Bielefeld

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Kritik: In Bielefeld wird zu viel historische Bausubstanz vernichtet

Der Eigentümer eines 200 Jahre alten Engelshofes sieht Identität verloren gehen und wünscht sich, dass alte Häuser in der Debatte mehr Gewicht erhalten.

Matthias Lindner wünscht sich, dass der Schutz historisch wertvoller Gebäude "mehr Gewicht bekommt" - sein Hund Henry kümmert sich auf seine Art um den Schutz des Hofes Lücking in Babenhausen. | © Kurt Ehmke

18.08.2021 | 18.08.2021, 01:50

Bielefeld. 200 Jahre alt wird er heute, der Engelshof "Lücking". Darauf ist Matthias Lindner stolz. Er, der sich der Tradition seiner Familie verpflichtet fühlt, jener Tradition, dass der Hof zu schützen ist, zu bewahren. Wie seine Vorfahren pflegt und erhält er das Gebäude - und sieht, dass auch seinen drei Kindern und deren Kindern die Haltung der Familie innewohnt. "Ich spüre eine große Wertschätzung." Gut für den Hof ist das.

Prächtig und voller Geschichte: Hof Lücking. - © Kurt Ehmke
Prächtig und voller Geschichte: Hof Lücking. | © Kurt Ehmke

Denkmalgeschützt sind seine prächtige Süd-Fassade und der langgestreckte Dachkörper. Viele kennen ihn, sitzt doch seit 40 Jahren Jacques' Weindepot hier. Lindner glaubt, dass Orte wie diese mächtigen Höfe "Orte der Identität" sind. Wenn es hier etwas zu entscheiden gebe, müsse jedem bewusst sein, dass das "von besonderem Gewicht" sei. Diese Haltung wünscht er sich häufiger.

"Zu vieles verschwindet"

Lückings Hof - eine Fotografie von vor 1880, da rechts das Schweinehaus noch nicht gebaut worden ist. - © NW Archiv
Lückings Hof - eine Fotografie von vor 1880, da rechts das Schweinehaus noch nicht gebaut worden ist. | © NW Archiv

Aktuell kommt er darauf, weil die Debatte um den Abriss des Quellenhofes als "Keimzelle Gadderbaums" so lebhaft und strittig geführt wird. Lindner: "Ich maße mir im Einzelfall nicht an, ein Urteil zu treffen, aber in der Summe verschwinden zu viele dieser Orte." Es sei überall zu beobachten, "dass wir historische Substanz verlieren". Substanz, die Erinnerungen biete. Gebäude, die auf die Menschen wirkten. Höfe, die Flair hätten und Besucher erfreuten.

"Jeder einzelne Fall, in dem ein altes Gebäude verschwindet, macht mich traurig - und in der Summe geht einfach zu viel alte Substanz verloren." Das müsse nicht immer sein, es zu verhindern sei aber auch aufwändig. Gewinne spiele Denkmalgeschütztes wahrlich nicht ein. Es gehe um andere Werte. "Wir als Familie wollen das erhalten, was unsere Familie aufgebaut hat, wir fühlen uns der Tradition verpflichtet."

Eine typisch westfälisch bemalte Schnitzarbeit. - © Kurt Ehmke
Eine typisch westfälisch bemalte Schnitzarbeit. | © Kurt Ehmke

"Immer Familienbesitz"

1556 wurde das Gebiet an der Babenhauser Straße erstmals als Hofstelle erwähnt. Dann, laut Torbogen zum 18. August 1821, entstand der heutige Hof. Lindner: "Der ist durchgängig in Familienbesitz." Seit zehn Jahren sei er nun verantwortlich für Hof Lücking, und im September werde er erstmals intensiven Kontakt zur Denkmalbehörde haben. Im Torbogen sollen Elemente neu gestrichen werden, "an den Torbalken blättert Farbe ab".

Der Hof in den 1950er oder 1960er Jahren. - © NW Archiv
Der Hof in den 1950er oder 1960er Jahren. | © NW Archiv

Er blicke dem Ortstermin und den Gesprächen positiv entgegen: "Meine Vorgängerin hatte bei der letzten großen Renovierung in den 1990er Jahren gute Erfahrungen gemacht." Damals war das Fachwerk an der Reihe, teilweise musste neu geschnitzt werden. "Da waren Bildhauer aus dem Bauernhausmuseum Detmold aktiv."

Es ist Lindner anzumerken, dass der Hof quasi das ist, was die hier lebenden Menschen und Hund Henry auch für ihn sind: ein echtes Familienmitglied. Er hat auch sehr bewusst und über den Denkmalschutz hinaus das ganze Ensemble mit dem 1920 hinzugekommenen Anbau, dem 2004 zum Schweinehaus ausgebauten Schweinestall (von 1882) und den 36 prägenden großen Bäumen (viele Eichen, einige Linden und Buchen sowie zwei Portal-Kastanien) über ein Gutachterverfahren zum "kulturlandschaftsprägenden Ensemble" einstufen lassen.

Der Hof Lücking im Jahr 1920. - © NW Archiv
Der Hof Lücking im Jahr 1920. | © NW Archiv

"Nicht lukrativ"

Die Frage, ob sich das lohne, stelle sich quasi nicht. "Es ist uns ein Anliegen, das alles hier schön zu erhalten." Wirtschaftlich dürfe das nicht betrachtet werden, "denn lukrativ ist so etwas keinesfalls". Kurz: Ein alter Hof kostet. Lindner: "Es würden nicht so viele alte Höfe verlustig gehen, wenn es sich monetär lohnen würde, sie zu erhalten." Was ihm und seiner Familie helfe, sei, dass der Hof seit 40 Jahren vermietet ist. Wobei die Miete nur ein Teil der Entlastung sei, mindestens genauso wichtig sei etwas ganz anderes: "Wenn ein Haus genutzt und geheizt wird, ist das für das Haus immer wesentlich besser als ein Leerstand."

Oben scheint immer die Sonne. - © Kurt Ehmke
Oben scheint immer die Sonne. | © Kurt Ehmke

Leben hilft also, Historisches zu erhalten - hier einen der besonderen, gut 100 noch vorhandenen Engelhöfe. Ein Gebäude, von dem Lindner sagt: "Geist und Kultur sind ablesbar, solche Gebäude wirken auf die Menschen zurück, die sie ja auch geschaffen haben." Das sei keine Einbahnstraße - und gelte von der Sparrenburg über die Ravensberger Spinnerei bis hin zum einfachen Kotten oder eben einem Engelshof. Sein Fazit: "Es geht um Identität."