Altena/Werdohl/Wuppertal/Trier (dpa/AFP/bjp/kthi). Im Zusammenhang mit den schweren Unwettern sind in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mindestens 59 Menschen ums Leben gekommen. Im Kreis Euskirchen stieg die Zahl der Todesfälle am Nachmittag auf 15 an. Im besonders betroffenen Raum Bad Neuenahr-Ahrweiler in der Eifel starben mindestens 19 Menschen, wie die Polizei in Koblenz am Donnerstagnachmittag erklärte. Die Kreisverwaltung sprach am späten Donnerstagabend von rund 1.300 vermissten Personen. Zugleich teilte der Kreis mit, dass es weitere Todesopfer gebe. Zahlen wollte die Sprecherin dazu am Abend noch nicht nennen.
Um Mitternacht meldete der Wasserverband Eifel-Rur (WVER), dass die Rurtalsperre seit 23.50 Uhr überläuft. Zunächst war der Überlauf schon für 20 Uhr am Donnerstagabend prognostiziert worden. Laut WVER hatten sich die Zuflüsse zu den Talsperren aber in den letzten Stunden dermaßen reduziert, dass der Überlauf erst gegen Mitternacht und "mit einer geringen Dynamik" begann.
Dennoch gehen Experten vor Ort von Schäden vor der Talsperre und hunderten Häusern unter Wasser aus. Die Talsperre selbst werde wegen der sogenannten Hochwasserentlastungsrinne keinen Schaden nehmen, erklärte der Wasserverband. In den Städten Heimbach, Nideggen und der Gemeinde Kreuzau bestehe jedoch die Gefahr von Überflutungen, teilte der Kreis Düren mit.
Wer sich in tiefer gelegenen Bereichen entlang der Rur aufhalte, solle Heiz- und Kochgeräte ausschalten und den Bereich sofort verlassen. Auch für die weiter flussabwärts gelegenen Städte werde solches Verhalten empfohlen. Eine Hochwassergefahrenkarte zeigte die durch Überschwemmung bedrohten Gebiete.
Pegel-Anstieg drei Stunden nach Überlauf bemerkbar
Am frühen Freitagmorgen twitterte der Kreis, der Pegel-Anstieg der Rur könnte sich etwa drei Stunden nach dem Überlauf bemerkbar machen, in Düren nach ca. vier und in Jülich nach 6 bis 7 Stunden.
Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) ging am späten Abend von neun weiteren Todesopfern durch die Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz aus. „Wir gehen davon aus, dass wir neun weitere Tote bergen konnten durch die Feuerwehr, das ist jedenfalls die Meldung der technischen Einsatzleitung", sagte Lewentz im SWR Fernsehen. Bei den neun Personen soll es sich um Bewohner einer Behinderteneinrichtung in Sinzig handeln. Auch mögliche weitere Opfer seien angesichts der großen Zahl von rund 40 bis 60 weiterhin vermissten Menschen zu befürchten, machte der Innenminister deutlich.
In Nordrhein-Westfalen kamen außerdem zwei Feuerwehrmänner im Einsatz in Altena und Werdohl ums Leben. In Solingen und im Kreis Unna starben zwei Männer in überfluteten Kellern, drei weiterere Todesfälle wurde aus Rheinbach gemeldet. Auch aus Köln und Geilenkirchen (Kreis Heinsberg) meldet die Polizei jeweils zwei tot geborgene Menschen in Kellern. Wie das NRW-Innenministerium am Donnerstagabend mitteilte, seien noch weitere Todesfälle zu beklagen. Nähere Angaben gab es zunächst nicht.
Für Wuppertal und Teile des Ennepe-Ruhr-Kreises hat der Deutsche Wetterdienst am Donnerstagabend erneut vor schweren Gewittern mit heftigem Starkregen gewarnt. Innerhalb einer Stunde könnten dabei bis zu 40 Liter Regen fallen. Auch vor Sturmböen wurde gewarnt. Eine amtliche Unwetterwarnung galt zunächst bis 20.45 Uhr. Auch nordöstlich davon in Hagen, Dortmund, im Kreis Unna und in Hamm warnte die Wetterbehörde am Abend vor starkem Gewitter mit kräftigem Regen.
Bundeskanzlerin kündigt Unterstützung an
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Hilfen des Bundes für die Unwettergebiete angekündigt. Wo der Bund helfen könne, "werden wir das tun", sagte Merkel am Donnerstag am Rande eines Besuchs in Washington. Derzeit stehe noch die "akute Situation im Fokus" - die Bundesregierung werde aber bald darüber beraten, wie sie die "Aufbauarbeiten" unterstützen könne. Merkel zeigte sich erschüttert über die vielen Toten der Katastrophe. "Noch wissen wir die Zahl nicht, aber es werden viele sein", sagte sie. "Es sind so viele, um die wir noch bangen müssen." "Friedliche Orte durchleben in diesen Stunden eine Katastrophe, man kann sagen eine Tragödie", sagte Merkel weiter. "Ich bin erschüttert von den Berichten aus den Orten, die jetzt ganz unter Wasser stehen." Sie wolle aus Washington ein "Zeichen der Anteilnahme und Solidarität" nach Deutschland schicken.
Häuser in der Eifel eingestürzt
Nach schweren Regenfällen waren in der Eifel in der Nacht zu Donnerstag sechs Häuser eingestürzt. Mehrere weitere Häuser in der Gemeinde Schuld im Landkreis Ahrweiler seien einsturzgefährdet, sagte ein Polizeisprecher der Nachrichtenagentur AFP. Laut rheinland-pfälzischem Innenministerium wurden am Mittag noch rund 50 bis 70 Menschen vermisst.
25 weitere Häuser drohten ebenfalls einzustürzen. In Altenahr im Kreis Ahrweiler seien etwa 50 Bewohner auf die Dächer ihrer Wohnhäuser geflüchtet. Die bekannten Todesopfer wurden demnach an mehreren Orten gefunden. Etliche Retter aus OWL sind ihren Kollegen zur Hilfe geeilt, darunter Feuerwehr- und Rettungskräfte aus Bielefeld, Gütersloh und dem Kreis Herford.
Die Landesregierung Rheinland-Pfalz zeigte sich erschüttert von den Bildern:
Klinik in Leverkusen muss geräumt werden
Tief "Bernd" bestimmt mit feuchtwarmen Luftmassen das Wetter in Deutschland. Dem Deutschen Wetterdienst zufolge bleibt es in den nächsten Tagen wechselhaft mit Schauern und Gewittern, teils mit heftigem Starkregen. Die Unwettergefahr soll aber abnehmen.
In Euskirchen drohte in der Nacht der Damm der Steinbachtalsperre zu brechen. Daher sei am Donnerstag die Autobahn 61 zwischen Bliesheim und Meckenheim vollgesperrt worden, teilte die Polizei mit. Zuvor war die A61 bereits gesperrt worden, weil die Autobahn von Wasser überflutet worden sei. Zur Beobachtung des Dammes seien das THW und die Polizei vor Ort. Der Verkehr wird auf die A565 umgeleitet.
Die Behörden des Kreises Euskirchen berichteten am Donnerstag von mehreren Toten, die genaue Zahl sei aber noch unbekannt. "Derzeit sind uns acht Todesfälle bekannt", hieß es am Donnerstag auf der Facebook-Seite des Kreises. Weshalb genau die Menschen im Zusammenhang mit dem Unwetter starben, teilte der Kreis zunächst nicht mit. Zahlreiche Orte seien nicht zu erreichen, auch die Kommunikation sei zusammengebrochen, die Notrufzentrale nicht erreichbar.
In Euskirchen werden die Einsatzkräfte von den Feuerwehren aus den Kreisen Gütersloh und Lippe unterstützt:
Wegen der Gefahr des Dammbruchs an der Steinbachtalsperre werden zwei Ortsteile von Rheinbach im Rhein-Sieg-Kreis evakuiert. Das teilte die Feuerwehr am Donnerstag mit. „Dies ist eine Vorsichtsmaßnahme, da nicht sicher ist, ob der Damm der Steinbachtalsperre gehalten werden kann", heißt es in der Mitteilung. Bei der Evakuierung von Oberdrees und Niederdrees würden auch Lastwagen der Bundeswehr eingesetzt. Wer nicht bei Familienangehörigen oder Bekannten unterkommen könne, finde eine Notunterkunft in der die Stadthalle Rheinbach.
Wegen einer Störung der Stromversorgung muss in Leverkusen ein Krankenhaus komplett evakuiert werden. Betroffen seien 468 Menschen, teilte das Klinikum Leverkusen am Donnerstagmorgen mit. Bereits in der Nacht sei der Notstrom ausgefallen, einige Stationen seien ohne Licht gewesen. "Die medizinischen Geräte der Intensivstationen mussten teilweise mit Akkus betrieben werden", teilte das Klinikum mit. Auslöser des Stromausfalls war das Hochwasser des Flüsschens Dhünn. Dadurch wurde ein Kurzschluss an zwei Trafos ausgelöst, der Strom fiel aus. Wie lange die Reparatur dauere, sei unklar.
Menschen im Ruhrgebiet sollen Wasser abkochen
In mehreren Städten im Ruhrgebiet sollen Anwohner wegen des Hochwassers ihr Trinkwasser abkochen. „Es ist mit gravierenden Geschmacks- und Geruchsveränderungen zu rechnen", teilte die Stadt am Donnerstag mit. Betroffen seien die Versorgung von Mülheim an der Ruhr (ohne Mintard), Ratingen-Breitscheid und Teile von Oberhausen und Bottrop. Durch das Hochwasser sei das Uferfiltrat von Flusswasser beeinträchtigt worden, hieß es in der Mitteilung. Die Wasserwerksgesellschaft desinfiziere das Wasser daher mit Ozon, UV-Licht und Chlor „in extrem hoher Konzentration".
In Hückeswagen im Oberbergischen Kreis lief aufgrund der heftigen Regenfälle die Bevertalsperre über. Das Wasser liefe aktuell unkontrolliert über den Rand der Staumauer, teilte ein Sprecher der Leitstelle am frühen Morgen mit. Mehr als 1.000 Menschen mussten demnach ihre Häuser verlassen.
Der Krisenstab im Rhein-Erft-Kreis hat den Katastrophenfall ausgerufen. Wegen der Hochwasserlage entlang der Erft bestehe die Gefahr, dass sich die bisher örtlich begrenzte Lage neben Erftstadt auch auf Kerpen, Bergheim und Bedburg ausweiten könnte, heißt es in einer Pressemitteilung von Donnerstag. Die kreisangehörigen Kommunen wurden aufgefordert, „die notwendigen Maßnahmen des Bevölkerungsschutzes wie insbesondere Evakuierungen und Unterbringungen vorzubereiten und vorzunehmen".
Nach enormen Regenfällen haben die Behörden im Bergischen Land einen unkontrollierten Überlauf der Wupper-Talsperre bei Radevormwald befürchtet. Einsatzkräfte der Feuerwehr können das Wasser nach Angaben eines Sprechers der Leitstelle Oberbergischer Kreis mittlerweile jedoch kontrolliert ablaufen lassen, eine Flutwelle drohe nicht mehr. Aus Sicherheitsgründen wurden die Anwohner der Wupper in Radevormwald bereits seit dem späten Abend aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen, auch mit Lautsprecherdurchsagen. Für Betroffene wurde eine Betreuungsstelle in einer Grundschule in Radevormwald eingerichtet.
Mehrere Häuser sowie ein Tierheim wurden am frühen Morgen in Solingen-Unterburg aufgrund des Hochwassers evakuiert. Der Wasserzufluss bleibe derzeit unvermindert hoch, wie ein Sprecher des Polizeipräsidiums Wuppertal mitteilte. Demnach werde das Wasser momentan von Einsatzkräften der Feuerwehr abgelassen, was sich auf das Stadtgebiet auswirkt. Die Bewohner konnten in Notunterkünften und teilweise bei Bekannten untergebracht werden.

Auch in Wuppertal sorgten heftige Regenfälle zu einem Anstieg der Wupper und so für überflutete Straßen. Wie ein Sprecher der Polizei am frühen Morgen mitteilte, wurden einige Straßen auf der Talachse entlang der Wupper gesperrt. Anwohner wurden demnach aufgefordert, sich nicht in Kellergeschossen aufzuhalten, sondern sich in höher gelegene Wohnungen zu begeben. Trotz der angekündigten Flutwelle sei die Unwetterlage in der Stadt aber noch überschaubar, teilte der Sprecher weiter mit. Die Feuerwehr wies auf Twitter vorzeitig darauf hin, den Trinkwasserverbrauch vorsorglich einzuschränken. Durch einen Stromausfall sei auch die Wasserversorgung betroffen.
Die Wuppertaler Schwebebahn kann wegen des Unwetters am Wochenende nicht fahren. „Wegen der Schäden an einigen Haltestellen ist eine Aufnahme des Schwebebahnverkehrs am Wochenende nicht möglich", teilten die Wuppertaler Stadtwerke mit. Am Hauptbahnhof sei ein Gerüst für Sanierungsarbeiten zerstört worden. „Nach Absinken des Wupperpegels müssen das Schwebebahngerüst und die Stützenfundamente auf Schäden untersucht werden."
Der Hochwasser führende Fluss Inde hat am Donnerstag einen Deich in der Nähe des Braunkohletagebaus Inden bei Aachen überspült und ist in den Tagebau geflossen. Die Suche nach einem dort vermissten Mitarbeiter sei am Nachmittag unterbrochen worden, sagte ein Sprecher der Polizei. Die Suche mit Hubschrauber und Wärmebildkamera habe bislang keinen Erfolg gehabt. Nach Angaben des Tagebaubetreibers RWE blieb der Abbaubetrieb unterbrochen. Das Wasser der Inde fließe weiter in den Tagebau ein, jedoch falle der Wasserstand.
Bahnbetrieb teilweise eingestellt
Die Deutsche Bahn riet allen Bahnreisenden, Nordrhein-Westfalen weiträumig zu umfahren. "Bitte verschieben Sie Reisen von und nach NRW nach Möglichkeit auf die kommenden Tage", hieß es in einer Mitteilung. Am Mittwoch wurde auf zahlreichen Bahnlinien der Betrieb eingestellt. Die Bahn berichtete unter anderem von Verspätungen und Ausfällen von Zügen zwischen Köln und Düsseldorf sowie zwischen Köln und Wuppertal. Die Strecken zwischen Köln und Koblenz waren auf beiden Seiten des Rheins nicht befahrbar. ICE-Züge zwischen Frankfurt und Brüssel fuhren nur zwischen Frankfurt und Köln. Aus dem Norden kommende Züge enden derzeit in Hamm und Münster, aus dem Süden kommend ist spätestens in Köln Schluss. Alle Infos über Beeinträchtigungen

In Altena im Sauerland kam bei der Rettung eines Mannes nach dem Starkregen ein 46 Jahre alter Feuerwehrmann ums Leben. Er wurde von den Wassermassen fortgerissen und ertrank. Das bestätigte ein Sprecher der Polizei im Märkischen Kreis. Nur zwei Stunden später kollabierte ein 52 Jahre alter Feuerwehrmann bei einem Einsatz im Bereich des Kraftwerks Werdohl-Elverlingsen. Er sei trotz Reanimations- und Hilfsmaßnahmen gestorben, teilte die Polizei mit. Die Polizei gehe von einem gesundheitlichen Notfall aus.
In Altena waren - wie in vielen anderen Orten - Keller und Straßen überflutet. Der über die Ufer getretene Fluss Lenne verschärfte dort die Situation zusätzlich. Das Wasser lief in die Innenstadt. Altena sei "so gut wie nicht erreichbar", teilte die Polizei am Nachmittag mit.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hatte seine Teilnahme an einer CSU-Klausur abgesagt und sich am Donnerstag stattdessen in der Stadt ein Bild von der Lage gemacht. Er sagte den betroffenen Kommunen finanzielle Hilfe zu und dankte den Behörden für ihre frühzeitigen Vorbereitungen, die eine größere Katastrophe verhindert hätten.
In Rheinland-Pfalz rief der Kreis Vulkaneifel nach starken Regenfällen und Überschwemmungen den Katastrophenfall aus. "Die Lage ist sehr ernst, wir haben viele überschwemmte Straßen und Ortschaften, die nicht mehr erreichbar sind", sagte Landrätin Julia Gieseking am Mittwochabend in Daun. Die Schulen im Kreis sollen am Donnerstag geschlossen bleiben.
Nach Überschwemmungen wegen anhaltender Regenfälle wurde am Mittwochabend im Landkreis Trier-Saarburg die zweithöchste Alarmstufe ausgerufen. Nach einer Mitteilung der Technischen Einsatzleitung des Brand- und Katastrophenschutzes waren am frühen Donnerstagmorgen die Verbandsgemeinden Trier-Land, Schweich und Konz am heftigsten vom Hochwasser betroffen.
INFORMATION
Die Polizei hat zur Hochwasserkatastrophe in der rheinland-pfälzischen Eifel eine Hotline für Angehörige sowie ein Internetportal für Videos und Bilder eingerichtet. Unter der Nummer 0800-6565651 könnten sich Menschen melden, die Angehörige vermissen, schrieb das Polizeipräsidium Koblenz am Donnerstag auf Twitter. Auf einem Hinweisportal könnten Videosequenzen und Fotos hochgeladen werden, "die Hinweise auf vermisste Personen und Tote geben können".