Plädoyers

Hiller Dreifachmord: Keiner will es gewesen sein

30 Prozesstage hat es gebraucht, bis die beiden Angeklagten im Hiller Dreifachmord-Prozess ihren Mund aufmachen. Doch was sie sagen, trägt auch nach zehn Monaten nicht dazu bei, die Taten aufzuklären.

Niemand wolle hören, dass dieses Foto im Spaß entstanden sei, erklärte die Verteidigerin von Jörg W., Nicole Friedrich, gestern vor dem Landgericht Bielefeld. Ihr Mandant sei schon früh vorverurteilt worden, meint sie. | © Foto: Polizei

Stefanie Dullweber
12.07.2019 | 13.07.2019, 12:39

Hille. Drei Menschen sind gestorben, aber sowohl Jörg W. als auch Kevin R. bestreiten, etwas mit den Tötungen von Gerd F., Jochen K. und Fadi S. zu tun zu haben. „Ich kann mich nicht entschuldigen, weil ich nichts getan habe. Dabei bleibe ich", sagte Jörg W. in seinem letzten Wort vor Gericht. Und weiter: Die Opfer täten ihm leid. Er habe im Prozess geschwiegen, weil es einen Mordauftrag gegen ihn gebe und ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt sei. „Die Opfer und die Angehörigen tun mir leid, auch die Kinder", sagte auch der 25-Jährige Kevin R.. Er wolle klar stellen, dass er kein „kalter Mensch" sei. Zu den Taten aber äußerte R. sich nicht weiter.

Im Mittelpunkt des 30. Prozesstages am Landgericht Bielefeld standen neben dem letzten Wort der Angeklagten die noch ausstehenden Schlussvorträge der Nebenklage-Anwälte und der Verteidiger, am 19.Juli soll dann das Urteil fallen.

"Erklären Sie den Kindern von Fadi S., warum ihr Vater sterben musste"

Er wünsche sich, dass einer der Angeklagten – sollten sie das Gefängnis überleben – den Kindern von Fadi S. erklärt, warum ihr Vater sterben musste. Diesen Appell richtete Velit Tümenci, Anwalt und Bruder der Witwe des getöteten Libanesen an die beiden Beschuldigten. Der Rechtsanwalt schloss sich dem Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft an, die eine lebenslange Freiheitsstrafe für beide Angeklagte und Sicherungsverwahrung für Jörg W. fordert.

Weil er den 25-jährigen Kevin R. für genauso gefährlich hält wie Jörg W., müsse auch bei ihm die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden, sagte Tümenci. Der Verlust des Ehemanns, Vaters, Bruders und Schwagers sei für die Familie S. „nach wie vor erschreckend". Sie könnten den beiden sechs und drei Jahre alten Kindern nicht erklären, warum ihr Papa für wenig Geld umgebracht wurde.

Anwältin spricht von Vorverurteilung

Die Verteidigerin von Jörg W., die Mindener Anwältin Nicole Friedrich, stützte ihr Plädoyer darauf, dass die Beweisaufnahme in keinem der drei Fälle ergeben hätte, dass ihr Mandant jemanden getötet habe. Vielmehr hätten die Medien den ehemaligen Fremdenlegionär von Beginn an vorverurteilt – allein schon wegen des ungewöhnlichen Fahndungsfotos, das Jörg W. mit einer Pistole, Goldkettchen und "Rotzevoll"-Brille zeigt. „So sehen irre Mörder aus", hätten die Medien suggeriert. Von diesem Bild sei jedoch im Prozess nicht viel übrig geblieben. Weder gebe es eine lückenlose Indizienkette, noch einen Beweis, dass die beiden Angeklagten die Taten gemeinsam geplant hätten.

Vielmehr trügen alle drei Morde die Handschrift von Kevin R. – eines mordlustigen, völlig entfesselten Täters, der die Hemmschwelle überwunden und seinen Opfern massive Verletzungen zugefügt habe. Zentrales Indiz sei die blutbespritzte gelbe Jacke, die auch vom Rechtsmediziner Bernd Karger dem Mörder von Fadi S. zugeordnet worden sei. Kevin Rs. Handschrift sei auch bei den Morden an Gerd F. und Jochen K. zu finden, so Friedrich weiter. Ihr Mandant habe Gerd F. sogar das Leben gerettet. Und da Jörg W. sowieso als Erbe für das Haus eingesetzt war, wäre ein „offizieller Tod" viel lukrativer für ihn gewesen.

Dass ihr Mandant unschuldig sei, sagte die Anwältin nicht. Jörg W. müsse man vorwerfen, dass er dem Handeln von Kevin R. keinen Einhalt geboten und beim Beseitigen der Leichen geholfen habe. Aber dass Jörg W. ein Mörder sei habe die Beweisaufnahme nicht ergeben.

Verteidiger von Kevin R. fordert Freispruch

Peter Jahn, der Verteidiger von Kevin R., forderte Freispruch für seinen Mandanten. Der Anwalt gestand zwar Schläge des heute 25-Jährigen auf das Opfer Fadi S. ein. „Aber wir wissen nicht, ob sie tödlich waren", sagte Jahn und verwies auf den Zweifelsgrundsatz. Heißt: Ein Angeklagter darf nicht verurteilt werden, wenn dem Gericht Zweifel an seiner Schuld bleiben. Während sein Mandant versucht habe, etwas zur Aufklärung der Morde beizutragen, habe Jörg W. nur geschwiegen. Kevin R. habe von Anfang an eingeräumt, bei allen Taten dabei gewesen zu sein – aber er habe keinen Menschen getötet.

Jahn warf der Verteidigung von Jörg W. vor, Kevin R. in ein falsches Licht zu rücken. Vielmehr habe Jörg W. schon lange, bevor sein Ziehsohn auf den Hof gekommen sei, dubiose Geldgeschäfte gemacht. Auch auf den Fotos, die an einem Geldautomaten gemacht wurden, sei nur Jörg W. mit den EC-Karten der Opfer zu sehen. Und anstatt die blutige gelbe Jacke verschwinden zu lassen, habe Kevin R. der Polizei genau gesagt, wo sie zu finden sei. Jörg W. habe betont, Fadi S. nur verletzt zu haben, so Jahn. „Aber warum ist er dann geflohen?" Überhaupt wäre im Fall Fadi S. vieles leichter gewesen, wenn die Ermittler gründlicher gearbeitet hätten. So blieben viele Fragen offen.

Dauergrinsen beim Anwalt von Jörg W.

Allein schon anhand der Fakten stehe für ihn fest, dass Jörg W. nicht der nette, ältere Herr sei, als den ihn seine Verteidiger hier darstellen würden. Und auch der Vorsitzende Richter selbst habe seinen Mandanten im Prozess die „personifizierte Harmlosigkeit" genannt, so Jahn weiter.

Die Verteidiger von Jörg W. kommentierten das Plädoyer Jahns mit einem Dauergrinsen. Christian Thüner, Anwalt der Nebenklage, hatte hingegen für die letzten Worte der beiden Angeklagten nur ein Kopfschütteln übrig.