Erwürgt und in den Fluss geworfen: Der unfassbare Fall der kleinen Silke

Detmold. Das Unfassbare geschieht am 21. Juni 1985. Die zehnjährige Silke G. verlässt die elterliche Wohnung in Detmold, macht sich auf den Weg zu einer Massagepraxis in der Innenstadt. Doch das Mädchen kommt nie dort an. Nach mehreren vergeblichen Anrufen melden die besorgten Eltern ihre Tochter noch am selben Tag als vermisst. Trotz großer Suchaktion mit Hubschrauber bleibt das Mädchen verschwunden. 24 Stunden vergehen, dann ist es traurige Gewissheit. Silke G. ist tot. Die Leiche des Mädchens wird am nächsten Morgen aus der Werre gezogen - ganz nah am damaligen Freibad, knapp einen Kilometer von Silkes Elternhaus entfernt. Die Zehnjährige ist voll bekleidet, einzig ihre Gummistiefel hat der Fluss mitgerissen. Die Ermittler sind sich nicht sicher, ob ein Gewaltverbrechen vorliegt. Zu unklar ist die Situtation, in der das Mädchen gefunden wird. Es könnte sich auch um einen tragischen Unfall handeln. Das regnerische Wetter zog nur wenige Menschen auf die Straße Gewissheit gibt es erst nach der Obduktion: Die kleine Silke ist erwürgt und anschließend in die Werre geworfen worden. Weitere Spuren lassen darauf schließen, dass ihr Mörder die Zehnjährige vorher missbraucht hat. Die Gerichtsmedizin kann den Todeszeitraum zwischen 15.20 und 16 Uhr eingrenzen. Doch wer hat dieses furchtbare Verbrechen am hellichten Tag begangen? Das regnerische Wetter zog nur wenige Menschen auf die Straße, die Polizei ist auf die Hilfe der Bevölkerung angewiesen. Es beginnt die Suche nach dem Mörder. Knapp 160 Hinweise überprüfen die Ermittler der Mordkomission Bielefeld in den nächsten neun Tagen, doch eine "heiße Spur" gibt es nicht. Ein Obdachloser, der früher öfter in der Nähe des Tatorts gesehen wurde, wird Monate später ausfindig gemacht - und entlastet. Der Mann sitzt wegen eines anderen Verbrechens bereits im Gefängnis, kann die Tat nicht begangen haben. Auch die Suche nach einer Hundebesitzerin als Zeugin bleibt ergebnislos. Einen Wanderer kann die Polizei später ausschließen, seine Blutgruppe stimmt nicht mit der gefundenen Probe überein. 10.000 Mark Belohnung für Hinweis auf Täter Die Staatsanwaltschaft entschließt sich zu einem verzweifelten Schritt. 10.000 Mark Belohung setzt die Behörde für einen Hinweis auf den Mörder der kleinen Silke aus. Unzählige Menschen aus dem Umfeld des Tatorts werden überprüft, trotzdem kann der Mörder nicht enttarnt werden. Die Polizei tappt im Dunkeln. Um weitere Zeugen ausfindig zu machen, wird die Tat in einem Video rekonstruiert und im naheliegenden Kaufhaus in Dauerschleife abgespielt. Da es keine konkreten Hinweise gibt, kann der Fall nicht in der Fernsehsendung Aktenzeichen XY ausgestrahlt werden. Die Suche bleibt aussichtlos. Es vergehen Monate, dann Jahre. Am Ende zählt die Akte des Falls mehr als 680 Spuren. Mit jedem Jahr scheint die Aufklärung unwahrscheinlicher zu werden. Doch geschlossen wird die Mordakte nicht. Erst neun Jahre später bringt der Zufall die Ermittlungen im Jahr 1993 erneut ins Rollen. Weil ein 42-jähriger Mann im Freibad Hidessen vor einem neunjährigen Mädchen onaniert haben soll, werden die Beamten auf den geistig und körperlich behinderten Detmolder Hans K. (Name geändert) aufmerksam. Sein Betreuer wollte den Mann, der bis dahin in einer betreuten Einrichtung gelebt hat, längst in einer geschlossene Abteilung unterbringen. K. soll immer häufiger Mädchen sexuell belästigt haben und aggressiver geworden sein. Auch der Psychologe, der den Detmolder wegen sexueller Übergriffe untersucht, wird stutzig. Ihm fällt Ks Reuelosigkeit auf, heißt es später. Kein unbekannter Täter Durch das Vormundschaftsgericht kommt es zu einer erneuten Überprüfung. Die Ermittler kennen Hans K. bereits, schon kurz nach dem Mord an Silke G. war der damals 33-Jährige befragt worden. Sein Arbeitsweg führte genau am Tatort an der Werre vorbei, er galt als verdächtig. "Er hatte sich damals seltsam verhalten und hatte ganz zerkratzte Hände", sagt Oberstaatsanwalt Christopher Imig heute. Da das Mädchen aus dem Fluss gezogen wurde, habe man jedoch kaum brauchbare Spuren gehabt. Zumal die Mitarbeiter der Lebenshilfe bestätigten, dass K. nach der Arbeit in einer Behindertenwerkstatt immer direkt in die Einrichtung zurückkehrt - sie geben ihm damit ein Alibi. Jetzt - neun Jahre später - verhält sich K. bei seiner erneuten Begegnung mit den Ermittlern auffällig. Er gibt an, "etwas getan zu haben". Die Polizisten reagieren, fahren mit dem 42-Jährigen zum Tatort an die Werre. Dort, wo im Sommer 1985 die Leiche gefunden wurde. K. weigert sich, aus dem Wagen auszusteigen, vergräbt sein Gesicht zwischen den Knien. "Ein typisches Täterverhalten", sagen die Ermittler. Zurück auf der Dienststelle kommt es endlich zum Geständnis. Ein verdrängter Mord "Ich hatte den Mord längst verdrängt", soll K. gesagt haben. Er habe sich an Silke vergehen wollen und sie erwürgt, als sich die Zehnjährige weigerte. Dann habe er das Mädchen in die Werre geworfen. Das Geständnis ist für die Ermittler schlüssig, zumal K. sogenanntes "Täterwissen" äußert, das nie in der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde. Um die Täterschaft zu untermauern, versuchen die Ermittler anhand von wenigen Spermaspuren, die an Silkes Kleidung gefunden wurden, einen "genetischen Fingerabdruck" festzustellen. Die Analyse kommt zu keinem genauen Ergebnis. "Er konnte damals jedoch auch nicht als Täter ausgeschlossen werden", sagt Oberstaatsanwalt Chrstopher Imig, der noch einmal einen Blick in die Akten geworfen hat. Weil Hans K. durch seine geistigen Behinderungen als unzurechnungsfähig gilt, kommt es 1994 zu einem Sicherungsverfahren. Das Urteil ist eindeutig. Der 43-Jährige wird in einer geschlossenen Anstalt untergebracht. Im Prozess kommt heraus, dass Silkes Möder schon in vielen Fällen auffällig geworden ist. Er beobachtete Mädchen, begrapschte und bedrohte sie. Zwei Fälle drangen bis zur Polizei. Rund 15.000 Tatverdächtige hatten die Ermittler überprüft Dennoch wollen weder seine Mutter noch Betreuer und Mitarbeiter der Lebenshilfe etwas von seiner offensiven Sexualität und Aggressivität gewusst haben. "Es ist ein Wunder, dass noch nicht mehr passiert ist. K. hätte schon längst in eine geschlossene Anstalt gehört", wird der Richter zitiert. Nach acht Jahren und fünf Monaten kann die Mordakte Silke G. endlich geschlossen werden. Ihre Eltern können mit der Aufklärung des Falls womöglich endlich Ruhe finden. In ihrer Verzweiflung hatten sie sich bereits zum ersten Jahrestags des Mordes in einem öffentlichen Brief an den unbekannten Täter gerichtet. "Mörder, nie würde ich dir zumuten, das zu durchleben, was du deinen weiteren Opfern zugefügt hast", steht darin geschrieben. Rund 15.000 Tatverdächtige hatten die Ermittler in all den Jahren überprüft - darunter auch Silkes Mörder. Hans K. ist heute 69 Jahre alt, er lebt inzwischen in einer betreuten Einrichtung in einem anderen Bundesland. War es doch ein Serienkiller? In Großbritanien aber taucht Jahre später eine andere Theorie auf. Der ehemaliger Ermittler Chris Clark vermutet, dass der Mord an Silke G. dem gefürchteten Serienkiller Robert Black zuzuordnen sein könnte. Der Brite (1947-2016) missbrauchte und ermordete in den 1980ern vier Mädchen. In seinem Buch "The Face of Evils: The True Story of Serial Killer Robert Black" hält der ehemalige Ermittler Chris Clark seine Vermutung fest. Black soll 1985 in Paderborn stationiert gewesen sein. Am Tag des Mordes an Silke sei er mit einer Lieferung nach Detmold beauftragt gewesen sein, so lautet die Vermutung. Die Theorie scheint ein Hirngespinnst zu sein, dennoch berichten mehrere Medien in Großbritannien über weitere ungeklärte Morde, die der Serienkiller noch begangen haben könnte. Robert Black kann dazu nicht mehr befragt werden. Er starb 2016 überraschend im Gefängnis.

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