
Düsseldorf/Bochum. Anfang September unterzeichneten das NRW-Schulministerium, die Ruhr-Universität Bochum und die NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einen Kooperationsvertrag zum Forschungsprojekt „Antisemitismus als soziales Phänomen in der Institution Schule". Eine Studie im Rahmen dieses Projekts soll im November an Schulen in NRW starten.
Bereits in ihrem ersten Bericht, der Anfang des Jahres erschienen war, machte Leutheusser-Schnarrenberger darauf aufmerksam, wie tief verwurzelt der Antisemitismus nach wie vor in der deutschen Gesellschaft ist. Laut einer Studie des World Jewish Congress äußerten 71 Prozent der Befragten zwar, null Toleranz für Antisemitismus zu haben, weshalb antisemitische Straftaten nachdrücklich verfolgt werden sollten. Gleichzeitig stimmten 34 Prozent der Aussage zu, dass der Holocaust von heutigen Problemen ablenke.
„Wir schauen uns an, was da im Unterricht eigentlich passiert"
Eine Studie im Auftrag der Europäischen Grundrechteagentur von 2018 stellte zudem einen klaren Zuwachs von Post-Holocaust-Antisemitismus sowie israelbezogenen Antisemitismus fest. So gaben 45 Prozent der Befragten in Deutschland an, dass Juden ihre Opferschaft im Holocaust für ihre eigenen Zwecke nutzen würden, 38 Prozent waren der Meinung, dass Juden selbst für einen höheren Antisemitismus sorgten. In diesem Zusammenhang verwies Leutheusser-Schnarrenberger darauf, wie wichtig schulische Bildung bei der Antisemitismusprävention ist. Allerdings sei es nicht einfach, antisemitischen Stereotypen ein positives Narrativ entgegenzusetzen.
Das nun gestartete Forschungsprojekt setzt hier an. Teil des Forschungsprojektes ist eine Studie, die von einer Forschergruppe der Ruhr-Universität Bochum ab November an mehreren Schulen in NRW durchgeführt werden soll. Dabei kommt erstmalig das Instrument der Unterrichtsbeobachtung zum Einsatz. „Wir schauen uns an, was da im Unterricht eigentlich passiert", sagt der Leiter der Studie, Karim Fereidooni. Der Juniorprofessor für „Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung" und sein Team beobachten, wie etwa der Staat Israel im Politikunterricht oder das Judentum im Fach Religion dargestellt werden.
Auf Grundlage der Studie sollen Unterrichtsmaterialien entwickelt werden
„Wir haben dabei alle Akteure im Blick. Es geht um den Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft", sagt Fereidooni. „Wir schauen nicht darauf, was gesagt, sondern was getan wird." Der Zeitplan für die Studie ist straff. Bis Mitte 2021 sollen erste Ergebnisse vorliegen. Bis dahin werden bis zu sechs Schulen besucht. Berufskollegs, Gymnasien und Gesamtschulen sollen es sein. Auch ein Vergleich zwischen ländlichem und städtischem Raum ist geplant. Laut NRW-Schulministerium werden die Namen der beteiligten Schulen nicht veröffentlicht, die Studie findet anonym statt. Fereidooni betont, dass es sich nicht um eine repräsentative Studie handele. „Die späteren Ergebnisse lassen sich nicht auf die Grundgesamtheit aller Schulen in NRW übertragen."
Auf Grundlage dieser Studie sollen Unterrichtsmaterialien entwickelt werden, die an den Schulen im Land zum Einsatz kommen. Zudem sollen auch Konzepte für Fortbildungen von Lehrkräften entwickelt werden. Fereidooni, der selber jahrelang als Lehrer für Deutsch und Politik gearbeitet hat, weiß, dass Lehrer heutzutage viel leisten müssen, in der Ausbildung darauf aber zum Teil nicht vorbereitet werden. „Wir wollen erreichen, dass Antisemitismuskritik als ganz normale Kompetenz der Lehrerkräfte angesehen wird."