Ärger im Herforder Stadtrat: Wie einzelne Politiker den Wählerwillen aushebeln

Herford. Zu einem mittleren Beben kam es am Freitagabend im Herforder Stadtrat. Dabei ging es eigentlich nur um die Nachbesetzungen in den Gremien. Die stehen immer an, wenn ein Ratsmitglied ausscheidet oder Fraktionen den ihnen zustehenden Sitz mit einem anderen Mitglied als bisher besetzen wollen. In der Regel ist das unspektakulär. Am Freitag war es das mitnichten. Wie berichtet, hatte Bürgermeister Tim Kähler die Ratsmitglieder vor der Sommerpause darauf hingewiesen, dass die Ausschüsse und die Aufsichtsräte der städtischen Gesellschaften nicht so besetzt sind, wie es der Sitzverteilung im Stadtrat entspricht. Mit anderen Worten: Die Besetzung spiegelt nicht mehr die Mehrheitsverhältnisse wider, die die Wählerinnen und Wähler bei der Kommunalwahl 2020 wollten. Die Ratsmitglieder sollten daher überlegen, wie sie das korrigieren. Vor einigen Wochen gab es dazu noch einmal ein Gespräch im Rathaus – mit dem Ergebnis, dass die Mehrheit für die Zeit bis zur nächsten Kommunalwahl 2025 nichts ändern will. Die CDU ist da entspannt: Michael Wollgramm, der bei seinem Austritt aus der CDU-Fraktion seine Sitze in den Gremien mitgenommen hat, stimme so ab, wie es ihrer Linie entspreche, heißt es aus ihren Reihen. Und das Verfahren zur Neubesetzung der Ausschüsse sei aufwändig, der Aufwand lohne sich nicht. Ratsleute behalten Sitze, die ihnen nicht mehr zustehen Das Thema ist allerdings komplexer: Nachdem Wollgramm seine Fraktion verlassen hatte, bildete er mit Heinz-Günther Scheffer, damals noch Liste 2004, eine eigene Fraktion. Inzwischen haben beide ihre Zusammenarbeit beendet und sitzen wieder als Einzelratsmitglieder im Stadtrat. So weit, so unproblematisch. Aber: Noch davor hatten Scheffer (damals noch Liste 2004) und Andreas Jotzo (Herforder Bürger-Bündnis) eine Fraktion gebildet – und dann wieder aufgelöst. Aus dieser Zeit nutzen beide Seiten weiterhin das Recht der gegenseitigen Vertretung – sowohl in Ausschüssen, als auch in Aufsichtsräten – obwohl es ihnen eigentlich nicht mehr zusteht. Das sieht nun FDP-Fraktionsvorsitzender Günther Klempnauer nicht mehr ein. Er selbst habe lange alleine für die FDP im Stadtrat gesessen und hätte damals gerne mehr Rechte in Ausschüssen, Aufsichtsräten und anderen Gremien gehabt, sagt der Liberale. &bdquo;Das ist mir aber nicht zugestanden worden.“ Nun erlebe er, wie Scheffer und Wollgramm an Sitzen festhielten, die ihnen nicht zustünden. Möglicherweise sind nun Beschlüsse anfechtbar Deshalb hat Klempnauer in der Sitzung des Stadtrates den Antrag gestellt, sämtliche Gremien neu zu besetzen. Die Mehrheit lehnte das ab. Damit war das Thema jedoch nicht vom Tisch: Ulf Kutschewski von den Bündnisgrünen hat sein Mandat aus persönlichen Gründen niederlegen müssen, deshalb lag dem Stadtrat ein Grünen-Antrag vor, mit dem die Fraktion die Sitze Kutschewskis neu besetzen wollte. Weitere Umbesetzungen sollten ebenfalls beschlossen werden. Das lehnte nun seinerseits Klempnauer ab. Da bei Nachbesetzungen aber Einstimmigkeit des Stadtrates erforderlich ist, hat das nun zur Folge, dass die Bündnisgrünen – oder Vertreter anderer Fraktionen – möglicherweise ihr Stimmrecht in den Gremien nicht wahrnehmen können, obwohl es ihnen eigentlich zusteht. Das kann weitreichende Folgen haben: Die Ausschüsse, zum Beispiel der Verkehrsausschuss, treffen teilweise Entscheidungen, die der Stadtrat nicht mehr als letzte Instanz beschließen muss. In solchen Fällen könnte also eine – nach dem Wahlergebnis von 2020 – Minderheit Fakten für das Leben in der Stadt schaffen, die nicht vom Mehrheitswillen getragen ist. Nun steht die Frage im Raum, ob solche Beschlüsse anfechtbar wären. Das und alle weiteren juristischen Aspekte will Bürgermeister Tim Kähler jetzt prüfen lassen. Der Stadtrat selbst hätte zwei Möglichkeiten, das Dilemma aufzulösen, wenn er denn wollte. Zum einen könnten seine Mitglieder die Besetzung der Gremien untereinander neu aushandeln; denn der Rat organisiert sich selbst. Zum anderen kann der Stadtrat eine Neubesetzung nach dem Hare-Niemeyer-Verfahren anstreben: Dabei handelt es sich um eine Methode, die Wählerstimmen in Ratsmandate umzurechnen. Die ist allerdings sehr aufwändig und mit vielen Abstimmungen und Auszählungen verbunden. Deswegen hätte die CDU-Fraktion auch gerne die jetzige Besetzung bis zur Kommunalwahl beibehalten. +++ Der Text wurde nach der Veröffentlichung geändert +++

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