Höxter

Ottbergen erinnert an die Opfer des Bombenangriffs von 1945

Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs attackiert ein alliierter Bomberverband den Bahnhof Ottbergen. Vor genau 75 Jahren verfehlen viele Bomben ihr Ziel und töten 90 Menschen.

Lehrerin Erna Fuhrmann vor den Särgen in der Aula der Volksschule. | © Archiv Scheideler/Familie Knepper

Sebastian Beeg
22.02.2020 | 23.02.2020, 11:19

Höxter. Für Ottbergen ist der 22. Februar nicht irgendein Tag. Regelmäßig erinnert die Ortsgemeinschaft an einen Luftangriff während des Zweiten Weltkriegs, der vor genau 75 Jahren Tod, Zerstörung und Leid in den Ort brachte - und das kurz vor Kriegsende. Unter dem Namen "Operation Clarion" (Fanfarenstoß) griffen im Februar 1945 britische und US-amerikanische Luftstreitkräfte ca. 200 vorher festgelegte Ziele im Deutschen Reich an. Mit der Operation sollten wichtige Verkehrsknotenpunkte zerstört werden. Eines ihrer Ziele: Ottbergen mit dem größten Bahnbetriebswerk im Kreis Höxter.

Am 22. Februar 1945, einem Donnerstag, flogen alliierte Bomber Ottbergen an. Viele der abgeworfenen Bomben verfehlten dabei ihr Ziel und landeten in der Siedlung an der Hindenburg- und der Adolf-Hitler-Straße, der heutigen Mittelstraße. 90 Menschen wurden dabei getötet. Hinter jedem einzelnen der Opfer stecken menschliche Schicksale.

Da waren etwa Maria und Hermann Burgdorf, die am 13. Februar 1945 den verheerenden Luftangriff auf Dresden überlebt hatten. Hiernach entschieden sich die beiden, nach Ottbergen zu kommen, in die Heimat Hermann Burgdorfs. Beim Bombenhagel auf die Eisenbahnersiedlung fanden die beiden den Tod. Da war das Schicksal der Familie Groppe. Während Johannes Groppe an der Ostfront kämpfte, starb seine Frau Elisabeth mit den fünf gemeinsamen Kindern bei dem alliierten Angriff auf Ottbergen. Der älteste Sohn war sieben Jahre, die jüngste Tochter neun Monate alt.

Die Toten wurden in der Turnhalle aufgebahrt

Doch nicht nur in der Siedlung waren viele Opfer zu beklagen. Auch der sogenannte "Sprung", ein Durchlass unterhalb der Eisenbahn, entpuppte sich als Todesfalle. Der Durchlass war als Luftschutzkeller hergerichtet, galt als sicher. Während des Angriffs suchten hier laut eines Zeitzeugenberichtes über 100 Menschen Schutz.

Tragischerweise schlugen mehrere Bomben neben dem Mauerwerk ein, das dadurch zusammengedrückt wurde. Die Menschen in der Mitte des Durchlasses wurden von der eingedrückten Mauer verschüttet oder ertranken im sich rasch ansammelnden Stauwasser. 41 Menschen kamen dabei ums Leben.

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Luftangriff auf Ottbergen am 22. Februar 1945

Nach dem Angriff begannen die Aufräumarbeiten. Die 90 Toten wurden in etwa 60 Särgen in der Turnhalle aufgebahrt. Der damalige Hauptlehrer Fritz Starp hielt dazu in der Schulchronik der Volksschule fest: "Tischler aus Ottbergen und Höxter sorgten für den Anstrich der leichten, zum Teil aus Sperrholz hergestellten Särge. In der Turnhalle spielten sich oft herzzerreißende Szenen der von ihren Lieben Abschied nehmenden Angehörigen ab. Menschen mussten wegen der bis zur Unkenntlichkeit Verstümmelten die Öffnung der Särge verweigert werden."

Unter den Toten sind auch Zwangsarbeiter

Eine Woche später, erst am 28. Februar, wurden die Toten beerdigt. Wohl aus Angst vor weiteren Fliegerangriffen wurde die Zeremonie morgens um 7.30 Uhr abgehalten. Während der Trauerfeier an der Schule blickte die Trauergemeinde auf ein Banner mit der Aufschrift "Deutschland muss leben - auch wenn wir sterben müssen" - ein Satz, mit dem auch der NSDAP-Kreisleiter seine Rede beendete. "Ein menschenverachtender und zynischer Schriftzug", sagt Bernhard Scheideler, zumal sich unter den Opfern auch vier Zwangsarbeiter aus Polen, Italien und Russland befanden.

Scheideler, der zum Zeitpunkt des Angriffs vier Jahre alt war, kann sich heute gar nicht mehr an den Angriff selbst erinnern, hat aber in den vergangenen Jahren viele Informationen über den 22. Februar 1945 zusammengetragen. Er hofft, dass nicht nur der Luftangriff, sondern auch die Geschichte Ottbergens nicht in Vergessenheit geraten.

"Ich würde mir wünschen, dass sich junge Menschen damit beschäftigen. Nicht nur mit der Bombadierung, sondern auch generell mit der Geschichte des Ortes", sagt Scheideler. "Die Geschichte ihrer Heimat dürfen die Menschen nicht vergessen. Es ist ganz wichtig zu wissen, wo die Wurzeln liegen."

INFORMATION


75. Jahrestag des Bombenangriffs

Zum Andenken an die Opfer des Bombenangriffs lädt der Ortsausschuss Ottbergen zu einer Gedenkfeier am Samstag, 22. Februar, um 14 Uhr auf dem Friedhof Ottbergen ein.

An der Gedenkstunde sind der Kirchenchor Heilig Kreuz Ottbergen und die Blaskapelle Godelheim beteiligt.

Die Fahnenabordnungen der Vereine treffen sich bereits um 13.45 Uhr auf dem Wiemers-Meyerschen Hof in Ottbergen und gehen gemeinsam zum Friedhof.