
Es gibt da diesen Werbeslogan für einen Hustensaft mit krudem Namen. "Unaussprechlich, aber ausgesprochen gut." Dasselbe könnte man über das Action-Rollenspiel "Wolcen" sagen. Leider endet die Kreativität hier kurz nach dem Namen - mit einer Ausnahme. Und die ist der Grund, warum Veteranen dem Spiel eine Chance geben sollten.
"Wolcen" ist nämlich eine Augenweide. Die mächtige deutsche CryEngine, die unter anderem das namensgebende "Crysis" antrieb, lässt das Spiel für Genreverhältnisse lächerlich gut aussehen. Dagegen sieht selbst der Primus Diablo 3 ziemlich bescheiden aus, auch das neuere "Path of Exile" kommt da nicht mit. Wenn hier Brandung schwappt, dann möchte man sich am liebsten in die monsterverseuchten Fluten werfen. Doch das ist nur das erste Alleinstellungsmerkmal.
Denn "Wolcen" ist im Grunde ein klassischer Vertreter seiner Art, klaut die unterschiedlichsten Merkmale bei der Konkurrenz aber zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen: schnell heilende Lebensorbs und ein krachendes Trefferfeedback von "Diablo", zumeist handgebaute Levels von "Titan Quest" und einen ausladenden Skillbaum von "Path of Exile". Das haben etliche andere schon deutlich schlechter gemacht.
Steter Tropfen höhlt den Stein
Das Art Design wirkt ein bisschen bei "Warhammer 40.000" abgeschaut. Auch wenn es längst nicht mehr ungewöhnlich ist, ein Universum zu erfinden, in dem Schwerter und Pistolen zur selben Zeit als Waffen der Wahl koexistieren. Was "Wolcen" aber besser macht als die Konkurrenz, ist die Entscheidungsfreiheit, die es dem Spieler einräumt.
Denn grundsätzlich legen wir uns mit dem Erstellen unseres Charakters nicht auf eine Klasse fest. Je nachdem, welche Waffen wir nutzen, sollten wir unterschiedliche Grundtalente verbessern. Und die Fähigkeiten, die wir dem Monstergekröse um die Ohren hauen, werden mächtiger, je häufiger wir sie mit unseren Waffen benutzen. Das funktionierte schon in "Dungeon Siege" gut. Und das Lootsystem ist auch so eingestellt, dass man nie lange auf die nächste bessere Waffe warten muss.
Ein Fähigkeitenbaum wie ein Geschenk
Außerdem können wir für verhältnismäßig wenig Spielgeld auch komplett umskillen. Haben wir vom Breitaxt schwingenden Kraftprotz genug, ist nach dem Fund eines starken Zauberstabs ohne große Probleme der Umstieg auf ein ganz neues Spielgefühl möglich. Ob das viele Spieler nutzen, ist fraglich, schließlich steckt man ja viel Zeit in seinen Helden. Dass es möglich ist, ist aber ein echtes Verdienst.
Noch besser gefällt uns eigentlich nur der Fähigkeiten-Baum. Der ist nämlich ähnlich umfangreich wie in "Path of Exile", ist aber schlauerweise in mehrere Ringe aufgeteilt, die wir uns nach und nach freischalten. Die einzelnen Ringe können wir je nach unseren Vorlieben drehen, so dass wir nicht erst umständlich nutzlose Skills freischalten müssen, um endlich die eine großartige zu bekommen. Richtig eingestellt hilft uns dieser Skilltree wirklich, spürbar besser zu werden. Schau her, "Diablo 4", so geht das.
Schwächen bei Story und Spielbarkeit
Umso ärgerlicher ist es, dass das Spiel in zwei Kerndisziplinen unter seinen Möglichkeiten bleibt: Der Story und der Stabilität. Die Geschichte um unseren Helden, der sich urplötzlich in einen Racheengel verwandeln kann und damit zum Retter (oder Sicherheitsrisiko?) für die Welt wird, bietet wenig mehr als das Schema "Der Gute rettet den Tag". Allerdings sind die Cutscenes opulent inszeniert, das macht optisch zumindest Eindruck.

Der zweite Kritikpunkt: Bugs. Kein Spiel platzt zum Release gern vor Fehlern, aber was Wolcen eine Woche nach Erscheinen hinter sich hat, ist bemerkenswert. Eine als Testversion an die Presse verschickte Fassung war so fehlerhaft, dass es ungläubige "Verschenktes Potenzial"-Wertungen hagelte. Die Helden-Schatztruhe löschte ihren Inhalt, Server waren stundenlang offline - durch einen Patch, der eigentlich Stabilität bringen sollte. Wer seinen Helden als Online-Charakter angelegt hatte, um im Koop-Modus mit anderen spielen zu können, konnte ihn nicht offline nutzen. Dazu gesellten sich bei zahlreichen Spielern Abstürze hinzu.
Für viele ist das Spielen schwer möglich
Dann fiel dem Studio ein, dass es die falsche Version freigegeben hatte, die richtige sei erst ab Release verfügbar. Doch selbst die scheint noch nicht alle Fehler behoben zu haben. Uns selbst sind zunächst wenige Hänger aufgefallen. Manches Monster ließ sich nicht richtig anvisieren, mancher Boss fror mitten im Kampf ein.
Das Problem: Mit jedem neuen Patch werden zwar viele Probleme gelöst, allerdings scheint es, als kämen neue hinzu. Ein erster größerer Fix behob Probleme mit Monstern, Bossen sowie etliche Absturzursachen. Trotzdem treten immer noch solche Spielspaßbremsen auf wie Heiltränke, die als leer angezeigt werden, sobald man sie auf die Schnelltaste Q legt. Dabei funktionieren sie im Kampf. Bis man das aber festgestellt hat, sind etliche Neustarts vergangen. Wolcen Studio scheint sein Spiel immer noch nicht vollständig im Griff zu haben. Immerhin: Sie arbeiten fieberhaft dran.
Das Potenzial ist weiterhin vorhanden
All das ist umso ärgerlicher für die Entwickler, weil ihr Produkt absurd hohe Spielerzahlen verzeichnete und noch immer verzeichnet - und es macht ja auch Spaß.
Aber selbst wenn man anerkennt, dass ein kleines Studio mit kleinstmöglichem Budget gearbeitet hat, muss man feststellen, dass das Spiel sich offensichtlich an vielen Stellen in keinem veröffentlichungswürdigen Zustand befindet. Zumal es zuvor monatelang als Early Access Version verfügbar war, Feedback von Spielern zu Fehlern sollte es also im Überfluss gegeben haben. Womöglich fehlte einfach die Zeit, alles zu bereinigen.
Dass es trotzdem so viele interessierte Spieler erreicht, ist zumindest ein gutes Omen dafür, dass "Wolcen" noch zu dem starken Spiel werden kann, das eigentlich in ihm steckt.
Wolcen: Lords of Mayhem ist seit dem 13. Februar für PC (Steam) erhältlich und kostet rund 35 Euro.
Der Trailer zum Spiel:
INFORMATION
Wir haben unseren Test aktualisiert, nachdem der Entwickler zwei rund 3 Gigabyte große Updates herausgegeben hat.
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