
Gütersloh. Wenn am Sonntag, 19. Januar, die Jungen Sinfoniker um 18 Uhr die Bühne der Stadthalle Gütersloh betreten, dann ist etwas – bei freiem Eintritt! – zu erleben, was regelmäßige Beobachter als „Wunder“ bezeichnen.
Denn dann spielt nicht nur ein bunt zusammengewürfelter Haufen junger Leute zwischen 12 und 22 Jahren einfach nur gekonnt die Ouvertüre g-Moll von Anton Bruckner, William Waltons Violakonzert und Antonín Dvoráks 7. Sinfonie.
Sondern 61 Musikerinnen und Musiker wachsen zu etwas zusammen, was mit Klangkörper nur unzureichend beschrieben ist. Sie werden zu einer Einheit, deren Enthusiasmus ansteckt. Sogar den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Doch dazu später.

Zinkann hat früher versucht, Violoncello und Klavier zu spielen
Wer sich ebenfalls regelmäßig von der Leidenschaft der Jugendlichen „infizieren“ lässt, ist Reinhard Zinkann, seit einigen Jahren Schirmherr des Orchesters. Dieses Erlebnis möchte der Miele-Geschäftsführer mit vielen anderen Konzertbesuchern teilen, weshalb er gemeinsam mit Stephan Kipp und Taina Kalbhenn, Vorstand des Trägervereins des Orchesters, die „NW“ vor dem Konzert zum Gespräch gebeten hat.
Als Kind und Jugendlicher hat Reinhard Zinkann selbst versucht, Violoncello und Klavier zu spielen. Dass er dann doch lieber mit Freunden segelte, als im stillen Kämmerlein zu üben, bedauert der 65-Jährige heute ein bisschen. Die Liebe zur Musik ist aber geblieben. Und wer weiß: Vielleicht wäre er noch länger bei der Stange geblieben, wenn es damals schon die Jungen Sinfoniker gegeben hätte.
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Denn in diesem Orchester erfahren junge, begabte Musiker aus ganz Ostwestfalen-Lippe seit mittlerweile 52 Jahren, was Zinkann als allein vor sich übender Jugendlicher vielleicht gefehlt hat und was er heute für wichtiger denn je hält: „Sie erleben ein besonderes Gemeinschaftsgefühl.“

„Etwas, was die Jugendlichen zusammenhält, ihnen ein Gerüst gibt“
Wie im Mannschaftssport sei auch in einem Kammermusikensemble oder Sinfonieorchester Erfolg nur im Team erreichbar. „Beides ist extrem motivierend, beides macht extrem Spaß, beides gibt ein völlig neues Lebensgefühl“, so Zinkann. Ein Gefühl, das die von elektronischen Medien geprägten Kinder und Jugendlichen gar nicht mehr kennen würden, bedauert er. Streamen, daddeln und aufs Handy gucken sei Beschäftigung, aber nicht etwas, „das die Kreativität fördert und ein Gemeinschaftsgefühl generiert“.
Musik hat für den Unternehmer aber auch eine soziale Dimension. Sie sei eine Sprache, die verbindet, berührt und weltweit verstanden wird. „Je mehr die Gesellschaft droht, auseinanderzubrechen, je weniger die Mitte ein gemeinsames Wertegerüst und -verständnis hat, umso wichtiger ist es, die Jugend zu einem solchen Werteverständnis zu führen. Musik, auch die sinfonische Musik, trägt erheblich dazu bei.“ Das Bürgertum der letzten zwei Jahrhunderte habe sich kulturell über Literatur und über Musik definiert, in kleiner Besetzung als Hausmusik, in großer als Sinfoniekonzert.
Diesen kulturellen Kern möchte Zinkann erhalten und weiterführen. Deshalb ist er nicht nur Schirmherr der Jungen Sinfoniker, sondern auch des Jugendmusikkorps Avenwedde und des Gütersloher Knabenchors. „Alle drei Institutionen zahlen auf ihre eigene Weise auf dieses Konto ein. Es ist etwas, was die Jugendlichen zusammenhält, was ihnen ein Gerüst gibt und womit sie anderen Menschen eine Freude machen.“
Hendrik Wüst war bei einem Konzert zu Gast und hält Kontakt
Wenn er regelmäßig im Dezember kleine Bläserformationen des Jugendmusikkorps in Krankenhäuser und Altersheime begleitet, sehe er zwei Reaktionen: „Ich sehe die Freude und Dankbarkeit der alten, kranken, einsamen und auch sterbenden Menschen, und ich sehe, wie diese Freude und Dankbarkeit sich auf die Jugendlichen überträgt und was sie bei ihnen auslöst. Das motiviert sie weiterzumachen.“
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Das können Stephan Kipp, Vorsitzender des von der Familie Zinkann einst mitgegründeten Trägervereins des Orchesters, und seine Stellvertreterin Taina Kalbhenn, nur bestätigen. Und Erfolge wissen die „JuSis“, wie Zinkann das Orchester kurz nennt, durchaus vorzuweisen.
Den größten hatten sie wohl bei ihrem Jubiläumskonzert vor zwei Jahren. Es gab ein Grußwort des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und Ministerpräsident Hendrik Wüst war sogar persönlich gekommen. Und den ganzen Abend geblieben, wie Reinhard Zinkann stolz sagt. Mehr noch: Wüst halte den Kontakt und wolle das Orchester bei Veranstaltungen im Land NRW einsetzen. Wenn das nicht motiviert.
„Emotionale Verbundenheit mit dem Orchester ist enorm“
101 Arbeitsphasen, zwei jährlich in der Abgeschiedenheit von Haus Neuland, hat das Orchester unter renommierten Dirigenten in seinen 52 Jahren bereits absolviert. Für nicht wenige war die Teilnahme die Eintrittskarte in eine Karriere als Musiker. Doch selbst wer einen anderen Beruf ergreift, vergisst diese Erfahrungen nicht.
„Die emotionale Verbundenheit der Teilnehmer mit dem Orchester ist enorm“, sagt Taina Kalbhenn. Sie ist es, die vom „Wunder“ spricht, wenn einander Unbekannte plötzlich „Feuer und Flamme“ für die Musik sind.
Regelmäßig werden die jungen Leute unterstützt von hochkarätigen Dozenten der Bielefelder Philharmoniker und der Nordwestdeutschen Philharmonie. „All das tun wir, um die musikalischen Gene weiter auszuprägen und den Fortbestand der musikalischen Gesellschaft zu erhalten“, sagt Stephan Kipp.
Eintritt ist frei, um Spenden wird allerdings gebeten
Der Aufwand ist nicht gering und entsprechend teuer. Dennoch ist der Konzerteintritt frei. „So wie wir junge Musiker, deren Eltern nicht so viel Geld haben, mit Instrumenten und Unterricht unterstützen, soll Geld auch kein Hinderungsgrund sein, unsere Konzerte zu erleben“, sagt Zinkann.
Nach den Konzerten wird um Spenden gebeten. Mit dem Hut rumzugehen, ist sich auch der Unternehmer, der selbst zu den großen Geldgebern des Orchesters zählt, nicht zu schade. „Der Eintritt ist frei, aber nicht umsonst“, weiß er um den hohen Gegenwert jeder Spende.