Pogromgedenken in Paderborn: "Schweigen ist genau das falsche Rezept"

Paderborn. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden auch die Paderborner Juden verprügelt, verhaftet und beraubt. Die 1882 errichtete Synagoge am Busdorf brannte nieder – und die Paderborner Feuerwehr schaute zu. Auf einer großen Bildschirmwand erstand sie allerdings Dienstagnacht vorübergehend wieder: als Ergebnis einer Rekonstruktionsarbeit von Mitarbeitern der TU Darmstadt auf Basis von Materialien aus dem Stadtarchiv und von Zeitzeugenaussagen. Die Aktion war Teil einer Kampagne des Jüdischen Weltkongresses in 13 deutschen Städten, der damit nach eigenen Angaben Verlorenes sichtbar machen und zum Gespräch mit den jüdischen Gemeinden anregen will. Zum Gedenken an die Pogromnacht hatten zuvor die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) und die Stadt Paderborn an das Mahnmal auf dem Platz "An der Alten Synagoge" vor dem St.-Vincenz-Krankenhaus eingeladen. Dazu kamen nach Schätzung der Polizei diesmal über 300 Menschen - mehr als in den Vorjahren. Die Vorsitzende der GCJZ, Monika Schrader-Bewermeier, erinnerte in ihrer Begrüßung unter anderem an konkrete Schicksale aus Paderborn. Bürgermeister Michael Dreier sprach vom Platz "An der Alten Synagoge" als einem "zentralen Ort, an dem das Verbrechen Gestalt annahm". Der Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde, Alexander Kogan, sprach das Gedenkgebet &bdquo;El male Rachamin" (Gott voller Erbarmen). Den musikalischen Rahmen gestaltete René Madrid auf dem Akkordeon. "Der stumme Schrei vor Gott" Es mache sprachlos, was Menschen an Verachtung und Grausamkeit möglich war, sagte Domkapitular Michael Menke-Peitzmeyer in seiner Gedenkrede. Auch für gläubige Menschen bleibe angesichts der Shoah nur das schweigende Gedenken, der stumme Schrei vor Gott. Der Geistliche schloss daraus jedoch: "Was für die Vergangenheit gilt, das Geschehene sprachlos und schweigend auszuhalten, ist im Blick auf Gegenwart und Zukunft allerdings genau das falsche Rezept." Es sei "eindringlich davor zu warnen, heute sprachlos zu bleiben und zu schweigen, wenn sich Anzeichen dafür breit machen, dass Menschen in unserer Gesellschaft diffamiert, schikaniert oder mit Gewalt attackiert werden". Aus der Erinnerung heraus ergebe sich die Verpflichtung zum Handeln im Alltag. Damit verbinde sich die Hoffnung, nicht in die Spur von 1938 zu geraten. Erst Boykotte, dann physische Verfolgung Erst Boykotte, diskriminierende Gesetze und Verdrängung aus dem öffentlichen Leben, dann die physische Verfolgung. So war die Spirale der Gewalt damals in Gang gesetzt worden. Unter Führung eines SS-Hauptsturmführers zogen damals Kommandos durch die Stadt, zerstörten Schaufenster und Häuser und drangen gewaltsam in Wohnungen ein, wo Inventar zerschlagen wurde. Fast alle Paderborner Juden wurden dabei brutal aus ihren Betten geholt und verhaftet. Sie kamen ins KZ Buchenwald und erst nach Wochen zurück. Mindestens zwei Menschen starben an den Folgen der Haft. Schon nachts waren Schläger auch in die Synagoge eingedrungen, zögerten jedoch mit Rücksicht auf das benachbarte St.-Vincenz-Krankenhaus, dort auch Feuer zu legen. Als die Paderborner Feuerwehr bis zum Mittag die Nachbargebäude durch Auslegen von Schläuchen gesichert hatte, setzten ein SS-Führer namens Nagorny und der Paderborner Stadtbaurat Dr. Keller die im Innern gestapelten und mit Öl übergossenen Holzbänke in Brand. Erst als die Kuppel einstürzte, begann die Feuerwehr mit den Löscharbeiten, auch das jüdische Gemeindehaus brannte aus.

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