Bielefeld. Der Abend für Manuela D. (Name geändert) war lang. Die 53-jährige Fahrschullehrerin hatte am Abend noch eine Fahrschülerin nach Hause gebracht und kam nun gegen 21.10 Uhr endlich zu Hause an. Sie parkte ihren Wagen an der Straße Am Stadion, stieg aus und hatte nur noch wenige Meter bis zur eigenen Wohnungstür. Doch dort kam sie an diesem Abend des 18. Januars 2022 nicht an: Plötzlich greift ein Mann die Sennestädterin von hinten an, bringt sie zu Boden und würgt sie – drei Minuten lang.
Der Täter muss dafür große Kraft angewendet haben. Denn er würgt sein Opfer so vehement, dass die Blutversorgung des Gehirns der 53-jährigen Fahrlehrerin unterbrochen wird, heißt es später von der „Mordkommission Stadion“. Für Manuela D. bedeutet das akute Lebensgefahr. Und das Erschreckende: Eine Überwachungskamera in der Nähe des Tatorts zeichnet zwar nicht die Tat visuell auf, aber man kann den Kampf zwischen Täter und Opfer hören. Wie der Leiter der „Mordkommission Stadion“, Erster Kriminalhauptkommissar Markus Mertens, sagte, dauerte dieser Kampf demnach rund drei Minuten lang. Erst als zufällig Nachbarn in der Nähe parken, lässt er von seinem Opfer ab und flieht.
In der neuesten Folge von OstwestFälle, dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen, behandeln Moderatorin Birgitt Gottwald und NW-Redakteur Jens Reichenbach diesen bis heute unaufgeklärten Fall aus Bielefeld-Sennestadt. Sie sprechen über die Ermittlungen der Mordkommission, über ein Video, das den mutmaßlichen Täter sogar recht gut zeigt und den vermeintlichen Erfolg eines Fahndungsaufrufs im Fernsehen.
Brutale Attacke auf Bielefelder Fahrlehrerin – Der Fall im Überblick:
- Die Fahrlehrerin Manuela D. wollte gerade ihr Auto vor ihrem Haus abschließen, als sie von hinten angegriffen wurde.
Der Angreifer würgt Manuela D. bis zur Bewusstlosigkeit.
Er ließ nur von seinem Opfer ab, als sich ein Nachbar näherte.
Dem Täter gelang die Flucht.
Der Fall wurde auch in der ZDF-Sendung Aktenzeichen XY behandelt, auch hier blieb eine heiße Spur aus.
Der Täter ist fast vier Jahre nach der Tat noch immer nicht gefasst.
Mertens im Format „Aktenzeichen XY“: „Der Täter war bereit zu töten“
Die Ermittler gehen schnell davon aus, dass ein Täter, der sein Opfer so lange würgt, mit enormer Kraft vorgehen musste. Wer diese Kraft über eine so lange Zeit aufwendet, muss eine gehörige Portion Wut im Bauch gehabt haben. Deshalb glauben die Mordermittler weder an ein Raubdelikt (das Geld im Auto blieb unangetastet) noch an eine Sexualstraftat. „Der Täter war bereit zu töten“, sagte Mertens später im ZDF-Format „Aktenzeichen XY... Ungelöst“.
Der Vater der 53-Jährigen ist entsetzt, als er von der Tat erfährt. Er schöpft erst wieder Hoffnung, als die Tochter ihn anlächelt, als er ihr auf der Intensivstation die Hand streichelt. Zunächst kann die 53-Jährige nicht einmal reden. Doch sie erholt sich zumindest körperlich erstaunlich schnell.
Verletzungen am Hals, am Auge und am Ohr
Am Ende bleibt sie vier Tage lang im Krankenhaus. Ihr Vater berichtet später, dass es seiner Tochter von Tag zu Tag besser gegangen sei. Dennoch erlitt sie neben den Verletzungen am Hals eine Verletzung am Auge und ein eingerissenes Ohr.
Dem Leiter der Mordkommission zufolge ging es dem Täter entweder um das Gefühl von Macht oder um eine Rache für ein subjektiv empfundenes Unrecht. So formuliert es Mertens später vor der Kamera im XY-Studio. Unklar bleibt, ob Manuela D. ein Zufallsopfer wurde oder ganz gezielt angegriffen wurde.
Was wissen die Mordermittler bis jetzt?
Um 20.50 Uhr verlässt die 53-Jährige mit einer Fahrschülerin die Fahrschule am Falkenweg. Sie nimmt die Schülerin mit und bringt sie mit dem Wagen nach Hause. Die Ermittler können bisher nicht ausschließen, dass der Täter womöglich hier schon auf sein Opfer gewartet hatte, aber wegen der anderen Frau in ihrer Begleitung nicht zuschlagen konnte.
Die Fahrt dauert nicht lange, um 21.10 Uhr erreicht Manuela D. ihre Wohnanschrift. Sie parkt in einer der Parkbuchten an der Straße Am Stadion und steigt aus. In diesem Moment greift der Täter von hinten an. Sollte er zuvor vor der Fahrschule gewartet haben, könnte er zu Fuß zur Adresse der Fahrlehrerin geeilt sein. Das heißt, dass er wusste, wo die 53-Jährige wohnt. Ein von der Kripo veröffentlichtes Überwachungsvideo zeigt den jungen Mann, wie er schnellen Schrittes in Richtung Tatort geht und drei Minuten später im Laufschritt in die Gegenrichtung flüchtet.
Der besondere, unrunde Gang des Tatverdächtigen
Die Ermittler weisen dabei auf zwei Besonderheiten hin. Der Tatverdächtige (17 bis 25 Jahre, 1,65 bis 1,70 Meter, schlank, nicht allzu kräftig) geht zwar nicht langsam, aber etwas unrund. Die Polizei sagt, sein rechter Fuß beschreibe mit dem Unterschenkel bei jedem Schritt eine leichte sichelförmige Bahn. Neben diesem individuellen Gang fallen auch seine Schuhe auf, bei denen jeweils ein charakteristischer weißer Streifen an der Seite auffällt. Die Ermittler glauben, dass es sich um Deichmann-Schuhe der Bezeichnung „Memphis One“ gehandelt haben könnte – oder zumindest ähnliche Schuhe.
Doch das im Februar veröffentlichte Video des Tatverdächtigen bringt leider nicht den erhofften Erfolg. Der ermittelnde Staatsanwalt, Christoph Mackel, weiß zwar von einigen Hinweisen, die bei der Mordkommission eingehen. Aber keiner sorgt für den erhofften Durchbruch.
Die Mordermittler gehen von einer einmaligen Tat eines Einzeltäters aus. Parallelen zu anderen Würgevorfällen – wie etwa am 21. Dezember 2022 in Detmold – hätten sich beim näheren Hinsehen als nicht haltbar herausgestellt. Täterbeschreibung und Tatbegehung waren in den beiden Fällen nicht übereinstimmend.
Aktenzeichen XY soll den Durchbruch bringen
Am 7. Dezember 2022 strahlt deshalb das ZDF in der Sendung „Aktenzeichen XY“ mit Rudi Cerne einen längeren Film zu dem Fall aus. In der nachgestellten Tatszene ist zu erkennen, dass der Täter sein am Boden liegendes Opfer von hinten mit dem Unterarm würgt.
Die Sendung bringt vermeintlich eine große Reichweite. Am Ende kommen 95 Hinweise von TV-Zuschauern zusammen. Die Polizei fasst die Vielversprechendsten von ihnen zu neun Ermittlungsspuren zusammen, die zu mutmaßlich verdächtigen Personen führen könnten, heißt es damals. Unter anderem beschäftigte sich die Kripo mit einem Jogger, der in Sennestadt in jener Zeit zwischen 20 und 21 Uhr immer wieder aufgefallen war, weil er bei seinen Pausen Kampfsportübungen machte.
Doch auch diese neuen Spuren führten nicht zum Durchbruch. Auch im privaten sowie beruflichen Umfeld der Fahrlehrerin finden sich keinerlei Ermittlungsansätze. Die Sennestädterin selbst weiß bis heute nicht, warum sie an diesem Abend mit so großer Wut beinahe erwürgt worden ist. Die Kripo steht bis heute vor einem Rätsel.