Mieter müssen besondere Gütersloher Immobilie nach mehr als 60 Jahren verlassen

Gütersloh. Sabine Strothmann hat ihr ganzes Leben dort verbracht. Von der ersten Sekunde an. Sie kam als Hausgeburt zur Welt, nicht unüblich damals vor 57 Jahren. Doch nun, in ein paar Tagen, wird sie ihr Elternhaus für immer verlassen müssen. Es geht nicht anders. Die Stadt, ihre Vermieterin, hält das Haus für nicht mehr bewohnbar. Das Haus ist nicht irgendeines. Es ist ein Denkmal, 1852 gebaut, ortsgeschichtlich bedeutend. Einst gingen hier die Kinder aus Sundern zur Schule, später diente es als Lehrer- und Wohnhaus. Es zählt zu den wenigen Bauernschaftsschulen, die noch erhalten sind, vor allem deswegen nahmen es die Denkmalschützer vor 21 Jahren in ihre Liste auf. Doch inzwischen gibt es Sorge um den Erhalt des Gebäudes. Lesen Sie auch: Gefährlicher Schimmel in Gütersloh: Immobilie bleibt geschlossen – wie geht es weiter? &bdquo;Der Zustand ist kritisch“, sagt Baudezernent Albrecht Pförtner. Es sei nicht länger verantwortbar, dort Menschen wohnen zu lassen. Einer näheren Inspektion unterzog die Stadt das Haus, weil es an der Verler Straße direkt ans Mansergh-Gelände grenzt und sich für die künftige Quartiersgestaltung die Frage aufdrängte, wie damit zu verfahren sei. Stadt Gütersloh erhält das Haus als Denkmal &bdquo;Offen gestanden, wir wissen es noch nicht“, sagt Pförtner. Die Stadt werde ihrer Verpflichtung nachkommen und das Denkmal erhalten. Nur: Für Wohnzwecke werde es definitiv nicht wieder hergerichtet. Dass sie das Haus verlassen müssen, wissen Sabine Strothmann und ihr Ehemann Michael Fortenbacher (58) seit anderthalb Jahren. Sie haben sich anfangs dagegen gesträubt. Ihr Herz und ihre Erinnerungen hängen daran, und natürlich haben sie es sich in den all den Jahrzehnten so eingerichtet, dass sie es dort gut aushalten können, allen Widrigkeiten zum Trotz. Hinzu kommt, dass auch Sabines Mutter dort noch wohnt. Sie ist inzwischen über 80 Jahre alt und gesundheitlich nicht besonders zurecht, doch auch ihr falle der Auszug schwer. Kein Wunder, nach so langer Zeit. 1962 war sie eingezogen. Die Stadt, genauer gesagt: deren Immobilientochter Concept GT hat ihnen eine Frist gesetzt. Bis 25. Oktober müssen sie ausgezogen sein. Der zeitliche Vorlauf sei lang gewesen, berichtet Pförtner, irgendwann komme nun mal der Zeitpunkt. Immobilientochter der Stadt Gütersloh stellt Wohnraum bereit Die Concept übernehme sämtliche Umzugskosten. Sie stellt der Familie alternativen Wohnraum bereit: eine Wohnung in der Nähe des Parkbades. Sie ist renoviert, geräumig, barrierefrei, es gibt einen Kleingarten. Etwas anderes hätte die Familie auch kaum akzeptiert. Nach all den Freiheiten in dem großen Fachwerkbau, nach all dem Platz auf dem 2.000-Quadratmeter-Grundstück hätte sie sich kaum in ein Mehrfamilienhaus drängen lassen. Lesen Sie auch: Abrissbagger in der Innenstadt: Altes Fachwerkhaus im Kreis Gütersloh verschwindet Dennoch, so Fortenbacher, werde es hart. &bdquo;Das hier war und ist unser kleines Paradies“, sagt er. Klar, das Haus sei ramponiert, in keinem guten Zustand. &bdquo;Dennoch ist es ein schönes Wohnen hier.“ Während er das berichtet, kommt Besuch, einer nach dem anderen. Es ist Samstagnachmittag, Bundesligazeit. Die Runde hat es sich zur Gewohnheit gemacht, auf der Deele die Konferenz zu gucken, dazu ein, zwei Bier. Fraglich, ob sich das in der anderen Wohnung beibehalten lässt. Fortenbacher ist Maler von Beruf, angestellt in einem Gütersloher Fachbetrieb. Er ist handwerklich geschickt, hat am Haus immer wieder Hand angelegt. &bdquo;Als im Badezimmer mal die Decke runterkam, habe ich das wieder eigenhändig fertiggemacht“, erzählt er. Denkmalgeschütztes Gebäude ist nicht barrierefrei Dachpfannen gewechselt, Leitungen repariert, Fugen abgedichtet, all das habe er gemacht, &bdquo;ohne groß die Stadt damit zu behelligen“. Vielleicht, so denkt er nun im Nachhinein, war das ein Fehler, vielleicht hätte er manches besser sein lassen. &bdquo;Dann wäre der Stadt früher klar geworden, dass sie hier mal ordentlich sanieren muss.“ Jahrelang habe es durchs Dach reingeregnet, eine Zentralheizung gebe es nicht, und die Elektrokabel, sie lägen noch immer lose auf Putz. Verschärft hat sich die Lage, weil Sabine Strothmann vor zwei Jahren einen Schlaganfall erlitt, sie seither einen Rollator braucht. Wie soll sie nun überall hinkommen? Unmöglich in diesem Fachwerkbau voller Barrieren. Etliche der zehn oder zwölf Räume, vor Urzeiten die Klassenräume, sind unzugänglich für sie geworden, ohne Hilfe schafft sie es nicht. Dass sich der Zustand des Hauses heute so darstellt, lasse sich im Nachhinein schwer nachvollziehen, sagt Pförtner. Es sei müßig. &bdquo;Uns war klar, dass wir diese Situation ändern und der Familie helfen müssen.“ Er hoffe, dass sie sich im neuen Domizil wohlfühle.

Meistgelesen