Höxter. Die Gummistiefel sind voller Erde und die Tüten voller geheimnisvoller Scherben, die von der Vergangenheit erzählen: 22 Grundschüler aus Ottbergen haben mit dem Archäologen der Landesgartenschau Höxter auf einem Feld nach Überresten der Stadt Corvey gesucht. „Die Gelegenheit ist günstig, weil der Acker gerade gepflügt wurde und die Bauarbeiten für den Geschichtspark noch nicht begonnen haben", sagt Ralf Mahytka. Einen Vormittag lang stapfen die Viertklässler mit ihm über den Weserbogen und fühlen sich wie kleine Forscher.
Emma und ihre Mitschüler kratzen mit Begeisterung im Erdreich: „Ich habe eine Scherbe gefunden, die ist 700 oder 800 Jahre alt", sagt die Neunjährige und zeigt stolz ihr tönernes Fundstück – wenige Zentimeter klein, ein bisschen gebogen und auf den ersten Blick ganz unscheinbar braun. Tatsächlich gab es hier an dieser Stelle im Mittelalter die versunkene Stadt Corvey.
Eine riesige Stadt
„Die war sogar riesig für die Zeit – ungefähr 50 Fußballfelder groß", erklärt Fachmann Ralf Mahytka den Kindern und Lehrerinnen. Befestigt war die Stadt Corvey mit Graben, Wall und Palisaden darauf. Und das Ganze nur einen kurzen Fußmarsch von Höxter entfernt.

Sie hatte nicht lange Bestand: 1265 wurde die Stadt Corvey von den Höxteranern mit der Hilfe des Paderborner Bischofs zerstört – erst geplündert und dann niedergebrannt. „Die haben die Stadt ausgeraubt, weil sie eifersüchtig waren", hat eine Schülerin zuvor im Unterricht gelernt. Tatsächlich gönnten die Höxteraner den Nachbarn den wirtschaftlichen Erfolg und den Brückenzoll nicht – Corvey hatte eine eigene Weserbrücke. Die Bewohner zogen vermutlich nach dem Überfall weg.
Noch lange Zeit Reste sichtbar
„Erst wuchs Gras über die Ruinen und irgendwann wurde der Bereich beackert", berichtet der Gartenschau-Historiker. Um 1600 sollen nach der Überlieferung noch Reste zu sehen gewesen sein. Doch nach und nach entstand eine Stadtwüstung – eine archäologische Seltenheit. Im Untergrund bei Corvey schlummern noch die steinernen Keller und Fundamente der Gebäude – nicht mal einen halben Meter unter der Oberfläche.
„Woher kommen die vielen Scherben?", wollen die Grundschüler wissen. „Die Leute benutzten Tongefäße. Die haben sie weggeworfen, wenn sie kaputt waren", sagt Mahytka zu den Kindern. Auch Lehrerin Verena Kröger wird fündig: „Ich habe ein Stück von einem mit Rollstempel verzierten Tongefäße gefunden und einen Henkel", strahlt die Pädagogin von der Ottberger Grundschule. Archäologe Ralf Mahytka zeigt Corveyer Kugeltöpfe aus früheren Grabungen und hält den Henkel dran: „Passt 1a".
Chirurg von der Weser
Dann ist Brotzeit am nebligen Morgen: „Ihr frühstückt gerade mitten im Stadtzentrum von Corvey, quasi auf dem Marktplatz", sagt Ralf Mahytka und zeigt in Richtung Weser, wo man ein Pfahlfundament der Brücke gefunden hat. Hier verlief die alte Handelsstraße Hellweg: „Die Straße hier hieß Brückenstraße. Das ist überliefert." Nachdem alle aufgegessen haben, erzählt der Gartenschau-Mitarbeiter vom Chirurgen von der Weser, dessen Operationsbesteck man nur wenige Schritte entfernt gefunden hatte. „Zum Beispiel ein Schabeisen, mit dem man die Haut vom Kopf löste." Die Reaktionen der Kinder reichen von „Iihhh" bis „cool".

Die mitgebrachten Plastiktüten füllen sich immer mehr, langsam werden die Rucksäcke schwer. „Wenn wir jetzt war Tolles finden, kriegen wir dann Finderlohn?", fragt ein Junge. Da muss ihn Mahytka enttäuschen: „Eigentlich ist es sogar verboten, bei einem Bodendenkmal zu suchen. Das geht nur ausnahmsweise und unter fachlicher Aufsicht", betont er.
Verboten
Auch Sondengänge auf eigene Faust seien nicht erlaubt. Überhaupt werde heute nur noch selten gegraben, man benutzt dafür moderne Verfahren wie Radar und Magnetik. „Am besten halten die Funde, wenn sie im Boden drin bleiben. Ausgraben heißt auch zerstören", weiß der Archäologe. Zur Landesgartenschau soll die Stadt deshalb zum Beispiel mit Hörspielen, dem Umriss der Kirche und einer Rekonstruktion des Hellwegs erlebbar gemacht werden. Das zu begleiten, ist Mahytkas Aufgabe.

„Die Kinder können sich gar nicht losreißen, die wollen gar nicht nach Hause", sagt Lehrerin Verena Kröger lachend. Was die Kinder gefunden habe, dürfen sie mitnehmen. „Wir werden die Funde in der Schule waschen und genau anschauen", sagt die Klassenlehrerin. Mit den Schätzen sicher verstaut im Rucksack geht es heimwärts Richtung Ottbergen. Und mit mehr Wissen über Höxters und Corveys Vergangenheit in den Köpfen.