Open-World-Spiel

"Biomutant" im Test: Warum. Kann. Ich. Nicht. Aufhören?

Das hübsche Open-World-Spiel nervt mit endlos vielen Sammelaufgaben und dem pseudo-niedlichen Geplapper seiner Bewohner. Trotzdem kommt man nur schwer davon los. Warum? Ein Wort: Flow.

Björn Vahle
24.05.2021 | 22.06.2022, 12:20

Warum? Warum spiele ich immer weiter? Irgendwo zwischen dem dritten von sechs Schreinen und dem sechsten von 23 (!) befreiten Gefangenen verliere ich den Verstand. Zumindest kann ich für einen Moment nicht mehr verstehen, warum mich "Biomutant" trotz all dieser öden Standardaufgaben nur ganz schwer den Controller weglegen lässt.

Klar, solche Quests gehören in Open-World-Spielen dazu. Doch "Biomutant" fährt sie in einer Bandbreite und Zahl auf, dass mich das fast wütend macht. Zumindest bis zum nächsten gefundenen Schrein. Warum also kann ich nicht aufhören?

Worum geht's im Spiel?

Ein treffend betitelter Konzern namens Toxanol hat die Welt mit seinen Erzeugnissen (einem Haufen Umweltgifte) kontaminiert, weswegen von der Menschheit in "Biomutant" nur noch die zerstörten Städte und verlassenen Bunker übrig sind. Als namenloses, aber bewaffnetes Wesen, einer mutierten Mischung aus Fuchs, Waschbär und Eidechse (?!), betreten wir, was vom blauen Planeten übrig ist.

Die Apokalypse überstanden hat nur der Baum des Lebens, dessen vier Wurzeln allerdings von sogenannten "Weltenfressern" bedroht werden, mutierten Riesentieren, darunter ein fettes, dreiköpfiges Wiesel. Die Wurzeln zu retten, ist fortan unsere Aufgabe. Dabei hilft uns ein Stamm Überlebender, den wir frei wählen können, und für den wir im Laufe des Spiels nebenbei auch noch die verbliebenen Stämme besiegen sollen.

Die Welt von "Biomutant" steht uns von Anfang an vollständig offen. Und sie ist meistens wirklich malerisch. Grüne Wiesen wiegen sich im Wind, zwischen Seen ragen riesige Felsen auf, die wir erklimmen können - sogar die von Strahlung oder Giften verseuchten Gebiete sind von einer bizarren Schönheit. Und das Fell der pelzigen Gegner (unser Liebling ist der "Flausch-Hulk") sieht einfach fürchterlich fluffig aus. Kurz: Dass es uns hier nur die Hälfte der Zeit gefällt, liegt nicht an der Spielwelt.

Und warum macht das nun Spaß?

Die meisten Elemente, die zu den Stärken von "Biomutant" zählen, sind aus anderen Spielen bekannt. Die Erkundung folgt den Gesetzen der Ubisoft-Formel (Assassin's Creed, Far Cry). Wir erkunden viel, klettern hier und da und befreien die Welt Sektor um Sektor. Beim Kampfsystem sind dagegen Anleihen bei der Batman-Arkham-Reihe erkennbar, auch das kein schlechtes Vorbild.

All das runden zahlreiche Neben- und Hauptquests und neue Kräfte durch Mutationen ab, die unsere Stärke oder Widerstandskraft steigern. An unserem Wesen können wir immer wieder herumdoktern, Fähigkeitspunkte spendieren uns nämlich nicht nur Levelaufstiege sondern auch in der Welt versteckte Schreine.

Cool: Je nachdem, ob wir's mitfühlend oder empathielos angehen, dürfen wir andere Spezial-Attacken freischalten. Für die Erdfaust also vielleicht doch mal ein paar Gefangene über die Klinge springen lassen? Wie sich all das am Schluss auf die Story auswirkt, können wir noch nicht sagen. Die Entwickler versprechen jedoch ein ungewöhnliches Ende.

Das Schöne: Wir finden auf unseren Streifzügen ständig neue Ausrüstung. Und die hat praktisch immer noch Luft nach oben. Denn die schwedischen Entwickler von Experiment 101 haben ein Crafting-System gebaut, dass diesen Namen wirklich verdient. Jedes Ausrüstungsteil, das wir finden, besteht aus mehreren Teilen, die wir nach Lust und Laune mit anderen kombinieren und mit Add-ons erweitern können.

Euer legendäres Schwert haut nicht feste genug drauf? Baut einfach stachelige Aufsätze dran, spendiert ihm einen neuen Griff und das Ding zischt ab sofort mit Feuerschaden durch die Feindeshorden. Und unsere Schießeisen modeln wir in Windeseile von der Schrotflinte zum Gewehr zur Pistole um.

Auch das Kämpfen fühlt sich angenehm beherrschbar und direkt an. Wir können Gegner aus der Ferne oder mit Schwertern und Knüppeln aus der Nähe bearbeiten, weichen den Schlägen träger Boss-Gegner per Slide durch ihre O-Beine aus und geben ihnen dann mit einem Schlag aus der Doppeldrehung den Rest. Das sieht einfach wahnsinnig gut aus. Und damit wären wir beim Flow.

Denn aus all seinen Mechaniken webt "Biomutant" ein ungemein gut geöltes Gesamterlebnis, zumindest auf spielerischer Seite. Vom einen Ende der Karte springen wir per Schnellreise zum anderen, erledigen Quests und Gegner, finden neue Ausrüstung, frickeln Add-ons dran - war da drüben nicht noch ein Schrein? - und wissen eigentlich immer, was wir als nächstes tun wollen.

Und was nervt nun so dolle?

Zum einen: Die maue Story. Aus der Prämisse einer untergegangenen Welt macht das Spiel wenig bis nichts. Zwar dürfen wir überall Ruinen erforschen, doch wie genau diese Welt unterging und warum ein Teil voller Mutationen überlebte, erklärt das Spiel meist mit der simplen Formel: Das böse Toxanol ist schuld. "Horizon Zero Dawn" beantwortete diese Fragen deutlich kunstvoller - und liebevoller.

Liebevoll soll wohl auch die kauderwelsche Sprache der Bewohner von "Biomutant" sein. Klar, diese Tiere haben in der Biokalypse wohl eher unfreiwillig sprechen gelernt. Hochdeutsch ist da viel verlangt. Doch so muss ständig unser kleiner Begleiter, ein Roboter in Gestalt einer Heuschrecke, übersetzen. Und der quakt als Erzähler beim Erkunden der Spielwelt ohnehin ständig dazwischen. Man versteht den Gedanken der Entwickler, aber niedlich oder dem Story-Erlebnis dienlich ist der Kniff nicht.

Viel schlimmer noch: Unsere Entscheidungen haben keinerlei Auswirkungen auf die Story (bis auf das Ende). Wir sind böse oder wir sind gut, das einzige was uns das bringt, sind verschiedene neue Fähigkeiten. In so einem Zustand ist das Moralsystem praktisch keins.

Und dann ist da natürlich noch die Sache mit den Nebenquests. Klar fühlt es sich nach Fortschritt an, erst drei, dann vier und schließlich fünf von fünf Bunkern, Schreinen oder sonst was zu finden. Doch "Biomutant" übertreibt es mit solchen Übungen ein gutes Stück.

Denn nach knapp 20 Spielstunden und einer etwa zu 20 Prozent erkundeten Spielwelt haben wir nicht eine einzige davon (!) abgeschlossen, aber von insgesamt 38 offenen Nebenaufgaben noch 23 Sammelquests im Questlog stehen. Und die wenigsten belohnen mit mehr als ein paar Erfahrungspunkten. Besonders doof: Manche Nebenquest versteckt ein wichtiges Tool so weit weg, dass man beim bloßen Anblick der Entfernung schon abwinkt. So weicht das Gefühl von Fortschritt viel zu häufig dem von Überforderung. Und, in unserem Fall, auch mal ein bisschen Ärger.

Wie gesagt: Bis zum nächsten Schrein.

Fazit

Biomutant ist eines der sympathischeren Open-World-Spiele. Hier wird alles dem Spielspaß untergeordnet. Ob schwertschwingende Pistolero-Dachse logisch sind oder Mechaniken aus anderen Spielen stammen: völlig egal. Es muss scheppern, es muss spratzen und es muss fließen. Unsere Kritik an Story, Erzählung und Quest-Überfluss ist also durchaus welche auf hohem Niveau. Denn Laune macht dieses Spiel im Grunde von der ersten Minute an. Tiefgang sucht man hier abseits von Postkartenweisheiten ("Nutze den Tag!") vergebens.

"Biomutant" ist ab 25. Mai für PC, XBox One, und PS4 erhältlich, ab 12 Jahren freigegeben und kostet rund 55 Euro.