Meinung

Kommentar zum Kontaktverbot: Ein kluger Kompromiss

Der jetzt getroffene Kompromiss ist extrem - und nimmt trotzdem Rücksicht.

Mehr als zwei Menschen dürfen ab Montag nicht mehr in der Öffentlichkeit versammelt sein. | © picture alliance / SvenSimon

Andreas Niesmann
22.03.2020 | 22.03.2020, 23:18

Die gute Nachricht vorweg: Wenn der Druck nur groß genug ist, funktioniert der deutsche Föderalismus noch. Bisweilen bringt er dann sogar vergleichsweise kluge Entscheidung hervor. Das Kontaktverbot, auf das sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten am Sonntag bei einer telefonischen Krisensitzung verständigt haben, ist eine kluge Entscheidung.

Das klügste daran ist, dass es keine allgemeine Ausgangssperre geben wird. Bei der schwierigen Abwägung zwischen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und dem auf persönliche Freiheit haben Merkel und die Ministerpräsidenten einen akzeptablen Kompromiss gefunden: Ansammlungen von mehr als zwei Menschen in der Öffentlichkeit werden verboten.

Ausgangssperre kein Allheilmittel

Das trägt dem Interesse der Menschen Rechnung, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Vorerkrankung einen schwerwiegenden Verlauf einer Covid-19-Infektion fürchten müssen. Familien und Wohngemeinschaften aber dürfen nach wie vor zusammen spazieren gehen. Auch Sport im Freien bleibt möglich. Damit nimmt die Regierung auf all jene Rücksicht, die um ihre Bewegungsfreiheit fürchten.

Eine allgemeine Ausgangssperre ist kein Allheilmittel. Es ist noch nicht einmal bewiesen, dass durch sie die Infektionszahlen deutlich stärker sinken als durch die nun beschlossenen Maßnahmen. Sicher ist aber, dass eine Ausgangssperre ein massiver Eingriff in die persönlichen Freiheiten und Grundrechte jedes Einzelnen darstellt.

Gut, dass Härte sich nicht durchgesetzt hat

Und sie ist nicht zuletzt auch eine soziale Frage. Familien, die auf beengtem Wohnraum leben und dazu noch kleine Kinder haben, leiden unter einer solchen Sperre ungleich mehr als kinderlose Eigenheimbesitzer mit großzügigem Garten. Und die sozial Schwachen trifft die Krise ohnehin schon hart genug.

Die Regierungschefs haben der Versuchung mehrheitlich widerstanden, dem Druck des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder nachzugeben. Dessen Krisenmanagement zielt erkennbar darauf ab, den härtesten aller harten Hunde zu markieren. Dass sich diese Geisteshaltung nicht durchgesetzt hat, ist ein gutes Zeichen.

Der Maßnahmen-Flickenteppich war kaum zu erklären

Eines Tages wird dieser Krise vorüber sein. Dann wird der Zeitpunkt kommen, an dem unsere Gesellschaft ihre Lehren ziehen wird. Die Reform des Föderalismus wird dann wieder auf die Tagesordnung kommen. Zweifellos hat der Corona-Ausbruch einige Schwächen im Bund-Länder-Geflecht offengelegt. Flickenteppiche bei dem, was verboten und erlaubt ist, sind kaum jemanden zu erklären - vor allem nicht in den Grenzregionen der Bundesländer.

Und trotzdem war es ein starkes Stück, das sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Wochenende geleistet hat. Über Nacht hat der CDU-Mann den Versuch unternommen, die Bundesländer zu entmachten. Sein Entwurf für ein überarbeitetes Infektionsschutzgesetz sah vor, im Pandemie-Fall wesentliche Kompetenzen der Ländern an den Bund zu übertragen.

Der öffentliche Beifall dafür war ihm sicher. Der Ruf nach deutschlandweit einheitlichen Regelungen war zuletzt unüberhörbar. Genau deshalb steht er nun unter dringendem Populismus-Verdacht.

Vielleicht liefe es ohne um Macht ringende CDU-Größen reibungsloser

Dabei ist Spahns Vorschlag, in der Krise Kompetenzen zu bündeln und Vielstaaterei zu verhindern, im Kern sinnvoll. Das Virus macht eben nicht an innerdeutschen Landesgrenzen halt. Und trotzdem hätte er die Länder fragen müssen. Weitreichende Änderungen wie solche im komplexen Bund-Länder-Verhältnis trifft man nicht allein, sondern gemeinsam. Und vor allem trifft man sie mit einem kühlen Kopf und nicht auf dem Höhepunkt einer Krise.

Womöglich würden die Absprachen zwischen Bund und Ländern insgesamt reibungsloser laufen, wenn nicht gleich mehrere Männer daran beteiligt wären, die in der Union um Macht und Einfluss ringen. Neben Spahn und Söder spielt auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet eine Schlüsselrolle. Mit der Feststellung, dass ihr Krisenmanagement auch von persönlichen Ambitionen getrieben ist, tritt man keinem der drei Herren zu nahe. Auch darüber wird noch zu reden sein. Später - wenn das Schlimmste vorbei ist.

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