Arminia Bielefelds Rejek: "Das ging an die Grenze der Belastbarkeit"

Bielefeld. Schüco-Arena, Osttribüne, zweite Etage, den Gang durch ganz hinten links: Ein letztes Mal bittet Markus Rejek zwei Journalisten dieser Zeitung an seinen Arbeitsplatz. Arminia Bielefelds kaufmännischer Geschäftsführer verlässt den Klub nach fünf Jahren, am Ende dieser Woche ist Schluss. Im Abschlussinterview spricht Rejek über die Sanierung des DSC, den Reiz des Neuen – und wie er Arminias Zukunftschancen einschätzt. Herr Rejek, noch deutet in Ihrem Büro wenig auf einen Abschied hin. Wann geben Sie die Schlüssel ab? Bislang war mein Kalender noch viel zu voll, um aufzuräumen. Der Samstag gegen Holstein Kiel wird mein letzter Spieltag sein und damit auch mein letzter Arbeitstag. Danach geht es in den Urlaub, um Abstand zu nehmen. Am 1. November starte ich beim 1. FC Köln. Wofür nutzen Sie die freien Wochen? Bis jetzt war und bin ich zu einhundert Prozent hier. Bevor ich in Köln anfange, brauche ich etwas Abstand, ein paar Tage für mich, um den Kopf freizukriegen. Ich werde in der Zeit für mich selbst reflektieren: Was habe ich gut gemacht? Was hätte ich besser machen können? Was nehme ich mit? Ich bin niemand, der hier zur Tür hinausgeht und dort direkt zur anderen Tür hinein. Haben Sie alle Ihre Ziele bei Arminia Bielefeld erreicht? Es gibt immer Themen, die du noch machen möchtest, fertig wird man nie. Rückblickend auf die vergangenen fünf Jahre haben wir mit dem Team viel geschafft, Arminia ein neues Selbstbewusstsein und auch ein Selbstverständnis eingehaucht. Wir spüren, dass sich die Außenwahrnehmung in Fußballdeutschland positiv verändert hat. Ich kann mit einem guten und einem ruhigen Gefühl gehen. Ist das Level Bielefeld aus Ihrer Sicht durchgespielt? Ich bin unserem Sport sehr dankbar, dass wir endlich in die Bundesliga aufsteigen konnten und im ersten Jahr sensationell die Klasse gehalten haben. Was dann passiert ist, ist Teil des Systems Fußball, das ein Zweitligist kaum noch dauerhaft brechen kann. Ich habe aber immer gesagt: Arminia Bielefeld macht sein Glück nicht von der Ligazugehörigkeit abhängig - die 3. Liga einmal ausgenommen. Wenn Sie mich daher fragen, warum ich nach Köln gehe, sage ich: Das Leben findet auch außerhalb der Arbeitszeit statt. Meine Entscheidung ist vor allem privater Motivation geschuldet. Wie entwickelte sich dieser Trennungswunsch? Der 1. FC Köln kam über einen Headhunter auf mich zu. Dann fängst du an, dir Gedanken zu machen. Manche betrachten dies als Karrieresprung, was ich nicht so sehe, oder anders, den ich nicht gesucht habe und den ich für mich persönlich nicht brauche. Auch die Frage nach einem Fort- oder Rückschritt bezogen auf die auszuübende Position im Verein stelle ich mir nicht. Ich habe in Köln studiert, kenne mich dort aus, fühle mich in der Stadt mehr beheimatet als hier in Bielefeld. Auf diese Nestwärme freue ich mich, und genauso auf die ganz neue Herausforderung beim 1. FC Köln. Ein innerer Ruf sagt mir, dass nun Zeit für diese neue Etappe ist. Wie groß ist die Vorfreude auf das Wirken in Köln? Der FC ist eine größere Nummer als Arminia Bielefeld. Der 1. FC Köln ist einer der größten Vereine Deutschlands, und ich komme ursprünglich vom - für mich - größten Verein, Borussia Dortmund. Da ist die Vorfreude riesig, auch wenn ich noch längst nicht alle Themen kenne, die mich erwarten. Es ist spannend, eine neue Kultur und Identität, neue Menschen kennenzulernen, sich gewissermaßen in ein neues Becken zu stürzen. Allerdings gibt es zuvor eine emotionale Mauer zu überklettern, und das ist die des Abschiednehmens hier bei der Arminia. Das vorweg: Abschiednehmen ist nicht meine Paradedisziplin. Ganz im Gegensatz zu Ihrer vorherigen Station 1860 München hört sich dies nach einem wehmütigen Abschied an. Es passt nicht zur Kultur, die ich versucht habe zu prägen, mit der Denkweise, dass das Glas immer halbvoll ist. Zu Sechzig München: Dort wurde ich freigestellt, was für niemanden schön ist, weil es sich immer auch wie eine Niederlage anfühlt. Auch wenn es für mich in der Situation damals einer Erlösung gleichkam. Hier in Bielefeld ist es etwas anderes: Ich bin total dankbar. Ich habe - wie ich finde - für Arminia Bielefeld erfolgreich arbeiten dürfen, wir haben gemeinsam viel erreicht. Und ich habe Kontakte geknüpft, die noch lange über die fünf Jahre hinaus Bestand haben werden. Es wird kein "Tschüss und Auf Wiedersehen", sondern tatsächlich "Auf Wiedersehen" heißen für viele persönliche und mittlerweile fast freundschaftliche Beziehungen. Wie gehen Sie mit Ihrem Geschäftsführer-Kollegen Samir Arabi auseinander? Die Zusammenstellung der Geschäftsführung mit unseren unterschiedlichen Charakteren war ein Erfolgsrezept. Wie wir miteinander umgegangen sind, wie wir auch streiten konnten und mit Vehemenz versucht haben, unsere teilweise gegensätzlichen Interessen im Sinne des Vereins durchzudrücken. Aber dies ist immer im Raum geblieben und wir haben nach Außen mit einer Stimme gesprochen. Ich denke, Samir und ich schätzen unsere Art der Zusammenarbeit. Ich hoffe, er verzeiht mir, dass ich mich entschieden habe, unser kleines Bündnis zu verlassen. Können Sie sich in Zukunft eine weitere Zusammenarbeit mit Samir Arabi vorstellen – vielleicht in Köln? In Köln ist Christian Keller für den Sport verantwortlich. Auf diese Zusammenarbeit freue ich mich auch sehr. Christian und ich kennen und schätzen uns. Erinnern wir uns zurück an Ihren Beginn in einem schweren Umfeld: Arminia drückte ein existenzbedrohender Schuldenberg. Hatten Sie je das Gefühl, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein? Nein. Dahingehend ist mir ein gewisses Urvertrauen in die Wiege gelegt worden. Wobei: Einen kurzen Moment gab es, das war am 22. Dezember 2017, gegen 12 Uhr mittags. Das Land NRW hatte uns per Anruf mitgeteilt, dass sie beim Sanierungskonzept nicht mitgehen wollten. Da hatte ich einen Moment der Erschöpfung, das war auch emotional ein echter Rückschlag. Und dann kam Hans-Jürgen Laufer durch die Tür - und lachte, wie er mich hier sah. Es muss weitergehen, sagte er. Wir haben in die Hände gespuckt, noch einmal alles in Bewegung gesetzt, Land und die Banken zum Umstimmen zu bewegen. Knapp ein Jahr darauf war Arminia dank Schuldenschnitt und Stadionverkauf saniert. Wie viele Lorbeeren daran gestatten Sie sich zu? Mir selbst ein Zeugnis auszustellen, ist nicht meine Aufgabe und auch nicht meine Natur. Dass jemand von außen kommt, war damals wichtig. Dazu brauchte es den großartigen Nährboden an Unternehmen hier in Ostwestfalen, die den Mut hatten, den Weg mitzugehen und mir als neuer, unbekannter Person einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Ich glaube schon, dass es meine Stärke ist, Menschen zu verbinden, zu integrieren und zu begeistern. Aber dafür brauchst du immer auch Menschen, die sich begeistern lassen. Zum Stadionverkauf hatten wir nur eine denkbare Alternative, und die wäre für Arminia Bielefeld, was das nachhaltige Wirtschaften angeht, längst nicht so rosig gewesen. Es spricht für Bielefeld und diese Region, dass es damals gelungen ist, vom Freitagmittag bis zum darauffolgenden Montag eine Lösung zu finden und die Mittel - einen guten siebenstelligen Betrag – aus dem Kreise der Unternehmen und Unternehmer bereitzustellen. Darauf kann Ostwestfalen stolz sein. Und: Auch als Arminia kann man sich keine bessere Konstellation wünschen, so wie es hier mit der Stadiongesellschaft passiert ist. Zu Beginn der Corona-Krise war Arminia sportlich erfolgreich, aber die Fans durften nicht ins Stadion. Haben Sie in dieser Situation mit dem Schicksal gehadert? Diesen Schmerz, als Arminia-Fan die sportlich erfolgreichste Zeit seit zwölf Jahren nicht im Stadion erleben zu können, konnte ich sehr gut nachempfinden. Ich habe ihn in der vergangenen Saison am 33. Spieltag gespürt, als ich die Bochumer nach dem Sieg über uns vor ihrer Kurve gesehen habe. In dem Moment musste ich raus aus dem Stadion, weil es so wehtat. Die Corona-Zeit ging an die Grenze der Belastbarkeit. Das hat viel Energie gekostet. Die Aufstiegsmannschaft von 2019/20 bescherte eine sportlich unglaubliche Saison. Was haben Sie daraus für sich mitgenommen? Du musst etwas leisten, du musst etwas opfern, du musst arbeiten und du brauchst auch das Quäntchen Glück. Aber vor allem brauchst du den Teamspirit. Diesen Teamgedanken kann man sich nicht kaufen, der muss wachsen. Auf dem Papier waren wir damals nicht der Aufstiegskandidat. Wie sehr nervt Sie die angespannte sportliche Lage zum Ende Ihrer Amtszeit? Ich möchte ungerne gehen, wenn Arminia gerade leidet. Wir brauchen Punkte, wir brauchen Erfolgserlebnisse. Wir hatten einen katastrophalen Saisonstart und sind gerade dabei, das zu reparieren. Es ist immer noch die Aufgabe, in der 2. Liga an und Stabilität zu bekommen. Wir haben sehr viel Potenzial, aber die Mannschaft muss noch mehr als Team zusammenwachsen. Christoph Wortmann wird Ihr Nachfolger beim DSC, er kommt zum Jahreswechsel vom VfL Bochum. Wie viele Treffen gab es bereits? Christoph und ich kennen uns schon sehr lange aus unserer gemeinsamen Zeit in Dortmund. Ich wollte ihn erst selbst anrufen und fragen, ob er mein Nachfolger werden will. Aber dem ist er zuvorgekommen und rief mich an. Als sich dann der Aufsichtsrat und das Präsidium für ihn entschieden haben, war ich begeistert. Ich bin mir sicher, dass Christoph hier hervorragend reinpasst. Wir stimmen uns nun fast tagtäglich ab, die Übergabe ist laufend. Er war auch schon ein paar Tage hier in Bielefeld und ist gut vorbereitet. Aber auch für die Übergangszeit sind wir gut aufgestellt. Werden Sie Ihrem Nachfolger Arminia zum 1. Januar 2023 schuldenfrei hinterlassen? Corona hat bei uns wie bei allen Vereinen einen großen Schaden hinterlassen. Wir haben einen Fehlbetrag von mindestens 20 Millionen Euro. Das können wir nicht mal nebenbei aufholen. Aber wir haben die Lizenzierungsauflagen für diese Saison erfüllt, insbesondere durch die zusätzlichen Transfereinnahmen Die Saison ist durchfinanziert. Sie sind jetzt 54 Jahre alt. Haben Sie sich mal gefragt, wie lange Sie diese Arbeit noch ausüben möchten? Ich spüre noch die Energie. Absolut! Aber in diesem Geschäft lässt man auch Körner. Es fordert sehr viel, da es nie aufhört und man besonders am Wochenende gefordert ist. Auch wenn ich nicht zwölf Stunden am Schreibtisch sitze, passieren so viele Dinge, die mich im Alltag beeinflussen. Idealerweise möchte ich irgendwann nach meinem 60. Geburtstag ein bisschen ruhiger werden. Sehen Sie den DSC für die Zukunft in guten Händen? Im Sport haben wir eine hohe Konstanz, im Präsidium sind wir auch nach Hans-Jürgen Laufers Ausscheiden noch breiter und qualitativ bestmöglich aufgestellt. Wir hatten eine Trainer-Entscheidung im Sommer, die nicht die richtige war und die wir zügig korrigiert haben. Nun gibt es mit Daniel Scherning jemanden, der sehr gut zu uns passt. Ich sehe Arminia Bielefeld für die Zukunft insbesondere personell in den verschiedenen Fachbereichen sehr gut aufgestellt. Was geben Sie Arminia für die Zukunft mit? Ich bin sehr dankbar, dass wir unsere Identität festgelegt haben, und ich wünsche Arminia, dass sie immer mehr einnimmt, als sie ausgibt. Diese Philosophie gilt es weiterzutragen. Am Ende wünsche ich Arminia viele Tore und den baldigen neunten Aufstieg in die Bundesliga. Ich glaube, dass mittlerweile so viele kluge Köpfe beim DSC am Werk sind, dass sich die Fans keine Sorgen um ihren Verein machen müssen.

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