ICE-Trasse: Grüne wollen alte CSU-Verkehrsprojekte beschleunigen

Bad Oeynhausen. Nach dem Krach ist vor dem Krach. Das gilt in zwischenmenschlichen Beziehungen genauso wie in der Regierungskoalition. Die Berliner Ampel hat sich Ende März heftig gezankt, wieder zusammengerauft und dann wortreich beschlossen, zahlreiche Verkehrsprojekte zu beschleunigen. Die SPD hielt sich anschließend vornehm zurück. Die FDP winkte dagegen mit einem Zettel für den Straßenbau. Und die Grünen haben inzwischen eine lange Liste voller Bahnbauprojekte vorgelegt. Darauf steht auch der in OWL hoch umstrittene Neubau einer ICE-Trasse zwischen Bielefeld und Hannover. Die grüne Liste basiert nach Informationen der NW auf einem Referentenentwurf aus dem Verkehrsministerium, der über den Umweg der Grünen-Fraktion Anfang April das Licht der Öffentlichkeit erreicht hat. Dort sind 312 Bahnprojekte verzeichnet, die Minister Volker Wissing (FDP) im Köcher hat und die bereits &bdquo;fest disponiert“ oder im &bdquo;vordringlichen Bedarf“ eingestuft sind. Es handelt sich dabei allerdings größtenteils um Alt-Projekte, die bereits von Wissings CSU-Vorgängern angeschoben wurden und die nun ausgerechnet die Ampelregierung mit Blick auf den Klimaschutz beschleunigt umsetzen will. Darunter auch den gesamten Deutschlandtakt, wie der parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium Oliver Luksic (FDP) am Mittwoch bei einer Fragestunde im Bundestag bestätigt hat. Zweiter Gesetzesturbo für die Trassenplanung Das Parlament soll dazu demnächst das &bdquo;Genehmigungsbeschleunigungsgesetz“ verabschieden. Es handelt sich dabei nicht etwa um Vorhaben, das mit dem Wortungetüm &bdquo;Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz“ beschrieben wird, gegen das die Europäische Kommission Einwände erhoben hat und das offenbar deshalb auch von der Bundesregierung nicht weiterverfolgt wird, wie Luksic bei der Fragestunde nebenbei erklärte. Die Ampel will die 312 Bahnprojekte nun mit dem anderen Beschleunigungsgesetz beschleunigen. In einem Rutsch würden damit auch zahlreiche Bauvorhaben für Tempo-300-Strecken durch den Bundestag abgenickt, die derzeit zum Großteil noch im Planungsstadium sind und erst durch den 2018 veröffentlichten Deutschlandtakt notwendig wurden. Auf dem Zettel stehen nicht nur die ICE-Trasse von Hannover nach Bielefeld, sondern der dann auch zwingend notwendige weitere Tempo-300-Ausbau im Westen von Bielefeld bis Hamm. Die Projekte tragen im Referentenentwurf die laufenden Nummern 120 bis 128. Dieser Ausbau westlich von Bielefeld bedeutet jedoch den Abriss und Neubau zahlreicher Bahnsteige in den Bahnhöfen zwischen Bielefeld und Hamm und genauso in den Hauptbahnhöfen selbst. Auf der Strecke liegt außerdem die erste ICE-Teststrecke der Republik, auf der schon Geschwindigkeitsrekorde aufgestellt wurden. Diese Bahnstrecke würde auf viele Jahre zur Baustelle, obwohl sie gar nicht baufällig ist. Und in OWL würden zwei neue Gleise gebaut, obwohl es dort schon durchgängig vier Gleise und damit gar keinen Engpass gibt. Der befindet sich nämlich erst östlich von Ostwestfalen-Lippe, auf dem Weg nach Hannover zwischen Minden und Wunstorf. Das sagt die Grünen-Fraktionschefin Die Grünen-Abgeordnte Schahina Gambir aus Minden war auf Anfrage nicht zu einem Gespräch bereit. Ihre Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann, zugleich Grünen-Abgeordnete aus Bielefeld, bestätigte immerhin schriftlich, dass der Koalitionsausschuss &bdquo;besonders wichtige Infrastrukturprojekte“ beschleunigen wolle, schränkte zugleich aber ein: &bdquo;Das ist kein Vorgriff auf das Ergebnis der Vorplanung.“ Mit Blick auf die Strecke Hannover-Bielefeld sei die Klimagesamtbilanz entscheidend und dass die Planung &bdquo;unter Einbeziehung der Interessen der Menschen vor Ort“ erfolge. Genau diese Interessen jedoch kommen derzeit im Planungsdialog der Bahn nicht vor. Zahlreiche Bürgerinitiativen, Naturschutzverbände und Kommunen haben aus Protest über die Vorfestlegungen des Bundesverkehrsministeriums auf eine Fahrzeit von 31 Minuten den Planungsdialog verlassen. Die Bahn plant deshalb derzeit allein im stillen Kämmerlein eine Tempo-300-Trasse quer durch die Landschaft. Im Frühsommer soll der Entwurf vorgestellt werden. Das Verkehrsministerium beharrt derweil auf der Zeitvorgabe von 31 Minuten zwischen Hannover und Bielefeld. Für die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann steht diese Vorgabe offenbar nicht zur Disposition. Auf die Frage der NW-Redaktion, ob sie an den 31 Minuten festhalte, wich Haßelmann aus. Es sei notwendig, teilte die Bielefelderin mit, &bdquo;auch bei laufenden Projekten zu prüfen, ob sie in einem getakteten und zueinander passenden Fahrplan passen“. Das Verkehrsministerium stehe &bdquo;in der Verantwortung für eine gute und realisierbare Planung“. Viele Menschen aus der Region hätten Kritik am Planungsdialog deutlich gemacht. Haßelmann: &bdquo;Es ist bedauerlich, dass der Deutschlandtakt nun in Gänze in der Region infrage gestellt wird.“ Tempo 250 reicht nicht für den geplanten Takt Diese Einschätzung widerspricht allerdings den veröffentlichten Äußerungen der Neubau-Kritiker in OWL. Bürgerinitiativen, Naturschutzverbände und Landräte haben immer wieder betont, dass sie den Ausbau der Eisenbahnstrecke Hannover-Bielefeld unterstützen. Sie wenden sich allerdings gegen den Neubau. Und die SPD-Bundestagsabgeordneten aus OWL haben bei einem Treffen im Alten Wartesaal des Bahnhofs Löhne lediglich deutlich gemacht, dass sie &bdquo;diesen Deutschlandtakt“, aber nicht &bdquo;einen Deutschlandtakt“ ablehnen, der die Interessen der Menschen vor Ort berücksichtige. Der Vlothoer Bundestagsabgeordnete Stefan Schwartze, zugleich Vorsitzender der OWL-SPD, fordert den Verkehrsminister auf, die 31-Minuten-Zeitvorgabe aus dem Planungsauftrag der ICE-Trasse zu streichen. Den Deutschlandtakt stellt Schwartze aber nicht infrage. Dieser Taktfahrplan müsse nur neu berechnet werden. Bislang liegt davon nur der dritte Gutachterentwurf vor. Und danach wäre selbst eine Fahrzeit von 41 Minuten mit Tempo 250, wie es ein Gegengutachten der Bürgerinitative Widuland vorschlägt, ausgeschlossen, weil selbst das zu langsam für den angestrebten Takt wäre. Dabei geht es auch überhaupt nicht um Bielefeld, sondern um den Stundentakt zwischen Hamm und Hannover. Das ist die Wurzel des Problems.

Meistgelesen