Zeitzeugin aus Höxter berichtet, wie ihre Kindheit im Bombenhagel unterging

Höxter-Ottbergen. Viele Menschen können sich nicht mehr an einen bestimmten Tag in ihrer Kindheit erinnern. Das hat womöglich damit zu tun, dass die Kindheit für etliche Menschen eine Zeit der Unbeschwertheit ist, des Glücks. In Carola Brekers Gedächtnis hat sich aber ein bestimmter Tag eingebrannt. Sie war fünf Jahre alt, als Jagdbomber über Ottbergen auftauchten - und ihre Kindheit in Schutt und Asche legten. Ein Frühlingstag sei dieser 22. Februar 1945 gewesen, blickt die 85-jährige Höxteranerin zurück. Der Vollalarm sei gegen 10.30 Uhr aus Richtung der Schule gekommen. Da sei damals auch der Kindergarten untergebracht gewesen. Die Kinder waren nach Hause geschickt worden und kauerten auf dem Sportplatz. &bdquo;Zitternd und kauernd lagen wir auf dem Boden, als Jagdbomber, von der Hüwe kommend, den Bahnhof anflogen.“ Ein älterer Schüler drückte ihr den Kopf auf die Erde. Sie hatte hochgeschaut zu den Fliegern. Womöglich rettete er ihr damit das Leben. Am Nachmittag, beim zweiten Angriff, verlor er sein Leben. Der Krieg bringt Leid und Trauer nach Ottbergen 75 Tage nach dem Angriff endete der Zweite Weltkrieg in Westeuropa. Die Bomben, die den Nazis den Nachschub, der ohnehin schon ins Stocken geraten war, abschneiden sollten, landeten gegen 14 Uhr als dichter Teppich auf der Hindenburgstraße, der damaligen Adolf-Hitler-Straße und dem Sprung. Breker wurde da gerade von ihrer Mutter gescholten. Denn sie hatte den Hof verlassen, so erinnert sie sich, gegen den ausdrücklichen Befehl ihrer Mutter. &bdquo;Als Kind, das die Gefahr noch nicht richtig einschätzt, war ich trotzdem mit einem Nachbarsjungen zur Bruchhäuserstraße und diese hoch bis zum heutigen Gasthof Steineck gelaufen und dann die Steinäckernstraße abwärts nach Hause.“ Denn ein alter Eisenreifen diente als Spielzeug, den die Kinder mit einem Stock anschlugen. Und der musste rollen: &bdquo;Das machte Spaß und hatte mich verlockt, Haus und Hof zu verlassen.“ Aus heutiger Sicht kann sie die Sorge, die sich ihre Mutter um sich gemacht hatte, nachvollziehen. Denn sie hatte vor acht Monaten einen Brief von ihrem Mann bekommen. Einen Frontbrief. Er habe alle Hoffnung aufgegeben, habe darin gestanden. Der Krieg brachte Leid und Trauer, nicht nur in ihre Familie. 90 Menschen, darunter 27 Kinder, sterben in Ottbergen Von 40 schweren Bombern hatte der Kreis Höxter damals berichtet. Recherchen von Hans Boelte zufolge warfen sie eine Bombenlast von 28 Tonnen ab. 65 Detonationen waren von Augenzeugen beobachtet worden. Nur 15 davon im eigentlichen Ziel, dem Bahnhofsgelände. Die meisten trafen auf Hauswände, Wohnzimmer, Betten und Kleiderschränke. 90 Menschen starben, darunter 27 Kinder. Der Angriff war Teil der &bdquo;Operation Clarion“ der Royal- und der US-Airforce. Ziel: Die Zerstörung von Verkehrsanlagen - Bahnhöfen, Brücken, Häfen. An zwei Tagen wurden landesweit 9.000 Einsätze mit 3.500 Bomben und rund 3.000 Kampfflugzeugen geflogen. Viele Menschen starben, die genaue Zahl ist nicht bekannt. Das deutsche Verkehrsnetz wurde laut US-Quellen durch die Operation Clarion bei geringen Verlusten der Alliierten sehr stark getroffen, aber nur für wenige Tage lahmgelegt. Auch interessant: Bunker im Kreis Höxter: Wo es im Notfall sicher ist &bdquo;Nach dem Angriff sind wir mit meinem Bruder im Kinderwagen zu unseren Verwandten nach Bruchhausen geflüchtet, aus Furcht, dass noch mehr passieren könnte“, sagt die heute 85-Jährige Carola Breker. Schließlich seien sie abends zur Steinäckernstraße zurückgekehrt. &bdquo;Man sah noch den Qualm, spürte den Rauchgeruch über den zerstörten Häusern und hörte Schreie der Verwundeten.“ An die Siedlung erinnert sie sich als einen einzigen Trümmerhaufen. Erinnerung an diesen schwarzen Tag von Ottbergen Am nächsten Tag, einem Freitag, sah Breker ihren Großvater mit dem großen Kastenwagen voller Särge - die Familie hatte einen Tischlereibetrieb - über den Anger zur Schule fahren, &bdquo;dort wurden die 90 Toten in der Turnhalle eingesargt“. Heute besucht sie oft das Familiengrab auf dem Friedhof. &bdquo;Dort stehen auf den Sandsteinplatten Namen, die mir heute noch im Gedächtnis sind oder deren Angehörige weiterhin in Ottbergen leben. Die Erinnerung an diesen schwarzen, verhängnisvollen Tag in der Geschichte des Eisenbahnerdorfes erschüttert mich immer wieder“, sagt sie. Mit ihrem jüngsten Enkel – er ist 10 Jahre alt – sei sie im letzten Herbst an der Unterführung am Sprung und anschließend auf dem Friedhof bei der Gedenkstätte gewesen. &bdquo;Die Gräber haben ihn sehr nachdenklich gemacht und berührt, da er auch schon mit seinen Eltern auf dem deutschen Soldatenfriedhof in der Normandie war, auf dem mein Vater mit 10 Tausend Gefallenen seine letzte Ruhestätte gefunden hat“. Gedenkfeier am Tunneleingang in Ottbergen In den Augen Brekers sind sie &bdquo;Zeugen einer unheilvollen Vergangenheit, aber auch einer von Terror, Verfolgung und Krieg geprägten zerstörerischen Gegenwart“. Sie plädiert dafür, sie müssten &bdquo;Mahnung sein für uns und die nachfolgenden Generationen, sich einzusetzen für Versöhnung über den Gräbern, für Frieden, Gerechtigkeit und eine gewaltfreie Zukunft“. Passend dazu: Gedenken an den folgenreichsten und tödlichsten Bombenangriff im Kreis Höxter Eine Gedenkfeier für den Angriff findet, wie berichtet, am Samstag, 22. Februar, statt. Sie beginnt um 14 Uhr am Tunneleingang am Lintrott/Ladestraße. Allein dort kamen 44 Menschen ums Leben, die Schutz vor der Bombardierung gesucht hatten.

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