Bielefeld/Schloß Holte-Stukenbrock. Reglos verfolgt der Angeklagte den Prozess vor dem Bielefelder Landgericht. So schauerlich die Schilderungen seiner Taten sind – sie entlocken ihm keine Reaktion. Er sitzt neben seinem Verteidiger, hat die Beine übereinander geschlagen. Als könnte ihm all das hier nichts anhaben.
Bis zu dem Moment, als das Überwachungsvideo gezeigt wird. Auf einmal beginnt sein linker Fuß zu wippen. Ist es Aufregung, gar Begeisterung? Oder ist es das Begreifen, dass nun keine Zweifel mehr an seiner Schuld bestehen?
Klaus O. wird die Antwort darauf wohl mit ins Grab nehmen – genauso wie die Antwort auf die Frage, weshalb er eine der unfassbarsten Taten in der Geschichte Ostwestfalen-Lippes begangen hat. Der Fall ist nun Thema in einer Episode von "OstwestFälle - dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen"
Der Fall des Pausenbrotmörders im Überblick:
- Über mehrere Jahre hinweg vergiftet Klaus O. Pausenbrote und Getränke seiner Kollegen bei der Firma Ari, einem Armaturenhersteller in Schloß Holte-Stukenbrock.
- Im Mai 2018 wird Klaus O. durch eine Überwachungskamera im Pausenraum der Firma überführt und von der Polizei festgenommen.
- Der Bielefelder wird wegen versuchten Mordes in zehn Fällen angeklagt - zu den Vorwürfen schweigt er bis heute.
- Im März 2019 wird Klaus O. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.
- Ein Opfer verstirbt, weitere Opfer werden ihr Leben lang unter gesundheitlichen Schädigungen leiden.
- Das Tatmotiv ist bis heute nicht geklärt.
Klaus O., der unauffällige Familienvater, hat Kollegen vergiftet. Er hat giftige Substanzen, die als gefährliche als manche Kampfstoffe eingestuft werden, auf deren Pausenbrote gestreut, was ihm den Namen "Pausenbrotmörder" einbrachte. Eines seiner Opfer starb, zwei weitere leiden bis heute an schweren gesundheitlichen Schäden. Wobei nicht klar ist: Sind alle Opfer bekannt oder gehen auch andere Todesfälle auf O.s Konto.
Die Entdeckung des Pausenbrotmörders Klaus O.
38 Jahre lang hat der Bielefelder Industriemechaniker beim Armaturenhersteller Ari in Schloß Holte-Stukenbrock gearbeitet. Kollegen beschrieben ihn als schweigsam, teils mürrisch, wenig kollegial. Allzu viele Kontakte habe er nicht gepflegt. Doch das machte niemanden stutzig. Keiner wäre auf die Idee gekommen, welch mörderische Absicht der Mann in sich trug. Bis zum Jahr 2018.
Da entdeckt ein 26-jähriger Mitarbeiter auf seinem Pausenbrot ein merkwürdiges Pulver. Er informiert den Betriebsrat, der den Betriebsarzt und die Firmenleitung. Bald ist klar, dass die Substanz giftig ist. Die Firma zeigt den Vorgang bei der Polizei an. Die Firmenleitung installiert eine Kamera im Pausenraum. Eine Maßnahme, die möglicherweise einigen Menschen das Leben gerettet hat.
Die Bilder, die die Kamera einfängt, zeigen Klaus O., der den Pausenraum betritt, aus seiner Aktentasche ein Fläschchen holt, den Schrank öffnet, die Brotdose eines Kollegen herausnimmt, Pulver auf dessen Brot streut und die Dose zurücklegt. Dann geht er.
Das Giftlabor des Pausenbrotmörders Klaus O.
Die Polizei handelt schnell. Die Handschellen klicken. Bei der Festnahme finden die Beamten eine kleine Flasche mit der pulvrigen Substanz in seiner Tasche. Seine Wohnung wird durchsucht. Im Keller des Hauses stoßen die Beamten auf ein Giftlabor, in dem er die Substanzen vorbereitet hat. Alle Substanzen konnten bei richtiger Dosierung schwere Organschäden und den Tod verursachen. Es handelt sich unter anderem um Bleiacetat, Kadmium und Quecksilber.
Besorgt hat sich Klaus O. die Stoffe, die letztlich einen Teil seiner Kollegen nierenkrank gemacht haben, im Internet. Die Ermittler finden auch Aufzeichnungen zum Versuchsaufbau, das Giftgemisch Methyl-Quecksilber-Jodid herzustellen. Es ist jene Mischung, die zwei Jahre später aus versuchtem Mord einen Mord machen wird.
Klaus O. schweigt: Viele Fälle bleiben ungeklärt
Die Nachricht vom Giftmischer sorgt für Entsetzen bei den 700 Mitarbeitern des Unternehmens. Schnell ist klar, dass der Verdächtige nicht nur einem Mann etwas aufs Pausenbrot gestreut hat. Drei Jahre lang hat Klaus O. Pausenbrote und Getränke vergiftet. Mindestens drei Personen erkrankten schwer. Das beweisen toxikologische Untersuchungen.
Ein ehemaliger Vorarbeiter hat einen so schweren Nierenschaden erlitten, dass er auf die Dialyse angewiesen und arbeitsunfähig ist. Besonders hart aber trifft es einen jungen Werkstudenten. Er fällt durch die Vergiftung mit Quecksilber in ein Wachkoma und stirbt im Jahr 2020.
Niemand weiß jedoch, wie viele Menschen Klaus O. tatsächlich vergiftet hat. Im Kollegenkreis werden zwei Dutzend Verdachtsfälle genannt. Mitarbeiter, die überraschend gestorben sind oder schwer erkrankten. Von auffällig vielen Herzinfarkten und Krebserkrankungen ist die Rede.
Wurden sie durch Schwermetallvergiftungen verursacht? Krankenakten von 21 früh verstorbenen Arbeitskollegen werden geprüft. Ein 15-köpfiges Team um Kriminalhauptkommissar Bernd Kauschke und Staatsanwalt Veit Walter sucht nach Indizien. Endgültig geklärt werden können die Fälle nicht, denn der Täter schweigt. Auch noch, als das Urteil verhängt wird.
Klaus O. wegen versuchten Mordes in zehn Fällen angeklagt
Am Ende klagt die Staatsanwaltschaft Klaus O. wegen heimtückischen und grausamen versuchten Mordes in zehn Fällen an. Bewiesen sind die Versuche bei drei Kollegen. Geprägt wird der Prozess von der Frage nach dem Warum. Warum hat O. versucht, seine Opfer zu vergiften? Warum hat er diese Straftaten begangen?
Ein psychiatrischer Gutachter spricht mit ihm. Er berichtet, dass O. beobachten wollte, was das Gift anrichtet. Ob Hirnschäden oder Nierenschäden: Der Angeklagte ähnele einem Wissenschaftler, der ausprobiert, wie Stoffe bei einem Kaninchen wirken.
Der Staatsanwalt geht davon aus, dass der Täter sehen wollte "wie seine Kollegen vor seinen Augen langsam an körperlichem Wohlbefinden einbüßen und auf Grund der Art der Vergiftung Schmerzen und Qualen erleiden". Das Gericht spricht davon, dass die gefundenen Stoffe "gefährlicher sind als Kampfstoffe, die im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurden".
Zeugen unter Tränen, Pausenbrotmörder bleibt reglos
Manchem Zeugen, der aussagt, stehen die Tränen in den Augen. Das gilt vor allem für die Eltern des damals noch im Wachkoma liegenden Werkstudenten. Sie haben hilflos den körperlichen Verfall ihres Sohnes mitansehen müssen. Der Vater beschreibt seine Gefühlslage so: "Leben will ich nicht, sterben will ich nicht. Ich muss mich doch um meine Frau und meine anderen Söhne kümmern."
Reglos verfolgt dagegen der Pausenbrotmörder den Prozess. Er sagt an 15 Prozesstagen nur einen einzigen Satz: "Ich schließe mich den Ausführungen meiner Verteidigung vollumfänglich an." Das Urteil lautet "lebenslang" wegen versuchten Mordes, schwerer Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung. Durch den Tod eines Werkstudenten wird zwei Jahre später aus dem versuchten Mord ein vollzogener Mord.
Außerdem verurteilt das Gericht Klaus O. zu lebenslanger Sicherhungsverwahrung. Es ist die höchste Strafe, die es verhängen kann. Sicherheitsverwahrung bedeutet, dass O. auch nach seiner Haftstrafe im Gefängnis bleiben muss. Der Angeklagte sei eine Gefahr für die Allgemeinheit. Seine Verteidiger sehen das anders und gehen in Revision. Die aber scheitert vor dem Bundesgerichtshof.
1997 kam erster Verdacht auf
Im Prozess wird auch bekannt, dass es bereits 20 Jahre zuvor einen Verdachtsfall gegeben hat. 1997 wurde O. verdächtigt, die Cola eines Arbeitskollegen mit einem Pflanzenschutzmittel vergiftet zu haben. Weitere Nachforschungen aber blieben aus. Ein Fehler, wie sich später zeigen wird.
Opfer fleht den Pausenbrotmörder Klaus O. an
Später verurteilt das Arbeitsgericht Bielefeld den Pausenbrotmörder neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadenersatz von mehr als einer Million Euro an die Opfer und deren Familien. Ein symbolisches Urteil, denn das Schmerzensgeld werden die Kläger wohl nie sehen. Klaus O. verfügt nicht über die finanziellen Mittel.
Auch der junge Mann, der 2018 mit seinem Verdacht den Stein ins Rollen brachte, hatte zu dem Zeitpunkt bereits genug Gift im Körper, um ein Leben lang darunter zu leiden. Er büßt einen Teil seiner Nierenfunktion ein. Der frühere Ausdauerläufer wird nie wieder so fit sein wie vor den Taten. Er ist nierenkrank, weil er Opfer einer so grausamen Straftat wurde.
Immerhin: Er kann wieder arbeiten. Im Prozess hatte er den Mann, der ihn vergiftet hat, noch angefleht, endlich etwas zum Motiv zu sagen. Vergeblich.