Höxter/Paderborn. Es ist ganz still in Saal 205 des Landgerichts Paderborn. Es scheint fast so, als wolle niemand von den Zuschauern, die sich auf den Bänken drängen, keiner der Richter, keiner der Verteidiger und nicht der Oberstaatsanwalt auch nur Luft holen. Nur ein ganz leiser Seufzer erklingt urplötzlich - fast wie der einzig mögliche Kommentar zu dem, was da berichtet wird über die Geschehnisse in einem Anwesen, das längst deutschlandweit als "Horrorhaus von Höxter" bekannt ist.
Denn gerade berichtet Angelika W. detailverliebt, hochgradig sachlich und ohne jede Emotion, wie sie den Leichnam der Frau beseitigte, die sie zusammen mit Wilfried W. in Höxter monatelang getriezt, gequält, misshandelt und erniedrigt hatte.
Wie sie den toten Körper in einer Kühltruhe einfror, ihn immer wieder herausholte, um ihn mit Hilfe einer Kreissäge in kleine Stücke zu zerteilen, die sie im Ofen des "Horrorhauses" verbrannte. Keine einzige Kleinigkeit lässt die Angeklagte aus und so erzählt sie auch, dass sie zuvor zu Testzwecken ein Kotelett im Ofen verbrannt hatte. "Es war klar, dass das an mir hängen blieb", sagt sie fast ein bisschen triumphierend. "Die ganz Maloche hatte ich."
Alle Fakten zum Horrorhaus-Prozess
- Zwei Jahre dauert der Prozess vor dem Landgericht Paderborn um das Folterpaar vom "Horrorhaus von Höxter".
- Angelika W. hat 66 Arten von Quälereien aufgelistet, mit denen das Paar seine Opfer traktierte.
- Wilfried W. stellt sich als Opfer seiner Exfrau dar. Angelika W. dagegen gibt zwar zu, dass sie die Frauen misshandelte. Doch sei sie zuvor ebenfalls Opfer von Wilfried gewesen und habe sich gezwungen gefühlt.
- Gutachterin Nahlah Saimeh bezeichnet die bösartige Beziehung zwischen der hochintelligenten Angelika W. und Wilfried W. als "hoch gefährlich".
- 2020 muss Wilfried W. aus der forensischen Psychiatrie in den regulären Strafvollzug wechseln. Seine behandelnden Ärzte hatten Zweifel, dass er nur vermindert schuldfähig ist.
Monströse Vorwürfe
Angelika W. sitzt im Herbst 2016 in Paderborn nicht allein auf der Anklagebank des Schwurgerichts. Ihr Ex-Mann Wilfried W. muss ihr Gesellschaft leisten. 17 Jahre dauerte ihre Zweisamkeit, doch hier vor Gericht ignorieren sie einander, wechseln kein einziges Wort, hier kämpft jeder für sich allein. Das Paar muss sich nämlich Vorwürfen stellen, die sich monströs ausnehmen.
In Bosseborn, dem kleinsten Stadtteil Höxters, lebten sie fünf Jahre lang in einem heruntergekommenen Gehöft. Hier sollen sie Frauen, die sie mit Zeitungsanzeigen anlockten, misshandelt und gequält haben. Einigen gelang die Flucht aus dem "Horrorhaus". Zwei Frauen, Annika W. und Susanne F., aber starben in direkter und indirekter Folge der grausamen Misshandlungen. Mord durch Unterlassen lautet der Hauptvorwurf von Oberstaatsanwalt Ralf Meyer. Er ist der festen Überzeugung, dass Angelika W. und Wilfried W. die beiden Frauen körperlich und psychisch schwer misshandelten und ihnen wider besseres Wissen keine medizinische Hilfe zukommen ließen. Damit stehen für die Angeklagten lebenslange Freiheitsstrafen für ihre Verbrechen im Raum.
Gesicht hinter rosa Aktendeckel versteckt
Der Prozess, der sich zwei Jahre lang hinziehen wird, beginnt schon bemerkenswert. Denn Wilfried W. kennt augenscheinlich keine Scham. Als er den Saal betritt, blickt er ungeniert zu den Zuschauern hinüber und scheint die Aufmerksamkeit zu genießen. Erschreckend normal sieht er aus mit seinem adretten Haarschnitt, dem gepflegten Dreitagebart und der Brille. Dass viele Kameras auf ihn gerichtet sind, macht ihm nichts aus, ganz im Gegenteil: Wilfried W. gibt sich leutselig und schickt sich sogar irgendwann an, einem TV-Reporter zu antworten, der sich herangedrängelt hat und ihm ein Mikrofon unter die Nase hält.
Ganz anders erscheint seine Mitangeklagte zum Prozessauftakt. Sie hält ihr Gesicht hinter einem rosa Aktendeckel verborgen, den sie erst sinken lässt, als die Kameraleute den Saal verlassen haben. Dann ist der Blick frei auf eine kleine, pummelige Frau. Ihren Haarschnitt würde man allenfalls praktisch nennen, ihre Kleidung unauffällig. Angelika W. wirkt ungepflegt und abgrundtief unsympathisch. "Hexe von Höxter" hat einmal im Vorfeld des Prozesses in einer Zeitung gestanden.
Tagelanger Bericht über Qualen im Horrorhaus
Doch als ihr am zweiten Verhandlungstag das Wort gewährt wird, läuft die 47-Jährige schnell zur Höchstform auf. Den Aktendeckel wird sie an keinem einzigen Tag mehr als Schutzschild nutzen. Sie verlässt sich auf die Macht des Wortes, ihrer Worte. Die gelernte Gärtnerin aus einem lippischen Dorf ist das, was man beredt nennt - und völlig hemmungslos.
Tagelang berichtet sie von all den Qualen, die im Saatweg 6 in Bosseborn-Höxter an der Tagesordnung waren. Die Misshandlungen, die sie selbst durch Wilfried W. erdulden musste, beschreibt sie im selben gelösten Plauderton wie all die Grausamkeiten, die die Frauen zu erleiden hatten, die dem Lockruf der zahlreichen Kontaktanzeigen in regionalen und überregionalen Zeitungen gefolgt waren.
Während ihrer Untersuchungshaft hat Angelika W. eine Liste erstellt, auf der 66 Arten von Quälereien verzeichnet sind, mit denen das Paar seine Opfer traktierte. Zeile für Zeile geht sie zusammen mit dem Vorsitzenden Richter Bernd Emminghaus diese Liste durch. "Sie hat den Frauen Dinge angetan, die Wilfried W. ihr angetan hat", erklärt die Gutachterin Nahlah Saimeh, warum Angelika W. selbst erst zum willigen Folterknecht wurde und dann mehr und mehr die Regie übernahm. "Ich habe viele Dinge gemacht, von denen ich dachte, dass Wilfried sie wollte", sagt die 47-Jährige selbst.
Quälen ist lästig, aber notwendig
Für sie war das Quälen ihrer Mitbewohnerinnen eine lästige, aber notwendige Arbeit. Dieser ging sie mit dem für sie typischen Hang zur Perfektion nach. Annika W. und Susanne F. bezahlten das mit ihrem Leben. Im August 2014 starb Annika W., nachdem sie völlig entkräftet gestürzt war und sich eine schwere Kopfverletzung zugezogen hatte. Sie starb im Keller in einer Badewanne - in der hatte die 33-Jährige zuvor schon oft an die Armatur gekettet kalte Nächte verbringen müssen.
Susanne F. starb im April 2016 in einem Northeimer Krankenhaus an den Folgen der Misshandlungen. "Ich hatte nicht wieder Bock auf ein Privatkrematorium", erklärt Angelika W. einige Monate später vor Gericht. Doch der Entschluss, die Frau ins Krankenhaus zu bringen, kam zu spät. Dass sie dafür die Verantwortung zu tragen hat, ist der Angeklagten klar: "Mein Hände waren es, die ihr das angetan haben."
Der Tod von Susanne F. bringt die Taten ans Licht. In der ersten Podcast-Folge zu diesem Fall skizziert NW-Redakteur David Schellenberg die ersten Tage nach Bekanntwerden der Tat und den Verlauf der Ermittlungen nach.
Während seine Ex-Frau tagelang ausführlich erzählt und auf jede Frage eine Antwort weiß, büßt Wilfried W. schnell seine anfangs zur schau gestellte Lässigkeit ein. Er, den seine Mitangeklagte als leidenschaftlichen Diskutanten beschrieben hat, muss schweigen und zuhören. Das fällt ihm nicht leicht, immer wieder sucht er das Gespräch mit seinen Verteidigern, setzt genervt die Brille ab, macht sich Notizen.
Wilfried W. stellt sich als Opfer dar
Als er im Februar 2017 dann doch das Wort ergreifen darf, hat sich der 46-Jährige fast ein bisschen aufgebrezelt, sich mit einem weißen Hemd schick gemacht für seine Aussage. "Ich bin nicht der Mann, der den Ton angibt", behauptet er von sich selbst, um sich fortan als Opfer seiner Ex-Frau darzustellen. Als es um die Beziehung zu Angelika W. und die Vorwürfe geht, wird seine Befragung zu einem Desaster, so dass sich Wilfried W. schließlich nicht mehr öffentlich äußern will.
Dafür wird viel über ihn gesprochen. Einige Frauen, die er über Anzeigen kennenlernte, aber nicht zu sich nach Bosseborn holte, sondern ihnen teilweise beeindruckende Geldbeträge abgaunerte, beschreiben ihn als sympathischen Zeitgenossen und liebevollen Partner, als einen Menschen, der sich wichtiger machte als er war. Anderen aber war der manipulative Charakter nicht verborgen geblieben, ebenso wenig die unheilvolle Verbindung mit Angelika W., die den Frauen zumeist als Wilfried W.s Schwester vorgestellt worden war.
Gutachterin attestiert verminderte Schuldfähigkeit
Just diese Verbindung ist dann auch für die Gutachterin Nahlah Saimeh der entscheidende Punkt. Die bösartige Beziehung zwischen der hochintelligenten Angelika W. und dem ihrer Meinung nach geistig und moralisch zurückgebliebenen Wilfried W. sei "hoch gefährlich". Beide passten laut Saimeh zueinander "wie Schlüssel und Schloss, wie Topf und Deckel." Allerdings sei Wilfried W. aufgrund seiner sehr eingeschränkten Intelligenz nur vermindert schuldfähig. Er gehöre in die Psychiatrie und nicht ins Gefängnis.
Dieser Einschätzung folgt nach fast zwei Jahren und 60 Verhandlungstagen das Schwurgericht Paderborn. Es verhängt gegen Angelika W. 13 Jahre Gefängnis. Der Vorsitzende Richter Bernd Emminghaus betont später, dass ohne ihre ausführlichen Schilderungen der Fall nicht hätte aufgeklärt werden können. Das habe sich strafmildernd auf das Urteil ausgewirkt. Für Wilfried W., den sie zu einer elfjährigen Freiheitsstrafe verurteilen, ordnen sie die Unterbringung in der forensischen Psychiatrie an.
Nachklapp: 2020 muss Wilfried W. in den regulären Strafvollzug wechseln. Bei den behandelnden Ärzten hatten sich im Verlauf seines Aufenthaltes Zweifel eingestellt, dass er tatsächlich nur vermindert schuldfähig ist. Ihre Bedenken teilt der Experte, der im Auftrag der zuständigen Strafvollstreckungskammer Wilfried W. erneut untersucht. "Voll schuldfähig", lautet sein Ergebnis und bestätigt damit die Auffassung, die der Regensburger Psychiater Michael Osterheider bereits im Verlauf des Prozesses geäußert hatte, bevor dieser von der Gutachterin Nahlah Saimeh abgelöst wurde.
Ob Wilfried W. nach Verbüßung der vom Schwurgericht verhängten Haftstrafe tatsächlich wieder auf freien Fuß kommt, ist derzeit noch offen. Die Staatsanwaltschaft Paderborn hat die nachträgliche Verhängung der Sicherungsverwahrung für Wilfried W. beantragt.
Am 30. August 2023 beginnt der neue Prozess. Dann wird es nicht um die grausamen Taten an sich gehen, sondern um eine mögliche Sicherungsverwahrung: Die Richter werden zu klären haben, wie es um die Gefährlichkeit des heute 51 Jahre alten Mannes bestellt ist. Sollte das Paderborner Landgericht eine Sicherungsverwahrung verhängen, würde Wilfried W. auch nach Absitzen seiner Haftstrafe vorerst nicht freikommen - solange, bis er keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr darstellt.