Nach schockierender Messertat in Bielefeld: Überraschende Wendung im Prozess

Bielefeld. Der Vorwurf wog schwer: Ein 19 Jahre alter Bielefelder soll im August des vergangenen Jahres einen 21-jährigen Mann mit einem Messer angegriffen und am Oberkörper verletzt haben. Nun musste er sich wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung vor einem Jugendschöffengericht verantworten. Doch lief die Verhandlung anders als zunächst zu vermuten gewesen wäre: Das Gericht stellte das Verfahren gegen den Angeklagten schließlich ein. Vor. Zurück. Zoom. Vor. Zurück. Die Aufzeichnungen der Überwachungskameras zeigten den Prozessbeteiligten große Teile dessen, was sich in der Nacht auf den 18. August 2024 zugetragen haben soll und schließlich in der Anklage gegen Paolo M. (Namen aller Betroffenen geändert) gemündet war. Ausweislich der Bilder der Kameras saßen in jener Nacht mehrere Personen auf den Bänken vor einem Schnellrestaurant am Jahnplatz, als gegen 1.05 Uhr ein junger Mann auf die Gruppe zugeht. Der Hinzugestoßene spricht offenbar zunächst mit einer der dort sitzenden Frauen, gerät dann in eine Diskussion mit dem nun angeklagten 19-Jährigen. Dann scheint es so, als hole Paolo M. etwas aus seiner Hosentasche, sodann versetzt er seinem Gegenüber offenbar völlig unvermittelt einen kräftigen Stoß gegen den Oberbauch. In jenem Moment soll er zur Überzeugung der Staatsanwaltschaft mit einem Messer zugestochen und dem Angegriffenen eine oberflächliche Verletzung am Bauch zugefügt haben. Zwei anwesende Frauen trennten die Streithähne sofort nach dem Angriff. Die Kleidung des Angegriffenen war blutverschmiert Die Ermittlungsbehörde erhob Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung, der mehrfach vorbestrafte M. musste sich nun abermals vor Gericht verantworten. Erst kürzlich hatte das Jugendschöffengericht den 19-Jährigen zu einer Gefängnisstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt, weil er – wenige Wochen nach dem nun in Rede stehenden Vorfall vom Jahnplatz - in einem Streit einer Jugendlichen ein Messer in einen Oberschenkel gestoßen hatte. Dieses Urteil hatte M. akzeptiert und rechtskräftig werden lassen. Lesen Sie auch: Brutale Messerattacke am Bielefelder Rathaus Im Gegensatz zum wenige Wochen zurückliegenden Prozess, in dem M. seine Schuld eingesehen hatte und umfassend geständig war, erklärte sein Verteidiger Martin Mauntel nun, dass sein Mandant zum Vorfall am Jahnplatz schweigen werde. Denn ein entscheidendes Detail ist auf den Bildern der Überwachungskameras nicht zu erkennen – nämlich ob M. bei dem Stoß gegen den Bauch seines Kontrahenten einen Gegenstand, insbesondere ein Messer, in der Hand hatte. Und der Angegriffene? Die Aufnahmen zeigen, dass er gestikuliert, schimpft, sich kaum beruhigen lässt – und sich schließlich trollt. Jedoch nur für einen kurzen Moment: Als auch Paolo M. den Ort des Geschehens verlässt, läuft der Mann ihm hinterher, versetzt ihm einen Tritt und kassiert mutmaßlich einen Faustschlag, bevor M. schließlich wegläuft. Hätte sein Mandant tatsächlich ein Messer verwendet, so hätte der Angegriffene aufgrund der auf den Bildern gut zu erkennenden Intensität des Stoßes sicherlich nicht derart unbeeinträchtigt gewirkt, gab Verteidiger Mauntel zu bedenken. Denn dieser wirkte im Bauchraum unverletzt. Daran änderte auch das Erscheinungsbild des Angegriffenen nichts – waren dessen Hose und Schuhe doch mit Blutflecken übersät, auch wies er eine Verletzung an einer Hand auf. Diese rührten jedoch aus einer gerade erst begangenen schweren Straftat: Der 21 Jahre Oliver B. hatte direkt zuvor im Bereich des Neuen Rathauses einen 22-jährigen Bielefelder mit mehreren Messerstichen lebensgefährlich verletzt und war auf der Flucht auf die Gruppe um Paolo M. gestoßen. Eine Blutspur vom Rathaus bis zum Jahnplatz hatte damals die Ermittler einer eingesetzten Mordkommission beschäftigt. Der 21-Jährige gibt an, kein Messer gesehen zu haben Mittlerweile ist der wegen Gewaltdelikten mehrfach vorbestrafte Oliver B. wegen dieser Tat – allerdings noch nicht rechtskräftig – zu einer Jugendstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt worden. Nun kam es im Verfahren gegen Paolo B. also nicht zuletzt auf seine Aussage an. Und die überraschte dann doch ein wenig. Er erinnere sich, so der aus der Untersuchungshaft vorgeführte 21-Jährige, dass er M. getreten und einen Schlag gegen den Kopf erhalten habe. Als Richter Magnus Gröger ihm die Szene vorspielt, in der B. von einem Messer getroffen worden sein soll, gibt dieser an, sich an einen derartigen Vorfall nicht zu erinnern. &bdquo;Ich war allerdings auch voll auf Alkohol und Kokain“, so der 21-Jährige. Dennoch: Weder habe er bei M. zu irgendeinem Zeitpunkt ein Messer gesehen, noch habe er zu den Bildern passende Verletzungen erlitten – eine Aussage, die sich mit den Befunden der körperlichen Untersuchungen des kurz darauf wegen seiner eigenen Tat festgenommenen Bielefelders deckt. Dass er von einem Messer verletzt worden sein soll, habe er auch erst deutlich später bei einer polizeilichen Vernehmung erfahren, gab der 21-Jährige an. Er habe, so führte B. weiter aus, Paolo M. flüchtig gekannt, mit diesem aber keinen Stress gehabt. Auch habe er keine Ahnung, worum es bei dem Streit am Jahnplatz gegangen sein soll. Vor einer Weile seien sie sich in der Untersuchungshaft kurz über den Weg gelaufen: &bdquo;Wir waren uns einig, dass das eine dumme Sache war. Wir haben uns die Hand gegeben, für mich ist die Sache damit auf jeden Fall erledigt.“ Nach dieser Aussage stellte das Gericht das Verfahren gegen Paolo M. auf Antrag von Staatsanwältin Isabell Treu in Hinblick auf die ohnehin noch zu verbüßende Freiheitsstrafe von M. schließlich ein.

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