Spieletest

"We are Football" auf Anstoss-Spuren: Fußballmanager mit Schwächen

Ein neuer Fußball-Manager aus Deutschland! "We are Football" kommt mit vielversprechendem Background. Doch als wir es testen, wirkt die Simulation trotz aller Ansätze noch nicht ausgereift.

Jan Ahlers
14.06.2021 | 16.06.2021, 10:44

Bielefeld. Der Fußballmanager "Anstoss" hat in den hiesigen Zockerstuben Mythenstatus. Jüngere Generationen - mit bald 26 Jahren zähle ich mich nicht mehr dazu - werden von ihm nie oder nur aus Erzählungen gehört haben, viele ältere Fußballfans hat er geprägt. 2006 war Schluss mit der Reihe, für die OWL-Spielehersteller Ascaron in Gütersloh verantwortlich zeichnete. 2009 ging das Unternehmen pleite, doch noch viele Jahre später sollen sich Legenden zufolge vollzeit-berufstätige Familienväter abends heimlich in die Keller geschlichen haben, um dort die alten Anstoss-Klassiker mit Müh und Not auf der neuesten Computergeneration zum Laufen zu bringen.

Das ist jetzt nicht mehr nötig: Mit "We are Football" stürmt in diesen Tagen ein neuer, in Deutschland produzierter Fußballsimulator die Gaming-Bühne. Hinter ihm steckt eine Kollaboration von THQ Nordic und dem Kölner Studio "Winning Streak Games", hinter dem kein Geringerer steckt als Gerald Köhler, der Strippenzieher hinter der Anstoss-Reihe und ebenso später des "Fussball Managers" von EA Sports, der 2013 eingestellt, aber seither von der Community stetig mit neuen Kader-Updates versehen worden ist.

Unsere erste Saison dauert knapp vier Stunden

Köhler verspricht auf dem durchaus umkämpften Markt der Fußball-Manager ein einsteigerfreundliches Spiel, in dem es aber nicht zu komplex zugeht. Heißt: Das Durchspielen einer Saison soll nicht so viele kleinteilige Entscheidungen erfordern, dass etliche Spielstunden benötigt werden. Genau dafür steht der derzeitige Branchenführer, der "Football Manager" aus dem Hause Sega. Dort steckt ein Heidenaufwand hinter der Vorbereitung jedes Spieltags, das Spiel ist ein Zeitfresser.

Sicher: Wer die Realität des Profi- und ambitionierten Amateurfußballs voll und ganz abbilden will, der muss sich auch durch die letzte Matchvorbereitung quälen, jeden Spieler mit individuellen Anweisungen versehen. Köhler und Co. gestalten das Ganze etwas simpler, ausreichend Details gibt es dennoch. Unsere erste Saison als Manager von Nord-Regionalligist Drochtersen-Assel (im Karrieremodus hatten wir uns bei Drittligist Uerdingen verpokert) dauert etwa vier Stunden. Das ist tatsächlich, wie vom Hersteller versprochen, an einem langen Abend zu schaffen.

Im Startmenü erwarten uns wenige Überraschungen. Die erste Frage - eigene Karriere oder Vereinsauswahl? - ist aus Manager-Jahrzehnten bekannt. Kurz darauf werden Spieler erstmals mit den fehlenden Lizenzen konfrontiert: Spielt man in der etwas teureren Bundesliga-Version, gibt es immerhin Lizenzen für die Bundesliga sowie 2. Bundesliga. Positiv: Erstmals sind auch die höchsten Staffeln der Frauen mit dabei.

Arminia ohne Lizenz: Aus Pieper wird Pingel, aus Klos wird Klotz

Für alle anderen Länder von Belgien bis zur Türkei gibt es nur Fantasienamen für Klubs und Spieler, in der "Basisdatenbank" ist das auch bei den deutschen Topvereinen der Fall: "Preussen Dortmund", "Stier Leipzig" und "Primera Köln" können da ausgewählt werden - eigentlich ein schlimmer Minuspunkt, doch wer schon vor rund 20 Jahren dabei war, der erinnert sich mit Nostalgie, wie kreativ schon damals das Lizenzdilemma umgangen wurde.

Arminia Bielefeld heißt in der lizenzfreien Version übrigens einfach nur "Bielefeld", die Original-Spieler sind nur durch ihre Initialen zu erahnen: Aus Stefan Ortega Moreno - im Übrigen auch virtuell bester Spieler der Mannschaft - wird Samuel Osterloh, aus Amos Pieper wird Arne Pingel und aus Fabian Klos Fynn Klotz. In ausländischen Ligen fehlt selbst dieses Erkennungsmerkmal. Abhilfe schaffen kann der Editor. Doch ganze Ligen mit Klubnamen und allen Spielern detailliert nachzubauen, das dauert.

Im Gameplay an vielen Stellen unausgereift

Schwierig ist die Bewertung des Gameplays. Anstoss-Fans haben schon damals manch unfertiges Spiel verziehen und müssen dies wohl auch bei "We are Football" tun, denn dieses scheint sich nahtlos einzufügen. Einer der größten Kritikpunkte ist die unausgereifte Menüführung: Ja, die Woche vergeht bei "We are Football" deutlich schneller als beim Kontrahenten. Es gibt allerdings keine Möglichkeit, die Simulation bis zum kommenden Wochenende zu stoppen, sprich rasch zu reagieren.

Das beeinflusst auch die Handlungsoptionen auf dem Transfermarkt, der obendrein wie die Spielerverhandlungen schnell durchschaut werden kann. Manch unrealistische Klausel stört: Warum fordern Jugendspieler bei ihrem ersten Vertrag gleich ein Handgeld im Gegenwert eines Einfamilienhauses? Warum können Ausstiegsklauseln nicht herausgenommen werden? Und wieso zahlen Bandensponsoren teils absurd hohe Beträge im Millionenbereich für eine Bande im Regionalliga-Stadion?

Die Spiele selbst werden im immer gleichen Interface simuliert und von "Expected-Goals-Werten" begleitet. Hier ist es bis zuletzt möglich, die einstudierte Taktik über den Haufen zu werfen, was wir mehrfach probieren - und teils sogar erfolgreich sind. Vor und nach den Partien folgen hin und wieder Interview-Elemente mit Medien, seit jeher Bestandteil der Managerserie. Das sind nette Goodies, die aber stets unter ungeheurem Zeitdruck abgehandelt werden müssen und verdächtig oft die Beliebtheitswerte senken, was frustrierend ist.

Angenehm langsame Spielerentwicklung

Das Stärkemodell der Profis führt unterdessen nicht bis zum Maximalwert 99, sondern 15 (mit Nachkommastellen), auch das ist ein altes Anstoss-Relikt. Spieler weiterzuentwickeln ist dabei gerade zu Beginn eine Wissenschaft für sich. Insgesamt verbessern sich auch die Talente in angenehm langsamen, manchmal sogar zähen Tempo - eine Armada aus 18-jährigen Superstars binnen weniger Monate zu internationalem Ruhm zu führen, scheint nicht so einfach möglich, zumal auch der Erfahrungswert einer Mannschaft in den Spielen eine Rolle spielt. Erst mit der Zeit und guten Trainerassistenten steigern sich die Spieler.

Die gezielte Förderung durch Trainingseinheiten ist trotz eines individuellen Talentebaums anfangs schwierig zu verstehen. Hier gilt wie für viele andere Teilbereiche der Arbeit, von Sponsoren über Stadionausbau und Mitarbeiter bis hin zu den Fanbeziehungen: Oft ist nicht nachvollziehbar, wie sich getroffene Entscheidungen konkret auswirken. Vielleicht erklärt sich das aber noch über zunehmende Spielroutine.

Durchaus vorhandene Easter Eggs dieses Spiels, die gerade die alteingessenen Trainer und Manager erfreuen, gehen da ein wenig unter. So können etwa Heimspiele mit fiesen Tricks wie bestellten Flitzern oder bewusst überwässertem Rasen manipuliert werden. Ganz so derb wie vor 20 Jahren, als Schiedsrichter noch bestochen werden konnten, geht es aber nicht mehr zu. Auch lassen sich Halbzeitansprachen nun in verschiedenen Dialekten ("Ostwestfälisch") einstellen - eine kleine Hommage an die teils skurrilen Wutreden aus früheren, von Gerald Köhler mitproduzierten Managerspielen, die heute noch Kultstatus haben.

Mäßiger Start, aber großes Potenzial

Eine Krux bei "We are Football" ist, wie bei seinen Vorgängern übrigens auch, dass der Spielspaß trotz aller Mängel rasant zunimmt. Schnell ist das Bedürfnis geweckt, wie in einem Tunnel Woche für Woche, Saison für Saison zu simulieren. Etwas mehr Realismus benötigt es jedoch, um für Langzeitspielspaß bei der breiten Masse zu sorgen.

Mancher Spieler spekuliert, dass die Version unbedingt rechtzeitig zur EM auf den Markt kommen sollte und daher in vielen Belangen etwas verfrüht veröffentlicht wird. Das Gerüst aber ist vielversprechend und die Makel scheinen behebbarer Natur zu sein. Das muss auch passieren, gerade um neue "Casual Footballer" als Zielpublikum zu gewinnen und nicht nur die treuen Fans, die viel verzeihen, bei der Stange zu halten.

"We are Football" kostet 30 Euro in der nichtlizenzierten Version, fünf Euro mehr werden für die Version mit den Lizenzen der ersten beiden Männer- und Frauen-Bundesligen in Deutschland fällig. Das Spiel ist ausschließlich für PC erhältlich und ab 0 Jahren freigegeben.