„Wir sind mitten im Finanzkollaps“: Nieheims Kämmerer schlägt Alarm

Nieheim. In einem Balkendiagramm hat die Verwaltung das Nieheimer Vermögen dargestellt. In Goldgelb ragt wie bei einer Skyline Jahr für Jahr die Allgemeine Rücklage wolkenkratzergleich hervor. Von 2009 bis 2023 stehen die Hochhäuser stabil und alle ungefähr gleich hoch. Daneben, falls denn überhaupt vorhanden, hat jemand kleine grasgrüne Bungalows gebaut: die Ausgleichsrücklage. Das ist der Topf, mit dem Kommunen jährliche Defizite im Stadtetat kompensieren sollen. In manchen Städten sei die Ausgleichsrücklage noch &bdquo;sehr fett“, sagt Nieheims Kämmerer Dietmar Becker. In Nieheim eher nicht so. Denn zwischendurch steht von den kleinen Häuschen im Balkendiagramm auch nur noch das Fundament und in den Jahren 2017 bis 2021 ist gar nichts zu sehen. Finanzielles Erdbeben. Alles weg. Ab 2024 sieht die Stadt gemäß der Haushaltsplanung aber nicht nur kein Grün mehr, parallel sinken die gelben Hochhäuser immer tiefer in den Finanzmiserensumpf. &bdquo;Wir verzehren unser Eigenkapital rasant“, kommentiert Becker das Schaubild. Für dieses Jahr reicht es noch. &bdquo;Ein Haushaltssicherungskonzept zu schreiben, bleibt uns 2024 erspart“, kann Bürgermeister Johannes Schlütz verkünden. Aber die Haushaltssicherung ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Und das ist nicht gut. Allen, die meinen, eine Haushaltssicherung sei ja nicht so schlimm, denen sagt Becker übrigens: &bdquo;Das Problem ist, man muss innerhalb von zehn Jahren einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren. Das ist illusorisch.“ Nieheim werde perspektivisch bei einem Defizit von fünf Millionen Euro landen. Die Stadt werde Kredite aufnehmen müssen, bei denen schon in naher Zukunft horrende Zinsen anfallen werden. Was darf sich die Stadt leisten? Dazu dürfte die Stadt sich in der Haushaltssicherung nur noch leisten, was absolut notwendig ist. Feuerwehr, Kitas, Schulen. Aber auch in diesen Bereichen müsste jedes Projekt von der Kommunalaufsicht abgesegnet werden. Natürlich, sagt Becker, könnten Kommunen auch in der Haushaltssicherung oder gar mit Nothaushalt überleben. Zu sehen beispielsweise im Ruhrgebiet. Aber, naja, so sähen die Städte eben auch aus. Weil von den Ausgleichsbungalows nicht einmal mehr ein Steinchen steht, wird sich die Stadt also ab sofort an der Allgemeinen Rücklage, den Hochhäusern, bedienen müssen. Am Eingemachten darf sich eine Kommune aber nicht nach Herzenslust gütlich tun. Die Fünf-Prozent-Hürde darf sie nicht zweimal in Folge reißen und mehr als Viertel geht gar nicht. Das sorgt dafür, dass der Kämmerer, in Nieheims Fall Dietmar Becker, dem Verlustvortrag sei Dank, Minusbeträge in einem Jahr streichen, sie dafür aber in einem der Folgejahre drauf rechnen kann. &bdquo;Das geht aber auch nicht bis zum jüngsten Gericht.“ Becker hat das durchgespielt, spätestens bei der Haushaltseinbringung 2027 würde der Stadt das übrigens vorgeschriebene Hin- und Herverschieben von Defiziten auf die Füße fallen. Denn die Folgehaushalte wären jenseits jeder Genehmigungsfähigkeit. Unterm Strich könnte 2024 ein Defizit von knapp drei Millionen Euro stehen. 2.952.585 Euro, um genau zu sein. Zum Vergleich im Vorjahr kalkulierte die Verwaltung mit einem Minus von nicht einmal zwei Millionen Euro. &bdquo;Ich habe früher immer gesagt, der Finanzkollaps droht“, sagt Becker, als Kämmerer von einem gewissen berufsbedingten Pessimismus bedroht, &bdquo;der ist jetzt da, wir sind mittendrin“. Das Jahr war eigentlich positiv Dabei ist das vergangene Jahr nicht so schlecht gelaufen. &bdquo;Für 2023 rechnen wir mit dem größten Überschuss, das ist eigentlich recht positiv“, sagt Becker. Dieser Überschuss könnte bei knapp unter einer Million Euro landen. Reichen wird er aber nicht. Dazu habe der Kämmerer die Gewerbesteuer, die in den Vorjahren sehr erfreulich sprudelte, in diesem Haushaltsplan deutlich mutiger angesetzt. Und trotzdem das dicke Minus. Das liegt vor allem in immer weiter steigenden Aufwendungen begründet. Der Kreis will Geld, der Nph will Geld, die Löhne steigen. &bdquo;Als ich im Fernsehen den Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst gesehen habe, dachte ich: Mein Haushalt hat sich erledigt“, kommentiert Becker. Am eigenen Schopf wird sich Nieheim nicht aus dem Sumpf ziehen können. Bei den Beträgen, die Jahr für Jahr fehlen und fehlen werden, helfen auch keine Steuererhöhungen und mögen sie auch noch so üppig sein. Das heißt aber nicht, sagt Becker, dass die Stadt da nicht drauf zurückkommen werden müsse. &bdquo;Das ist kein Argument, sich damit nicht auseinander zu setzen“, sagt Becker. Spätestens die Kommunalaufsicht würde das Thema wieder aufs Tapet bringen. Auch auf steigende Wassergebühren werden sich die Nieheimer künftig einstellen müssen. Das liegt allerdings an den Investitionen, die die Stadt plant. Nach der Havarie muss das Belebungs- und Nachklärbecken neu gebaut werden. Eine halbe Million setzt Nieheim dafür in diesem Haushaltsjahr an. Insgesamt wird aber wohl das Dreifache fällig. Das sind die Projekte für Nieheim 1,9 Millionen Euro sollen außerdem in die Sanierung des Schwimmbads fließen. &bdquo;Da soll es jetzt endlich losgehen nach vielen Jahren der Planung“, sagt Becker. Der Schwerpunkt – schon rein rechnerisch – liege aber eindeutig auf der Straße. Rund 2,1 Millionen will Nieheim in verschiedene Projekte investieren. Unter anderem in Neu- und Ausbaumaßnahmen, aber auch beispielsweise in LED-Beleuchtung. Mit knapp 1,5 Millionen Euro wird auch die Feuerwehr bedacht. Darunter fallen Feuerwehrgerätehäuser, aber auch Fahrzeuge, die bestellt werden müssen. Die Kita Nieheim soll einen Anbau bekommen (600.000 Euro) und 190.000 Euro will sich die Verwaltung die Planungen für das Projekt Stadthalle kosten lassen. Apropos Stadthalle. &bdquo;Da prüfen wir die Fördermöglichkeiten“, sagt Schlütz und zeigt sich optimistisch: &bdquo;Wir werden für die Halle eine Lösung finden.“ Immerhin werde sie von den Vereinen benötigt. Rund zwei Millionen Euro werde es wohl kosten, die Halle fit zu machen. Übrigens genau der Betrag, den Nieheim mit einer Beteiligung an Windkraftanlagen über 25 Jahre generieren könnte. Konservativ gerechnet. 16 neue Windräder, sagt Schlütz, könnten schon 2026 gebaut werden.

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