NS-Verbrechen: Erinnerung an den Tag, als Rahdens Synagoge brannte

Rahden. Juden dürfen Ämter in den römischen Stadträten bekleiden. Das ist die wichtige Aussage eines Erlasses des römischen Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321. Dieser Erlass war vor drei Jahren Grundlage für ein besonderes Jubiläum. Im Jahr 2021 wurde daran erinnert, dass es seit 1.700 Jahren jüdisches Leben im heutigen Deutschland gibt. Wieder muss man beim Blick auf den millionenfachen Mord durch die Nazis sagen. Wieder muss man angesichts des wieder aufkommenden Judenhasses sagen. In den vergangenen zwölf Monaten haben die Sicherheitsbehörden in Deutschland eine Zunahme von antisemitischen Straftaten verzeichnet. Im November vergangenen Jahres gab es sogar einen Brandanschlag auf die Synagoge in Erfurt, im April dieses Jahres auf die Synagoge in Oldenburg. Am 9. November jährt es sich zum 86. Mal, dass im damaligen Deutschen Reich die Synagogen brannten. Nazis brannten die jüdischen Gotteshäuser nieder und verschleppten und töteten Menschen jüdischen Glaubens. Die Pogromnacht, damals verniedlichend &bdquo;Reichskristallnacht“ genannt, war das Fanal zum millionenfachen Mord an Menschen jüdischen Glaubens. In Rahden erinnert der Arbeitskreis &bdquo;Jüdisches Leben in Rahden“ am Sonntag, 10. November, an die Pogromnacht. In Rahden brannten die Nazis die Synagoge an der Langen Straße am 10. November nieder. Am Vortag, am 9. November 1938, hatten auch Rahdener SA-Männer bei den Ausschreitungen in Wehdem randaliert. Am 9. November brannten Nazis die Lübbecker Synagoge nieder. Gedenkfeier mit Verlesen der Namen In Rahden beginnt am Sonntag um 16.30 Uhr am Bahnhofsvorplatz ein Rundgang mit Stadtheimatpfleger Claus-Dieter Brüning zu den Orten, an denen sich einst in Rahden jüdisches Leben abspielte. Daran schließt sich um 18 Uhr eine Gedenkfeier mit Verlesen der Namen von Rahdenern jüdischen Glaubens am Platz der Synagoge neben dem Rathaus an. Die Ansprache hält der frühere Rahdener Pfarrer Stefan Thünemann. In Rahden lebten Bürger christlichen und jüdischen Glaubens spätestens seit dem 17. Jahrhundert Tür an Tür. Die im Verhältnis zur gesamten Einwohnerzahl große jüdische Gemeinde war integriert. Ein Rahdener jüdischen Glaubens regierte als König die traditionsreiche Schützengilde – Moritz Ginsberg in den Jahren 1922/1924. Der Kaufmann Daniel Oppenheim zählte 1914 zu den Mitbegründern der heutigen Volksbank im Lübbecker Land. Rahdener Juden kämpften im Ersten Weltkrieg für Kaiser und Vaterland. Nicht jeder kehrte zurück. Die Namen von Erwin Meyer und Hermann Oppenheim wurden am Kriegerdenkmal am Alten Markt angebracht – und von den Nazis entfernt. Erst 1976 gab es einen Ratsbeschluss, die Namen wieder am Denkmal zu zeigen. Ausschreitung war alles andere als spontan Das Miteinander änderte sich 1933 mit der Machtübernahme der Nazis. Nach und nach wurden Bürger jüdischen Glaubens ausgegrenzt. Wer das ignorierte und Kontakt zu Juden hatte, ihnen wie eigentlich üblich die Hand gab, der wurde von den Nazis zum &bdquo;ehrlosen Deutschen“ erklärt. Das machten sie dann in den sogenannten &bdquo;Stürmer-Kästen“ bekannt. Der &bdquo;Stürmer“ war ein antisemitisches Hetzblatt, das von Julius Streicher, dem NS-Gauleiter von Mittelfranken, herausgegeben wurde. Streicher wurde 1946 im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zum Tode verurteilt. Am 7. November 1938 verübte der in Hannover geborene Herschel Grünspan in Paris ein Attentat auf den deutschen Diplomaten Ernst von Rath. Wenige Tage zuvor hatte Herschel Grünspan erfahren, dass seine Eltern von den Nazis unter menschenunwürdigen Umständen gemeinsam mit vielen anderen Bürgern jüdischen Glaubens unter Zwang ins Niemandsland zwischen dem damaligen Deutschen Reich und Polen deportiert worden waren. Der Diplomat Ernst von Rath erlag den Verletzungen. Am 9. November brannte der braune Mob in vielen deutschen Städten Synagogen nieder, verwüstete Wohn- und Geschäftshäuser. Viele Juden wurden verhaftet und gefoltert, andere an Ort und Stelle ermordet. Die Nazi-Propaganda bezeichnete die Ausschreitungen als &bdquo;spontanen Ausbruch des Volkszorns“ nach dem Tod des Diplomaten. Verniedlichend wurde die Pogromnacht vom 9. November 1938 von den Nazis &bdquo;Kristallnacht“ genannt. Menschen flohen in panischer Angst auf Friedhof So spontan wie von der NS-Führung behauptet war die Aktion natürlich nicht – sondern vorbereitet. Auch in Rahden. Hier brannten die Nazis die Synagoge neben dem damaligen Amtshaus am Abend des 10. November nieder. Anders als in Görlitz, wo die Feuerwehr den Brand der dortigen Synagoge verhinderte, griff die Feuerwehr in Rahden nicht ein. Das Grauen jener Nacht haben in den 1990er-Jahren damalige Rahdener Hauptschüler und ihre Lehrerin Ursula Esther-Hartke dokumentiert. Sie trugen Augenzeugenberichte zusammen für das viel beachtete und seit Jahren vergriffene Buch &bdquo;Sie lebten mitten unter uns“. Darin wird berichtet, wie Häuser attackiert, Mobiliar zerstört und Menschen angegriffen wurden. Manche Menschen versteckten sich in panischer Angst auf dem Friedhof. Der Gewalt-Exzess vom 10. November auch in Rahden war der Auftakt für den Holocaust, den millionenfachen Mord. Begangen im deutschen Namen. Bei der Gedenkfeier im Jahr 2013 zum 75. Jahrestag hatte der langjährige Rahdener Pfarrer Werner Milstein über eine Begegnung mit dem Sohn eines Varler Landwirtes gesprochen. Der Vater habe damals die Rauchwolken über Rahden gesehen und seinem Sohn eines gesagt: &bdquo;Heute haben wir aufgehört, eine Kulturnation zu sein.“ Die Pogromnacht auch in Rahden war alles andere als spontan. Daran hatte Willi Krüger erinnert. Der im März 2016 verstorbene gebürtige Tonnenheider war Zeitzeuge. Willi Krüger hatte 1937 seine Ausbildung bei der damaligen Amtsverwaltung in Rahden begonnen. Und nördlich angrenzend an das Amts- und heutige Rathaus stand die Synagoge. Der Brand könne ja nicht unvorbereitet gewesen sein, erinnerte sich Krüger, der in jenen Tagen als 15-Jähriger in der Amtskasse tätig war. Die Räume der Amtskasse lagen im nördlichen Teil des Amtshauses – in Sichtweite der Synagoge. Heller Feuerschein über Rahden Bücher aus der Amtskasse seien kurz vor dem Brand in den Amtshaus-Keller getragen worden, hatte Krüger im November 2014 im Gespräch mit der Neuen Westfälischen berichtet. Am späten Abend des 10. November 1938 habe ihn seine Mutter geweckt. Vom Elternhaus in Tonnenheide aus habe er einen hellen Feuerschein über Rahden gesehen. Den Kirchturm habe er erkennen können und zunächst gedacht, dass das Amtshaus brenne. Bei Dienstantritt am Morgen des 11. November 1938 habe er dann gesehen, was geschehen war. &bdquo;Die Synagoge war ein schwelender Trümmerhaufen“, berichtet Krüger damals. Aufgefallen sei ihm außerdem, dass die Fensterscheiben des gegenüberliegenden Goldstein’schen Hauses zerschlagen waren. Willi Krüger: &bdquo;Vom Fenster des Amtsgebäudes konnte ich beobachten, dass die Eheleute Goldstein in Decken gehüllt im Wohnzimmer saßen.“ Seit 1.703 Jahren gibt es jüdisches Leben in Deutschland. In Rahden endete es vor 82 Jahren mit der Deportation der letzten Rahdener jüdischen Glaubens. Vom sogenannten Judenhaus an der Marktstraße wurden Dagobert und Sophie Haas am 28. Juli 1942 über die Bahnhofstraße zum Bahnhof gebracht. Über Bielefeld führte der Weg in die Vernichtungslager. In den Akten der Rahdener Amtsverwaltung gibt es nur einen kurzen Vermerk zur Deportation des Ehepaares Haas und damit zum Ende des einst blühenden jüdischen Lebens in Rahden: &bdquo;Verzogen nach Theresienstadt“.

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