Wie ganz normale Bad Oeynhausener in die Arisierung jüdischen Eigentums verstrickt sind

Bad Oeynhausen. Die Geschichte des Holocausts in der Kurstadt beginnt für Familie Frank mit den zerbrochenen Scheiben ihrer &bdquo;Rind- und Schweineschlachterei“ an der Mindener Straße 23. Das Haus steht noch heute, Stolpersteine erinnern vor dem Wohn- und Geschäftshaus an das Schicksal der jüdischen Familie, die Schweinefleisch verarbeitete. Die Franks verstanden ihr Handwerk und den Kunden schmeckte es. Die Geschäfte liefen gut - bis Boykottaufrufe und Gewalt den Betrieb unmöglich machten. Familie Frank verkaufte Hab und Gut, um auszuwandern, wurde jedoch enteignet, deportiert und ermordet. Die Schweineschlachterei aber blieb bestehen und das Geschäft lief weiter. Ein Ehepaar aus Bad Oeynhausen übernahm den Handwerksbetrieb zu ziemlich günstigen Konditionen. Dieses Ehepaar profitierte von den nationalsozialistischen Arisierungsgesetzen. Der Historiker Thomas Gräfe hat neue Einzelheiten zum Fall Frank vorgestellt. Stadtheimatpfleger Klaus Peter Schumann lobt den Vlothoer Historiker für seine &bdquo;akribische Forschung“, die einen &bdquo;historischen Kriminalfall“ nachzeichne. Dabei wird auch deutlich, wie viele ganz normale Bad Oeynhausener von der Arisierung jüdischen Eigentums profitieren. Sie mussten dafür nicht mal NSDAP-Mitglieder oder bei den Vorfeldorganisationen der Partei aktiv sein. Gräfe hat bislang verschlossene Gerichtsakten der Rückgabeprozesse aus den 1950er Jahren exklusiv einsehen können. Nach seinen Recherchen enteigneten die Behörden in Bad Oeynhausen insgesamt 21 Menschen, von denen 18 nach den Nürnberger Rassegesetzen als Juden und drei christliche &bdquo;Mischehepartner“ betroffen waren. Die Käufer wollen nachträglich den Preis drücken Laut einer &bdquo;Vermögenserhebung“ 1938 verfügten Juden in Bad Oeynhausen über 363.727,24 Reichsmark Betriebsvermögen, Grundbesitz und Bargeld. Zum Vergleich: Die 23 Vlothoer Juden wurden von den Finanzbeamten des Dritten Reichs auf 406.987,85 Reichsmark geschätzt. Kurz vor der Reichspogromnacht 1938 waren im ganzen Reich noch 9.000 Einzelhandelsgeschäfte von 50.000 im Jahr 1933 übrig geblieben. Hass, Hetze, Boykott und Schikanen begannen im April 1933. Juden mussten eine &bdquo;Judenvermögensabgabe“ leisten und wenn sie aus dem Reich fliehen wollten, mussten sie eine &bdquo;Fluchtsteuer“ zahlen. Edwin und Ida Frank schmiedeten Auswanderungspläne. Ihre Töchter Grete und Herta lebten längst in Berlin. In der Kurstadt gehörten den Eltern nicht nur die Schlachterei mit Wohnhaus, sondern auch ein Geschäftshaus in der Paul-Baehr-Straße 6 und eine Grundstücksparzelle in Eidinghausen. Es war nicht leicht, das Vermögen in kurzer Zeit zu Geld zu machen. 1938 fand sich für die gut gehende Schlachterei aber ein Käufer: Das Ehepaar Herbert und Erna S. unterschrieb einen Kaufvertrag über 26.000 Reichsmark für die Immobilie und 3.000 Reichsmark für das Inventar, zahlte aber zunächst nicht. Gefälligkeitsgutachten von der Bauernlobby? Herbert S. wollte offenbar nachträglich den Kaufpreis drücken und nutzte Kontakte seiner Frau Erna S. aus. Sie war bei der Kreisbauernschaft angestellt und besorgte über die Bauernlobby ein Wertgutachten, in dem die Schlachterei samt Wohnhaus auf bloß 20.800 Reichsmark geschätzt wurde. &bdquo;Das entsprach wenig überraschend dem sogenannten Einheitswert“, so Gräfe. Es war der Mindestpreis, den der Gesetzgeber für jüdisches Eigentum vorsah. Die Verkäufe jüdischen Eigentums mussten von zwei Behörden genehmigt werden. Schließlich sollte der Immobilienmarkt angesichts zahlreicher Notverkäufe nicht zusammenbrechen. Gräfe: &bdquo;Mit einem normalen Geschäft auf Augenhöhe hatte das überhaupt nichts zu tun.“ Edwin Frank widersprach der Bauernlobby. Ein Regierungsbauinspektor schätzte darauf die Immobilie auf 31.000 Reichsmark. Für das Metzer-Ehepaar kam das zu spät. Ida und Edwin Frank wurden nach Sachsenhausen und Auschwitz deportiert. Ihre Wohnung wurde versiegelt, der Hausrat beschlagnahmt. Der Finanzbeamte Waldemar S. vermerkte 571,30 Reichsmark in bar und 1.017,10 Reichsmark Verkaufserlös für das Mobiliar, das die Stadtverwaltung dem Finanzamt abkaufte. Die Möbel verfrachtete eine Spedition ins sogenannte Judenhaus in der Weststraße 8a. Die restliche Inneneinrichtung wurde vom städtischen Angestellten B. und dem Polizeibeamten M. meistbietend versteigert. Der Versteigerungserlös wiederum wurde von B. dann an die NS-Volkswohlfahrt übergeben. Einzige Überlebende der Familie Frank war die ältere Tochter des Metzger-Ehepaares Herta Frank. Ihr war die Ausreise gelungen, weil sie einen ihr unbekannten Mann geheiratet und damit noch rechtzeitig eine Schiffspassage von Deutschland nach Südamerika ergattert hatte. Eigentlich sollten dorthin auch ihre Eltern nachkommen, wie Stadtarchivarin Stefanie Hillebrand herausgefunden hat. Die einzige Überlebene meldet sich aus Uruguay Gräfe hat den weiteren Lebensweg von Erna S. nachgezeichnet. Ihr Mann Herbert fiel 1942 als Soldat an der Front. Die Witwe führte die Schlachterei bis 1945 alleine weiter. Nach Kriegsende verpachtete sie den Handwerksbetrieb und das Wohnhaus an drei Mieter zu &bdquo;Aufbauverträgen“. Die Mieter zahlten keine Pacht, mussten im Gegenzug aber die Gebäude in Schuss halten. Die Schlachterei hatte einen guten Standort trotz schwieriger Zeiten: Sie lag außerhalb der britisch-besetzten Sperrzone direkt an der Einkaufsmeile der Barackenstadt. Im August 1947 meldete sich jedoch Herta Frank mit einem Brief aus Montevideo in Uruguay beim Bad Oeynhausener Bürgermeister Walther Kronheim und forderte die Rückgabe des elterlichen Eigentums. Offenbar wollte Herta Frank nicht zurück, sie forderte aber Entschädigung - und bekam 10.000 Mark für das Geschäftshaus in der Paul-Baehr-Straße. Nicht jedoch für die Schlachterei. An einem Dienstag, 16. Januar 1951, kam es vorm Landgericht Bielefeld deshalb zur Konfrontation zwischen Herta Frank und der mittlerweile neu verheirateten Witwe Erna S., die nun G. hieß. Die Rückgabe arisierten Eigentums war von den Alliierten gesetzlich geregelt worden. Das oberste Rückerstattungsgericht hatte bis zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung 1990 seinen Sitz in Herford. Vor Gericht kommt es zum Eklat In Bielefeld kam alles auf den Tisch. Herta Frank erfuhr dadurch, dass sich Erna G. offenbar auch die Kleidung von Edwin und Ida Frank unter den Nagel gerissen hatte. Hertas Eltern hatten das Gepäck wegen ihrer geplanten Ausreise bereits aufgegeben. Erna G. soll die aufgenähten Judensterne eigenhändig entfernt haben. &bdquo;Es kam zum Eklat“, sagt Gräfe. Herta Frank empörte sich, dass der neue Besitzer den Anzug ihres Vaters in der Kurstadt spazieren führte. Für sie sei deshalb klar gewesen: Ihr Elternhaus solle niemals im Besitz der G.s verbleiben. Ihr Rechtsanwalt Franz Ley aus Bad Oeynhausen, der selbst im sogenannten Dritten Reich als Halbjude verfolgt worden war, schätzte den Ertrag der Schlachterei auf 5.000 Reichsmark jährlich. Die Einnahmen aus dem Geschäft mussten bereits seit 1948 auf ein Treuhandkonto fließen. Erna G. wehrte sich gegen die Rückgabe, verwies auf ihre Mieter und deren Investitionen. Sie habe neue Maschinen für die Schlachterei angeschafft, die Mieter hätten Treppe und Badezimmer des Hauses umgebaut. Das Gericht ließ sich nicht beeindrucken und verurteilte die Witwe zur Rückerstattung. Ihre Berufung blieb erfolglos. Der unrechtmäßige Grundbucheintrag wurde gelöscht. Im Mai 1953 einigten sich die Beteiligten schließlich: Herta Frank übernahm die Mietverträge und das Treuhandkonto. Sie zahlte Erna G. aber 4.000 Deutsche Mark Abstand für deren Anschaffungen in der Metzgerei.

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