Exklusiv-Interview zum Jahresauftakt

Laschet zu Attacken auf Politiker: "Schon Drohungen schärfer verfolgen"

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) spricht über die internationale Lage, über 
den Umgang mit Rechtsextremisten und über den Kohleausstieg, den er als Jahrhundertprojekt bezeichnet.

In seinem Büro in der Düsseldorfer Staatskanzlei sprach NRW-Ministerpräsident Armin Laschet über die politischen Themen. Im Hintergrund ist eine Statue von Kaiser Karl zu sehen. | © Sepp Spiegl

Lothar Schmalen
15.01.2020 | 15.01.2020, 09:40

Herr Ministerpräsident, 2019 war ein sehr unruhiges Jahr. Sind Sie sicher, dass es 2020 besser wird?
Armin Laschet: Wer kann da schon sicher sein, die Unsicherheiten könnten auch 2020 weitergehen. Nach dem Brexit Ende Januar muss bis zum Jahresende über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich verhandelt werden. Gibt es da keine Einigung, droht in einigen Bereichen ein Chaos, ein Brexit ohne Abkommen. Das betrifft auch die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen. Ein anderes Beispiel sind die internationalen Beziehungen - da drohte gleich in den ersten Tagen des neuen Jahres ein Krieg im Nahen Osten. Plötzlich aber gibt es Proteste innerhalb des Irans. Fast täglich wechseln die Verhältnisse. Die Ungewissheit bleibt.

Und die Politik kommt gar nicht mehr hinterher?
Laschet: Die Welt ist so in Unruhe, dass es keine langfristigen Sicherheiten mehr gibt. Wir haben nach dem Mauerfall vor 30 Jahren geglaubt, dass jetzt der große Frieden beginnt. Doch in Wirklichkeit ist die Lage heute – mit immer neuen Konfliktherden - angespannter als vor 1989. Mich wundert manchmal eher, wie viel die deutsche Gesellschaft über Innenpolitik diskutiert, und wie wenig über die internationale Lage.

Ministerpräsident Armin Laschet wagt im Gespräch mit dieser Zeitung einen Blick voraus ins neue Jahr. - © Sepp Spiegl
Ministerpräsident Armin Laschet wagt im Gespräch mit dieser Zeitung einen Blick voraus ins neue Jahr. | © Sepp Spiegl

Das Ergebnis der Unsicherheiten jedenfalls ist in Deutschland am rechten Rand die AfD. Was können Politiker dagegen tun?
Laschet: Zuhören. Die Probleme lösen, die die Menschen betreffen. Gut regieren. 2018 hat der Zwist in der Union lange Zeit Vieles überlagert, 2019 hat sich die SPD mehr als ein halbes Jahr lang mit sich selbst beschäftigt. Jetzt müssen Union und SPD konsequent Dinge umsetzen. Wenn das gelingt, sage ich voraus: Beide großen Parteien werden in der Wählergunst wieder steigen, und die Populisten werden wieder kleiner.

Armin Laschet am Kabinettstisch der Staatskanzlei. An dem Tisch tagte schon das Kabinett von Ministerpräsident Karl Arnold (1947-56). - © Sepp Spiegl
Armin Laschet am Kabinettstisch der Staatskanzlei. An dem Tisch tagte schon das Kabinett von Ministerpräsident Karl Arnold (1947-56). | © Sepp Spiegl

Überfordert die Politik die Menschen?
Laschet: Es ist nicht die Politik, die überfordert. Es ist die Welt, die derartig unruhig ist. Entwicklungen wie Globalisierung und Digitalisierung haben ein rasantes Tempo, sind aber nicht von den Politikern beschlossen worden - sie finden einfach statt und die Politik muss in diesem Umfeld agieren, die Veränderungen gestalten

Der Bürgermeister von Kamp-Lintfort beantragt einen Waffenschein, um sich und seine Familie vor Angriffen zu schützen. Ist das die richtige Antwort auf den anwachsenden Rechtsradikalismus?
Laschet: Nein, Bewaffnung kann nie die richtige Antwort sein. Trotzdem muss dieser Vorgang uns alle alarmieren. Ein Bürgermeister wird derartig bedroht, dass er als letzte Möglichkeit sieht, sich zu bewaffnen – soweit darf es doch gar nicht erst kommen. Es sind ja nicht nur Bürgermeister diesen Aggressionen ausgesetzt, sondern auch Mitarbeiter von Stadtverwaltungen, Gerichtsvollzieher, Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Rettungskräfte. Für die Menschen in jedem dieser Berufe müssen wir ein Konzept entwickeln, wie der einzelne besser geschützt werden kann. Kein Mensch darf Angst haben müssen, seinen Beruf auszuüben. Aber diese Vorfälle führen uns auch vor Augen: die Lage ist ernst. Dass mit dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ein demokratischer Politiker von Rechtsextremisten ermordet worden ist, zeigt schon eine neue Qualität.

Muss der Staat, härter, wehrhafter werden?
Laschet: Ja, unsere Demokratie muss noch wehrhafter werden. Wir müssen genauer verfolgen, wer die Drohungen ausspricht. Und wir müssen öfter den Staatsschutz zur Überprüfung einschalten.

Ist es denn richtig, dass ein Verwaltungsgericht in Minden das Verbot einer Demonstration von Rechtsextremisten in Bielefeld für eine Holocaustleugnerin, die ausgerechnet am 9. November stattfinden soll, verhindert? Muss denn mit der Justiz nicht auch einmal über solche Urteile diskutiert werden?
Laschet: Die Rechtsprechung in Deutschland ist unabhängig und das ist gut. Nur so viel: Es gibt das Urteil, das die wüste Beschimpfung der Politikerin Renate Künast mit Begriffen, die Sie wahrscheinlich niemals drucken würden, nicht als Beleidigung einstuft. Ich persönlich finde es richtig, dass dieses Urteil noch einmal in der nächsten Instanz geprüft wird. Hier geht es ja um eine Verrohung der Gesellschaft, die mit der Sprache im Netz beginnt und dann auch zu Gewalt führen kann.

Entspricht ein Demonstrationsrecht, das Rechtsextremisten schützt, wenn sie ihre Tiraden gegen die Demokratie und alle ihre Werte durch die Straßen schreien, wirklich der wehrhaften Demokratie?
Laschet: Tatsächlich schützt unser Demonstrationsrecht selbst die, die gegen die Demokratie stehen – wenn sie nicht bestimmte Straftaten begehen. Nazi-Parolen sind verboten, Volksverhetzung ist verboten, bestimmte Symbole sind verboten, Holocaust-Leugnung ist verboten. Leider finden die Rechtsextremisten immer wieder Formulierungen, die knapp unterhalb der Verbotsschwelle liegen. Aber die Gerichte haben auch einen gewissen Spielraum. Es werden nicht alle Demonstrationen erlaubt.

Heute haben die beiden früheren Volksparteien CDU und SPD so viele Stimmenanteile, wie früher eine der Parteien auf sich alleine vereinigen konnte. Erleben wir gerade das Ende der Volksparteien?
Laschet: Ich glaube, dass die Volksparteien dem Land gut getan haben, und ich glaube auch, dass sie Zukunft haben. Wir erleben eine neue Bewegung rechts, die aber nicht von Dauer sein wird. Und wir haben die Grünen, die zurzeit mit 20 Prozent oder mehr sehr erfolgreich sind. Aber die Bewahrung der Schöpfung ist auch ein ureigenes Thema der Union. Wenn es konkret auf Wahlen zugeht, könnte das dementsprechend schon wieder anders aussehen. Die Wähler wechseln heute schneller. Deshalb würde ich nie sagen, dass die Volksparteien tot sind.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass sich die CDU in den nächsten anderthalb Jahren mit der Arbeit in der Großen Koalition verbessern kann?
Laschet: Die Große Koalition leistet gute Arbeit und es sind noch einige Projekte im Koalitionsvertrag festgeschrieben, die sie angehen muss. Zum Beispiel der Kohleausstieg: Da stehen wir heute am Tag der Entscheidung. Es ist ein Jahrhundertprojekt, Deutschland erst aus der Kernenergie und dann aus der Kohleverstromung herauszuführen, und trotzdem jederzeit verfügbaren und bezahlbaren Strom zu erhalten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Jetzt muss endlich eine Entscheidung über den sozialverträglichen Kohleausstieg fallen, den Wirtschaft, Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbände in langen und harten Verhandlungen erarbeitet haben.

Dann übernimmt Deutschland ab Juli 2020 die EU-Ratspräsidentschaft. Ein Ziel im Koalitionsvertrag heißt: neue Dynamik für Europa. Davon ist bisher nicht viel zu spüren. Die EU könnte gut mal wieder eine deutsche Initiative vertragen, und das nicht nur als Antwort auf Initiativen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kamen die großen EU-Ideen alle aus Deutschland, von Helmut Kohl: Binnenmarkt, offene Grenzen, Einführung des Euro. Diese Lust an Gestaltung, diesen Aufbruchsgeist müssen wir in Deutschland wiederfinden.

Zum Kohleausstiegsgesetz und dem Zeitplan für die Abschaltung der Kohlekraftwerke: Sind Sie denn sicher, dass die Verhandlungen im Kanzleramt an diesem Mittwoch endlich zum Erfolg führen?
Laschet: Alle Voraussetzungen dafür sind vorhanden. Der Kompromiss der Kohlekommission beinhaltete fünf Punkte: einen ambitionierten Ausstiegspfad, Strukturhilfen für die betroffenen Regionen, Entschädigungen für die Bergbau-Unternehmen, Ruhestandsregelung für die bertroffenen Mitarbeiter und Entlastungen beim Strompreis für die energieintensive Industrie. Es muss nur noch zum Schlusspunkt kommen.

Was war denn noch strittig?
Laschet: Für die zugesagten Strukturhilfen brauchen wir langfristige Planungssicherheit, damit wir Strukturwandelprojekte auf den Weg bringen können. Wir in Nordrhein-Westfalen gehen voran, wir wollen Tempo machen beim Klimaschutz. Schon ab 2021werden hier Kraftwerke abgeschaltet, Tagebaue werden verkleinert, der Hambacher Forst wird gerettet. Aber wir wollen auch die Sicherheit, dass die Strukturhilfen tatsächlich kommen – unabhängig von Wahlterminen.

Den Klimaaktivisten ist das alles zu wenig…
Laschet: Dabei steht Deutschland ganz gut da. Bis vor kurzem hieß es noch, Deutschland sei weit von seinem Ziel entfernt, bis Ende 2020 die Emissionen von Treibhausgasen um 40 Prozent im Verhältnis zu 1990 zu reduzieren. Plötzlich wird klar: Wir sind schon bei 35 Prozent angelangt. Es ist sogar wieder möglich, dass wir die Ziele erreichen. Das ist leider kaum wahrgenommen worden. Gleichzeitig gilt immer: Dass wir hier in Nordrhein-Westfalen nicht blind einseitig für Klimaschutz, sondern auch für den Erhalt der Industrie eintreten, ist wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft – und schließt sich nicht gegenseitig aus. Und man kann es kaum oft genug betonen: Den Kohlekonsens tragen alle Beteiligten mit, auch die Umweltverbände.

Was erwartet, was erhofft sich die NRW-CDU von den Kommunalwahlen in diesem Jahr?
Laschet: Viele machen den Erfolg von Kommunalwahlen an der Frage fest: Wer kann wie viele Oberbürgermeister-Posten gewinnen? Entscheidend ist aber, dass in den Räten der Kreise, Städte und Gemeinden arbeitsfähige Mehrheiten entstehen. Und wir hoffen, dass wir die Wähler gewinnen können und nichtso viele Extremisten in die Räte einziehen.

Wird das Ergebnis auch ein Stimmungsbild für Ihre eigene Regierung darstellen?
Laschet: Die Leute wählen heute sehr differenziert und wechseln oft bei den verschiedenen Wahlen. Sie kennen ihren Oberbürgermeister, den sie vielleicht wiederwählen möchten, wählen dann bei der Europawahl ganz anders, und bei der nächsten Landtagswahl gibt es wieder andere Möglichkeiten. Gerade bei Kommunalwahlen ist es schwierig, aus den Ergebnissen Stimmungsbilder für andere bestehende Koalitionen herzustellen, da die Menschen stark verwurzelt in ihren Städten und Gemeinden sind und häufig ganz andere Parameter viel mehr zählen als die Parteizugehörigkeit der Kandidaten. Trotzdem: Natürlich möchte jede Partei insgesamt gut abschneiden, wir auch.

Sie kommen am Wochenende zum Neujahrsempfang der Herforder CDU. Erklären Sie dort auch Ihren Parteifreunden, warum die Landesregierung ausgerechnet das ehrgeizigste Projekt von SPD-Bürgermeister Kähler, das von der örtlichen CDU abgelehnte „OWL-Forum" mir 32,4 Millionen Euro Landesgeld unterstützt?
Laschet: Ja, ich weiß, dass in der örtlichen CDU manche dafür und manche dagegen sind. Das ist normal in Volksparteien. Jetzt ist das Projekt von der Mehrheit des Rates beantragt, und es ist ein schönes Projekt. Bund und Stadt zahlen ihren Anteil, jetzt auch das Land. Im Übrigen ist das ja kein Geld für den Bürgermeister von Herford, sondern für ein wichtiges Kulturprojekt mit Ausstrahlung auf ganz Ostwestfalen-Lippe.

INFORMATION


Laschet am 18. Januar in Herford

  • NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ist am kommenden Wochenende (18. und 19. Januar) auf Visite in Ostwestfalen-Lippe. Er spricht am Samstag, 18. Januar, vor geladenen Gästen im Stadtpark Schützenhof in Herford als Festredner beim Neujahrsempfang der Herforder Kreis-CDU.
  • Erst kurz vor Weihnachten hatte die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf bekannt gegeben, dass das Land das geplante OWL-Forum in Herford mit 32,4 Millionen Euro fördert.
  • Laschet bezeichnet es als „schönes und wichtiges Kulturprojekt mit Ausstrahlung auf ganz Ostwestfalen-Lippe".