
Rumms! Die Astronautin Selene Vassos ist mit ihrem Raumschiff auf einem geheimnisvollen Planeten bruchgelandet, klettert durch ein Loch in der Bordwand ins Freie und steht vor einem seltsamen Tor. Sie trägt eine Pistole in der Hand, und ein intakter Raumanzug schützt ihren Körper - aber was sie hinter dem Tor erwartet, ahnt sie nicht ansatzweise.
So beginnt der Third-Person-Shooter "Returnal" des finnischen Entwicklerstudios Housemarque, das sich vor allem mit schnellen Arcade-Action-Games ("Resogun") einen Namen gemacht hat. So beginnt aber auch jedes neue Leben von Selene, denn was die Finnen hier vorgelegt haben, ist nicht irgendein stumpfer Action-Exklusivtitel für die Playstation 5, sondern ein intelligenter, kreativer Roguelike-Knaller.

Soll heißen: Wenn Selene hinter dem ominösen Tor das Zeitliche segnet, lädt man nicht einen von unzähligen automatischen Speicherpunkten, sondern fängt wieder von ganz vorne an. Wieder sieht man Selene mit ihrem Raumschiff abstürzen, wieder klettert man aus dem Wrack, wieder hat man nur diese kleine Knarre in der Hand - egal, ob man im vorherigen Leben schon fette Wummen aus Kisten aufgeklaubt hat oder nicht. Alles weg.
Eine richtige Erfahrung
Naja, fast alles. Es gibt Puzzleteile der Geschichte, die einem erhalten bleiben. Und noch zwei, drei andere Bestandteile, über die wir jetzt aber nicht spoilern wollen, damit sie nichts von der Erfahrung vorwegnehmen. Denn das ist es, "Returnal" zu spielen: eine richtige Erfahrung. Mit Wendungen, die man nicht vermutet.

Albert Camus hat mal über den berühmtesten und zugleich tragischsten Steineroller geschrieben: "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." Wer "Returnal" spielt, wird sich manchmal daran erinnern, andere denken an "Und täglich grüßt das Murmeltier". Denn "Returnal" ist gnadenlos hart. Der Planet Atropos ist gnadenlos hart. Und hinter dem ersten Tor an der Absturzstelle warten nicht nur immer noch mehr Tore, sondern auch allerlei garstige Viecher und Aliens, die Selene den Garaus machen. Und dann geht's wieder von vorne los. Und wieder von vorne. Und wieder. Und nochmal.
Kann das Spaß machen?
Kann das Spaß machen? Ja. Ganz deutlich: ja! Denn keine Wiederholung ist wie die andere. Manchmal ändert sich die Absturzsequenz in Nuancen, fast immer aber warten schon hinter dem ersten oder zweiten Tor andere Räume, Wege sind anders, Nebenwege tun sich auf, wo zuvor keine waren, Gegner fehlen, wo zuvor welche waren, und lauern dafür in doppelter Stärke an einer anderen Stelle.
Erst beim nochsovielten Durchlauf entdecken wir neue Fähigkeiten, Waffen, Wege und allerlei Hilfsmittel. Wir finden plötzlich Geheimräume, bei denen wir nicht in den Tod stürzen, sondern ins Glück. Also... Meistens. Manchmal wartet da auch ein kleiner Bosskampf. Und dann kann der Kram ganz schnell wieder ganz von vorne losgehen.
Aber das Risiko rennt ja immer mit. Jederzeit könnte eine Falle im Weg sein, ein Monster um die Ecke schweben, verseuchte Ware herumliegen. Mit jedem neuen Run lernen Spielerinnen und Spieler besser, die Risiken für Selene und das eigene Frustlevel einzuschätzen. Mit jedem neuen Run durch bereits entdeckte Gebiete ist man auch in der Lage, Abkürzungen zu finden. Schnellreiseportale, die aktiviert werden müssen. Neue Artefakte. Bessere Waffen.
Nicht nur das Spielprinzip begeistert

Dieses Spiel macht süchtig, und so sehr es frustriert, dass man immer wieder von Neuem beginnt, so sehr erwischt man sich dabei, dass man immer noch einen neuen Anlauf nimmt. Wegen der fehlenden Ladezeiten auf der PS5 hat man im Grunde auch keine Zeit dazu, sich anders zu entscheiden. Und es ist nicht nur das Spielprinzip, das begeistert, sondern es sind auch die wahnwitzige Schönheit der Level und ganz besonders die spektakulären Leuchtfarben der Kreaturen und Monster, die sich uns in den Weg stellen. Da ergibt die Bezeichnung "extraterrestrisch" wirklich Sinn, denn sowas haben unsere Augen noch nicht gesehen. Das kann nicht von dieser Welt sein.
Argwöhnisch? Ja, man sollte auch eine gehörige Portion Argwohn einpacken, wenn man sich auf die Entdeckungsreise macht, welche Geheimnisse dieser Planet so sorgsam verbirgt. Denn Waffentruhen können trügerisch sein, gefundene Materialien einen negativen Einfluss haben. Wer sich darauf einlässt, muss mit Fehlfunktionen von Waffen oder Schutzmechanismen rechnen, die sich nur beheben lassen, indem Selene Aufgaben löst. Bei denen sie natürlich wieder sterben kann. Und dann geht's von Neuem los.
Nochmal: Ja, das fetzt richtig! Es geht nicht nur ums Durchkommen, sondern bald geht man die Sache taktisch an. Die beinharte Schwierigkeit kitzelt Sisyphos' Ehrgeiz. Auch weil das Spiel einem immer wieder alles nimmt und gleichzeitig viel mehr gibt, als man auf jeden enttäuschten Blick nach dem Tod zu sehen vermag. Wir müssen uns Selene als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Der Gamer als glücklicher Mensch
Müssen wir uns auch die Gamer als glückliche Menschen vorstellen? Nun, wer schon eine Playstation 5 ergattern konnte, ist sicher ein glücklicher Gamer. Mit "Returnal" kann die neue Konsolengeneration mit einem ernstzunehmenden Spiel ansatzweise zeigen, was sie drauf hat - die wirklichen Power-Games, die die Macht der PS5 vollkommen ausschöpfen, werden erst 2022 erwartet.
So freuen wir uns fürs Erste über das Gefühl von Regen, den wir haptisch über den Controller wahrnehmen dürfen. Wir sind begeistert von der dynamischen 4K-Auflösung und den flüssigen 60 Bildern pro Sekunde. Wir juchzen vor Freude über die visuelle Wucht - es blitzt, explodiert und funkelt an allen Ecken und Enden. Und selbst wenn es still bleibt, ist Atropos ein atemberaubender Planet.
Aber es ist halt auch ein Roguelike-Spiel. Das muss man wissen und wollen, denn für das Vollpreisspiel werden 80 Euro fällig.
Wir jedenfalls machen jetzt noch einen Run. Einen noch.
INFORMATION
Returnal-Patch 1.3.3 sollte Probleme lösen, sorgte aber stattdessen für neue Probleme. Unter anderem liefen die SpielerInnen Gefahr, den kompletten Spielstand zu verlieren. Housemarque zog deshalb den Patch zurück und veröffentlichte am 6. Mai den Patch 1.3.4.
Weiterhin keine Speichermöglichkeit
In der vorherigen Version unseres Hinweis-Kastens hatten wir fälschlicherweise geschrieben, dass Patch 1.3.4 schon die Möglichkeit bieten würde, den Fortschritt zwischendurch zu speichern. Das soll jedoch erst in Zukunft möglich sein. Trick bislang ist: Die Playstation in den Ruhemodus versetzen und die automatischen Updates ausstellen.
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