Bündnis gegen geplante neue ICE-Trasse: Bielefeld wechselt die Seiten

Bielefeld. Gegen die schnelle ICE-Trasse, die die Deutsche Bahn (DB) zwischen Bielefeld und Hannover neu bauen will, regt sich seit Monaten heftiger Widerstand. Bielefeld wagt jetzt den Alleingang und ist als erste Kommune aus dem Bündnis der Trassengegner in Ostwestfalen-Lippe ausgestiegen. Unter heftiger Kritik. Initiatoren sind auch die Grünen, obwohl gerade Umweltverbände das Projekt stoppen wollen. Beide Seiten argumentieren dabei mit dem Klimaschutz. In Bielefeld wäre vor allem die Landschaft im Norden betroffen. Landwirte protestieren, und die Bahn kündigt den nächsten Planungsschritt an. Und die Bielefelder SPD bemüht sich um Schadensbegrenzung. Der Sinneswandel zur schnellen ICE-Trasse lässt sich auch mit einer sehr Bielefelderischen Sicht auf das Großprojekt erklären. Der Konsens der Gegner in Ostwestfalen-Lippe beruht auf drei Kritikpunkten Zu viel Flächenverbrauch und Landschaftszerstörung, unkalkulierbare Kosten, ein unsicherer Nutzen für den Klimaschutz und all das für eine Fahrzeitreduzierung von wenigen Minuten – in ihrer Grundsatzkritik am Verkehrswendeprojekt des Bundesverkehrsministeriums waren sich die Unterzeichner der &bdquo;Herforder Erklärung“ aus ganz OWL einig. Städte, Landräte, Bürgermeister, Bundes- und Landespolitiker hatten sich darin im März 2023 im großen Konsens gegen den Neubau einer Tempo-300-Zugtrasse durch die Region ausgesprochen. Sie forderten stattdessen Investitionen in den Nahverkehr. Auch Bielefelds Verkehrs- und Umweltdezernent Martin Adamski unterschrieb das Papier unter Vorbehalt. Als ein &bdquo;umweltschädliches Prestigeprojekt“ bezeichneten auch Naturschützer aus OWL und Niedersachsen das Verkehrsprojekt in einer gemeinsamen Erklärung. Zuletzt demonstrierten Landwirte aus Herford und Bielefeld Anfang Oktober, sie befürchten durch den Streckenneubau gravierende Auswirkungen für ihre Betriebe und Flächenverluste. Sie fordern, wie viele der Gegner, die vorhandene Bahnstrecke mit geringeren Eingriffen in die Landschaft auszubauen. Ein großer Konsens also in der Region, mit dem Bielefeld jetzt bricht und aneckt. In seinem jüngsten Beschluss begrüßt der Stadtrat die Planungen einer schnellen ICE-Trasse zwischen Bielefeld und Hannover – mehrheitlich und parteiübergreifend. Kern der sich abgrenzenden &bdquo;Bielefelder Erklärung“ ist das Ziel, den sogenannten Deutschlandtakt für Fern- und Regionalverkehre einzuführen. Er ist der eigentliche Zankapfel. Nur mit der schnellen Bielefelder ICE-Trasse kann es einen Deutschlandtakt geben Ein bundesweit ineinandergreifender Taktfahrplan soll zukünftig laut Planungen von Bahn und Bund die Anschlüsse zwischen Fern- und Regionalverkehr optimal koordinieren, das Fahrgastaufkommen deutlich steigern und Engpässe im Güterverkehr auflösen. Dieser Deutschlandtakt hängt an elf Minuten eingesparter Fahrtzeit zwischen Bielefeld und Hannover. Hier müssen Züge des Fernverkehrs in nur 31 Minuten ihr Ziel erreichen, um die bereits in sich getakteten Zugverbindungen in Ost- und Westdeutschland zu verknüpfen. Bei einem Ausbau der Bestandsstrecke wären nur 42 Minuten machbar. &bdquo;Die aktuelle Expertenmeinung ist, dass ein getakteter Fahrplan nur mit einem Trassenneubau zwischen Bielefeld und Hannover erreicht wird“, erklärt Dominic Hallau, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stadtrat. Den Zugverkehr durch eine neue Taktung leistungsfähiger zu machen, sei elementar für die Verkehrswende und gut für Bielefeld. Darüber herrscht auch im Bielefelder Stadtrat so viel Einigkeit wie selten. Trassenbau würde vor allem Schildesche betreffen SPD, Grüne, CDU, FDP und Linke gehen bei Adamskis Unterschrift unter die &bdquo;Herforder Erklärung“ nicht mit. Sie wollen einen Deutschlandtakt – und damit indirekt den Trassenneubau. Ihre &bdquo;Bielefelder Erklärung“ rückt zudem regionale und lokale Belange in den Fokus, fordert &bdquo;eine deutliche Berücksichtigung der Anforderungen des S-Bahn-, Regional- und Güterverkehrs“ sowie die Gestaltung des Bielefelder Hauptbahnhofs &bdquo;als modernen, leistungsfähigen Knotenpunkt“. Zum Umweltschutz heißt es, &bdquo;alle Aspekte des Klima-, Natur, Wasser- und Landschaftsschutzes, insbesondere mit Hinblick auf die Johannisbachaue“ müssten berücksichtigt werden. Denn Eingriffe in die Landschaft beträfen vor allem den Norden von Schildesche. Hier werde eine neue Trasse von der Bestandsstrecke abzweigen müssen, erklärt Hallau. Doch noch ist das Wie und Wo völlig offen. Laut Bahn wäre mit sechs von zehn vorliegenden Trassenvarianten eine deutschlandweite Taktung erreichbar. Bekanntgemacht wurden bisher aber lediglich ein Suchraum sowie Grobkorridore (siehe Grafik). Genaue Korridore will die Bahn jetzt bis zum Jahresende vorlegen. SPD-Bundestagsabgeordnete Wiebke Esdar sieht im Trassenbau keine Lösung Dass der Bielefelder Alleingang die Position Ostwestfalen-Lippes im Trassenstreit schwächt, fürchtet man nun beim OWL-Bündnis der Gegner. &bdquo;Verstörend“ nennt gar Stephen Paul, FDP-Fraktionsvorsitzende im Herforder Kreistag, den Bielefelder Beschluss. Er wirft der Stadt eine egoistische Haltung vor, die nicht über die Stadtgrenzen hinausschaue. Lesen Sie auch: Bau einer neuen ICE-Trasse zwischen Hannover und Bielefeld macht laut Studie keinen Sinn Die SPD-Bundestagsabgeordnete und Bielefelder SPD-Vorsitzende Wiebke Esdar bemüht sich um Vermittlung. Der Bielefelder Beschluss ergänze die &bdquo;Herforder Erklärung“ gut, in dem er die Bedeutsamkeit von S-Bahn und Regionalverkehr hervorhebe. Das sei zuvor zu kurz gekommen. &bdquo;Wir brauchen einen integrierten Taktfahrplan“, so wie es der Deutschlandtakt zum Ziel habe, so Esdar diplomatisch im Sinne des Rats. Aber: &bdquo;Die Pläne für einen Trassenneubau würden dazu führen, dass über Jahrzehnte der Deutschlandtakt nicht funktioniert, weil er zu eng getaktet ist – die Verspätungen der Bahn sind einfach zu groß.“

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