OWL Crime – mit Podcast

Von der Strahlenmafia verfolgt: Psychisch kranker Mann überfährt Frau

Als Bernd D. an Darmkrebs erkrankt, ist er sich sicher, dass dahinter eine Verschwörung steckt. Er will Rache und überfährt wahllos eine Fußgängerin.

Ein 57-jähriger Mann fühlt sich von der "Strahlenmafia" verfolgt. Um sich an der Gesellschaft zu rächen, überfährt er im Dezember 2017 auf einem Wirtschaftsweg in Minden eine Fußgängerin. Die Polizei rekonstruierte die Tat im Januar 2018. | © Ilja Regier/Archivfoto

Alina Rullkötter
15.08.2024 | 15.08.2024, 00:01

An allem ist die „Strahlenmafia“ schuld – davon ist Bernd D. (alle Namen geändert) überzeugt, als er die Diagnose Darmkrebs im Endstadium bekommt. Er steigt in seinem Verfolgungswahn ins Auto, um sich an den Verursachern zu rächen, und überfährt wahllos eine Fußgängerin. Der ehemalige Berufsschullehrer ist psychisch krank und glaubt an eine Verschwörungstheorie, die einer Frau das Leben kostet.

In der neuen Folge von „OstwestFälle“, dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen, sprechen Birgitt Gottwald und die ehemalige Mindener Tageblatt- Redakteurin Nadine Conti über eine Tat, die zunächst wie ein tragischer Unfall aussah, sich später jedoch als Racheakt eines psychisch kranken Mannes entpuppte.

Von der Strahlenmafia verfolgt – alle Fakten im Überblick

  • Bernd D. glaubt an die Verschwörung der „Strahlenmafia“ und denkt, sie ist schuld an seiner Krebserkrankung.
  • Um sich zu rächen, überfährt er wahllos eine Fußgängerin, die 53-jährige Renata S. Ein Jogger findet sie und alarmiert die Rettungskräfte.
  • Die Polizei nimmt Bernd D. fest, der seine Tat gesteht. Die Polizei geht zunächst von einem Unfall mit Fahrerflucht aus.
  • Erst später kommt heraus, dass Bernd D. im Wahn gehandelt hat und Renata S. mit Absicht überfahren hat.
  • Bereits seit Jahren ist Bernd D. psychisch krank, leidet an Verfolgungswahn. Die Krebsdiagnose stürzt ihn in eine weitere Krise.
  • Renata S. stirbt an den Unfallfolgen, Bernd D. zeigt im Prozess kein Mitleid mit dem Opfer.

Newsletter
OstwestFälle
Wöchentlich spannende Einblicke in True Crime Fälle aus OWL.

Was am Abend der Tat geschah

Renata S. (53) geht an einem späten Nachmittag im Dezember walken. Es ist schon dunkel. Ihre Walking-Runde führt sie entlang an einem Wirtschaftsweg ohne Bürgersteig. Um im Dunkeln gesehen zu werden, trägt sie Reflexionsstreifen und eine Taschenlampe bei sich – trotzdem wird sie von dem 57-jährigen Bernd D. mit dem Auto erfasst.

Mit hoher Geschwindigkeit fährt das Auto auf Renata S. zu. Sie prallt auf die Motorhaube, gegen die Windschutzscheibe und wird 30 Meter weit auf ein Feld geschleudert. Dort bleibt sie schwer verletzt liegen – und Bernd D. fährt weiter.

Ein Augenzeuge hilft der Schwerverletzten

An dem Abend ist auch ein Jogger auf dem Wirtschaftsweg unterwegs. Er hatte Renata S. überholt und den Aufprall gehört. Als dann Bernd D. mit hoher Geschwindigkeit an ihm vorbeifährt, dreht er um. Er findet Renata S. schwer verletzt im Feld, versucht mit anderen Passanten, ihr zu helfen, und ruft einen Rettungswagen und die Polizei.

Der Jogger kann der Polizei das Auto beschreiben, das Renata S. angefahren hat: ein dunkler VW Golf. Bereits einen Tag später findet die Polizei das Fahrzeug nicht weit entfernt in einer offen stehenden Garage. Der Halter, Bernd D., ist zu Hause und wird mit auf die Dienststelle genommen; zu diesem Zeitpunkt geht die Polizei noch von einem Unfall mit Fahrerflucht aus.

Bernd D. wollte sich an der Strahlenmafia rächen

Bereits bei der ersten Vernehmung gesteht Bernd D., die Frau überfahren zu haben – und dass es kein Unfall war. Er sagt aus, er sei an diesem Dezemberabend durch die Gegend gefahren auf der Suche nach einem Opfer. Keine Kinder, keine Schwangeren, das hatte er sich vorgenommen. Die Wahl auf Renata S. fiel zufällig.

Von der Strahlenmafia spricht Bernd D. zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Doch er macht einen psychisch labilen Eindruck auf die Beamten, die ihn verhören.

Was es mit der Verschwörung der Strahlenmafia auf sich hat

Nadine Conti hat den Fall Bernd D. während ihrer Zeit beim Mindener Tageblatt begleitet. Heute schreibt sie für die taz und beschäftigt sich unter anderem mit Verschwörungsideologien – auch mit jener, der Bernd D. anhing: „Menschen, die dieser „mind control“-Verschwörungstheorie anhängen, glauben, dass sie durch Strahlung kontrolliert werden, durch Mikrowellenstrahlung oder Ähnliches. Sie denken, dass ihre Gedanken manipuliert werden und dass sie zu Werkzeugen gemacht werden von finsteren Mächten.“

Hinter diesen Verschwörungsgedanken stehen jedoch meist psychische Erkrankungen, sagt Nadine Conti: „Es ist häufig so, dass diese Menschen unter Angststörungen oder Verfolgungswahn leiden, zum Teil massiv psychisch krank sind und ihre Symptome dann in so eine Theorie packen.“

Täter kämpfte seit Jahren mit psychischen Problemen

So war es auch bei Bernd D.: Im Laufe des Gerichtsprozesses zeigte sich, dass Bernd D. stark mit seiner Homosexualität zu kämpfen hatte; seine Sexualität passte nicht zu dem traditionellen Lebensentwurf, den er sich für sich wünschte: Heiraten, ein Haus bauen, Kinder bekommen.

Nadine Conti erlebte ihn im Gerichtsverfahren als „verstockt, verklemmt, in sich gefangen“. Im „OstWestFälle“-Podcast erzählt sie, sie habe den Eindruck gehabt, dass Bernd D. den inneren Konflikt, den seine Homosexualität hervorrief, nicht aushalten konnte; vielleicht war diese Zerrissenheit der Ursprung seiner psychischen Erkrankung.

Im Prozess sagt D. aus, dass Stimmen ihm eingeredet hätten, dass er sich eine Frau suchen und Kinder zeugen solle. Diese Stimmen hätten ihn beobachtet und verfolgt.

Der Täter zeigt kein Mitleid mit seinem Opfer

Als er dann an Krebs erkrankte, verschlimmerte sich der psychische Zustand von Bernd D. Ihm schien es unerklärlich, wie er an Darmkrebs erkranken konnte. Vor Gericht betonte er immer wieder, dass er sich gesund ernähre und Nahrungsergänzungsmittel nehme. Die einzige Erklärung für seine Krebserkrankung war, dass eine Verschwörung dahinter steckt – und dafür wollte er sich rächen.

Renata S., das Opfer seines Wahns, starb drei Monate nach der Tat im Krankenhaus an multiplem Organversagen. Sie hinterlässt einen Ehemann und einen Sohn. Bernd D. sagte vor Gericht, dass er kein Mitleid für sein Opfer empfinde. Einzig die Todesanzeige habe ihn betroffen gemacht. 40 Hinterbliebene hatten sie unterzeichnet.