Wie Antisemitismus das Lübbecker Land schon vor der NS-Zeit prägte

Lübbecker Land. Wir berichteten in zwei Folgen über das Leben von Alfred Ehrlich zur Zeit des Nationalsozialismus und auch darüber, wie er 1945 aus dem KZ Bergen-Belsen nach Preußisch Oldendorf zurückgekehrte. Aber auch schon vor 1933 gab es in Deutschland und im Minden-Lübbecker Land Judenhass und die Verteufelung jüdischer Einwohner. Warum war das so und was waren wichtige Ereignisse? Der römische Kaiser Konstantin hatte ab dem Jahr 313 das Christentum neben der römischen Staatsreligion zugelassen. Seine Nachfolger erhoben den christlichen Glauben zur römischen Staatsreligion. Für die christliche Kirche war der jüdische Glaube nun eine konkurrierende Religionsgemeinschaft und wurde bekämpft, weil Teile der Kirche in den Juden &bdquo;Christusmörder“ sahen. Diese hatten nach ihrer Ansicht, im Neuen Testament belegt, von dem römischen Statthalter Pilatus mit dem Ruf: &bdquo;Kreuzige ihn“ den Tod von Jesus Christus am Kreuz verlangt. Nach der Eroberung Jerusalems durch den Islam kam es im Deutschen Reich zu blutigen Verfolgungen der Juden, besonders bei dem Kreuzzug des Jahres 1096. Schriftquellen aus dem Lübbecker Land in dieser Zeit sind nicht nachgewiesen. Bei der großen Pest um 1350 wurden die Juden im ganzen Deutschen Reich hierfür verantwortlich gemacht und an vielen Orten umgebracht. Von diesem reichsweiten Judenpogrom der Jahre um 1350 zeugt noch der Stein an der St.-Andreaskirche in Lübbecke neben der Nordtür, der von der furchtbaren Notzeit der Pest kündet. Kleidung der Juden gekennzeichnet Die übersetzte Inschrift lautet: &bdquo;Im Jahre des Heils 1350, als die Pest wütete, die Geißler umhergingen und die Juden getötet wurden, ist diese Kirche erweitert worden“. Also auch in der Stadt Lübbecke wurden die jüdischen Einwohner durch den aufgehetzten Mob ermordet. Dass Bürgermeister, Ritterschaft und Rat der Stadt hinter diesen Morden standen, ist nicht anzunehmen. Die katholische Staatskirche und das Reich übernahmen nach den Pogromen das Vermögen der getöteten Juden, obwohl der König/Kaiser als Reichsoberhaupt und Inhaber des Judenregals zum Judenschutz verpflichtet war. Auch im Jahre 1451 wurde im Minden-Lübbecker Land die alltägliche Diskriminierung der Juden deutlich. In diesem Jahr war nämlich der römische Kardinal und Papstlegat Nikolaus von Kues in der Stadt Minden anwesend. Er verordnete im Mindener Dom, dass die Juden im Bistum Minden ab Weihnachten 1451 einen safrangelben Ring an der Kleidung tragen und die Jüdinnen zwei blaue Streifen auf ihre Kleidung nähen mussten. Auf diese Weise sollten die Christen sie von Weitem erkennen und Abstand halten können. Der NS-Staat zwischen 1933 und 1945 berief sich auf ihn und auch er verordnete das Tragen eines &bdquo;Judensterns“ für die Juden. Bei Nikolaus von Kues ging es jedoch nicht um Rassismus im Sinne seiner furchtbaren Ausprägung im Holocaust, sondern um eine vom christlichen Glauben bestimmte Abgrenzung zwischen Christen und Juden. In Magdeburg hatte der Kardinal die Befolgung der Kleiderordnung u. a. durch den &bdquo;Judenhut“ verfügt. Nach dem Judenpogrom von 1350 sind im Lübbecker Land keine jüdischen Einwohner mehr bis zum 16. Jahrhundert nachzuweisen. Martin Luther wandelte sich radikal Die Reformation Martin Luthers mit ihrer stark bibelbetonten Theologie hätte Anlass für eine Neuorientierung und mehr Toleranz gegenüber den Juden sein können. Martin Luther war anfangs 1523 dafür, die Juden als Mitmenschen zu behandeln und sie in weltlichen Dingen gleichzustellen. Sie ließen sich aber nicht zu seiner Theologie bekehren. Nun wandelte sich Martin Luther radikal. Er wollte seine reformatorische Gemeinde vor den Juden schützen. Jedes Mittel der Verteufelung war ihm recht. 1543 rief er sogar in seinem Buch &bdquo;Von den Juden und ihren Lügen“ dazu auf, man solle &bdquo;ihre Synagogen und Schulen mit Feuer anstecken“, was später die Nazis in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 verwirklichten. Die christlichen Geistlichen versuchte Luther anzustiften, die jüdischen Familien zu vertreiben und ihnen ihr Vermögen zu nehmen. Daraufhin wurden z. B. die Juden in Braunschweig unter Berufung auf Martin Luther mindestens kurzzeitig vom Mob aus der Stadt gejagt. Erst im 16. Jahrhundert wieder jüdische Einwohner Aus dieser Zeit sind auch in Oldendorf die Vorbehalte gegen Juden aus der katholischen Zeit im 16. Jahrhundert zu spüren. Der um 1520 neu erstellte dem Heiligen Dionysius geweihte Flügelaltar, die Kirche war 1506 ausgebrannt, zeigt in einer Szene des Altars noch heute antijüdische Motive. Jüdische Männer sind mit Spitzhüten zu sehen, dem von dem römischen Kardinal Nikolaus von Kues geforderten Diskriminierungsmerkmal für Juden. Allerdings sind 1520 jüdische Einwohner in Oldendorf nicht bekannt. Erst im 16. Jahrhundert sind wieder jüdische Einwohner in der Stadt Lübbecke nachweisbar. Die Stadt Lübbecke forderte 1595 vom Mindener Bischof als Landesherrn die Ausweisung der Juden. Die christlichen Handwerksämter (Zünfte) und die Kaufmannschaft sahen nämlich die Juden wohl als lästige geschäftliche Konkurrenz an. Der Mindener Bischof Anton von Schaumburg verordnete daher am 14. November 1595, dass alle Juden Lübbecke verlassen mussten und auf Ewigkeit nicht wiederkehren sollten. Ähnlich war es in der Grafschaft Ravensberg und auch im Amt Limberg. Der Landesherr, der Herzog von Jülich und Berg, Graf von Ravensberg, erließ hier 1554 ein Ausweisungsedikt für Juden. Aber wo sollten die Menschen denn hin? Mehrere Wiederholungen des Ediktes in den Jahren 1595, 1596 und 1597 belegen die Nichtbeachtung durch die unteren Behörden, denn diese Menschen mussten ja irgendwo leben. So ist es nicht verwunderlich, dass 1596 im heutigen Bad Holzhausen in der Grafschaft Ravensberg ein jüdischer Saatguthändler mit seiner Ehefrau lebte, der das Damenstift Levern mit Sämereien für deren Klostergarten belieferte. Es wurde nur für die eigenen Armen gesorgt In Brandenburg-Preußen war im 17. Jahrhundert und später der evangelisch-lutherische und reformierte Glaube Staatsreligion. Von 1682 bis 1684 sind in den Kirchenrechnungen der Oldendorfer St.-Dionysius-Kirche bedürftige durchreisende Juden erwähnt, die an die Kirchenpforte klopften und um Unterstützung baten. Sie erhielten nichts. Nur dann, wenn sie zum christlichen Glauben übergetreten waren, erhielten sie kleine Geldbeträge. Aber auch dies war aber kein Diskriminierungsmerkmal für Menschen jüdischer Religion, denn auch ein Katholik hätte nichts bekommen. Im Armenwesen dieser Zeit sorgte jede Religionsgemeinschaft für die eigenen Armen. Hinsichtlich der Juden hat sich dies bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes 1945 nicht geändert. Der tolerantere brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm I. wurde nach dem 30-jährigen Krieg ab 1647 beginnend im Fürstentum Minden und der Grafschaft Ravensberg Landesherr und beanspruchte nun das Judenregal. Er erkannte nüchtern den wirtschaftlichen Nutzen der Juden bei verschiedenen ihnen seit dem Mittelalter zugewiesenen Gewerben für den Wiederaufbau des vom 30-jährigen Krieg stark betroffenen Landes. Auch im Minden-Lübbecker Land wurden nun planmäßig bei gleichzeitiger scharfer Glaubensabgrenzung jüdische Familien angesiedelt, die nur bestimmte Gewerbe betreiben durften. Diese Familien hatten nicht die Rechte christlicher Einwohner. Sie waren in allem dem Kurfürsten untertan, er konnte mit ihnen machen, was er wollte. Unter dem &bdquo;Großen Kurfürsten“, wie Friedrich Wilhelm I. genannt wurde, gab es aber für die Juden Rechtsschutz, was ihnen schriftlich in ihren Geleitbriefen (Aufenthaltsgenehmigungen) zugesichert wurde.

Meistgelesen