Goldtaler sammeln, um den Fälscher bezahlen zu können, der den Passierschein anfertigt.
Fälscher müsste man sein. 5.000 Goldtaler! Dafür muss ein Viehdieb viele Pferde und Rinder stibitzen. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten. Schlägereien, Auftragsmorde, Pflügen von Feldern, untreue Kirchgänger in den Dom prügeln, Weinfässer zerschlagen - und dabei immer auf der Hut sein vor den Gesetzeshütern.
Pimp my horse
Wird man verfolgt, hilft "Pimp my horse" - für 100 Goldtaler kann man Pferd samt Wagen umspritzen lassen, wechselt sozusagen das Kennzeichen und wird fortan in Ruhe gelassen. Oder man reißt eines der Fahndungsplakate ab, dann fällt ein Fahndungslevel weg. War man zuvor aber besonders rüpelhaft, sind halt immer noch zwei da. Und das dritte wartet an der nächsten Ecke, wo man unabsichtlich einen Passanten zertrampelt, weil der dem Ritt urplötzlich im Wege steht. Die Anleihen bei GTA sind mehr als deutlich, nicht nur optisch bei der Top-down-Sicht. Busted!
Wir erfüllen also etliche, zum Teil brutale, aber fast immer sehr lustige Neben- und Hauptquests. Wir können Mini-Games spielen, einfach quer durch die Landschaft vagabundieren und Unruhe stiften oder straight die Hauptstory durchspielen. Letzteres macht aber wenig Sinn, weil einem dann die vielen kleinen Finessen verborgen bleiben, mit denen "Rustler" begeistert. Mehr wollen wir an dieser Stelle nicht verraten.
Ob vor Euch ein Fehdehandschuh liegt oder nicht: die Wahl der Waffen ist auch im mittelalterlichen GTA-Klon interessant: Wir haben sehr gerne mit Hellebarden gemetzelt, sind aber auch auffallend oft von Speeren aufgespießt worden. Nach dem Motto des Bestattungsgewerbes: Gestorben wird immer. In den Optionen können wir sogar einstellen, wie viel Blut dabei fließen soll. Schwer begeistert waren wir beim Kampf aus der Ferne von der Haptik des Armbrustschießens, das sich auf unserer PS5 fantastisch mit den Trigger-Tasten spielen ließ. Sssst! Treffer! Träumchen!
Rückwärtsgang beim Pferd?
Beim Sound sind wir ähnlich angetan wie vom Gameplay: Überall auf der Map, die wir nach und nach freispielen, stehen Barden verteilt, die unterschiedliche Weisen zum Besten geben. Manche davon haben richtigen Ohrwurmcharakter. Nervig, aber von der Idee her lustig, ist dagegen das Piepsgeräusch, wenn man Pferdekutschen rückwärts fahren lässt. Ganz zu Beginn des Spiels waren wir sehr verdutzt, als uns das Spiel verklickern wollte, wir hätten beim Pferd einen Rückwärtsgang. Beim Zurücksetzen mit der Pferdekutsche wär uns dann vor Schreck beinahe der Controller aus der Hand gefallen, so laut war der Sound. Tipp: Da vielleicht in den Einstellungen etwas runterregeln.
Etwas strapazierend fürs Nervenkostüm kann auf Dauer auch die Audioausgabe der Gespräche sein. Die ist nämlich in unverständlichem Kauderwelsch vertont und neigt manchmal zu "Mimimi"-Variationen, die Monty-Python-Anklänge haben. Die Entwickler von Jutsu Games haben schon vor Release erwähnt, dass sie nicht nur GTA huldigen, sondern auch der britischen Komikertruppe ("Die Ritter der Kokosnuss") und diverse popkulturelle Hinweise unterbringen wollen.
Was uns nicht gefallen hat
Zu viel Lob? Keine Sorge, wir haben auch was zu meckern. Auf der Playstation öffnen wir die Karte mit L3, der linke Stick ist aber gleichzeitig Richtungsgeber. Das kann in der Hast mit dem Pferd dazu führen, dass man ständig die Map öffnet, obwohl man nur schnelle Richtungsänderungen vollführen will. Wir hätten uns gewünscht, dass man die Tastenbelegung ändern kann - das ist aber bislang nicht möglich. Wir hoffen auf einen Patch.
Die Karte selbst braucht ebenfalls ein Update, denn der langsam blinkende Pfeil, der unsere Position verortet, ist und bleibt so winzig, dass wir teilweise sehr nah an den Bildschirm kriechen mussten, um zu erahnen, wo wir gerade stecken.
Die Steuerung? Joa, verbesserungswürdig. Warum können diese Pferde, die so ungefähr jeden niedermetzeln, der sich auch nur in die Nähe wagt, nicht auch Zäune niederreißen. Mal geht's, mal nicht. Das versteht Guy nicht. Und wir auch nicht.
Unser Fazit
Wir haben den Weg über die Brücke geschafft, so viel ist klar. Aber das, Ihr Rittersleut', war erst der Anfang von einem großen Abenteuer, das uns schon jetzt einen Heidenspaß macht. "Rustler" ist für uns ein einfallsreicher, derbhumoriger Titel, mit dem wir die Zeit bis zu den nächsten AAA-Spielen überbrücken können und der uns positiv überrascht hat. Wer mit GTA I und II nix anfangen kann, sollte von "Rustler" vermutlich die Finger lassen, allen anderen kann man das Nischen-Spiel für rund 30 Euro guten Gewissens empfehlen. Wir sehen uns beim Turnier. Wir sind der mit der Hellebarde.
"Rustler" ist seit dem 31. August 2021 zum Preis von rund 30 Euro erhältlich für PC, Xbox One, Xbox Series X|S, PS4, PS5 und Nintendo Switch.