Bielefeld. Im Juni 2022 stürmt der damals 20-jährige Anton F. (Name von der Redaktion geändert) ein Bielefelder Berufskolleg. Bewaffnet ist er mit Molotowcocktails, Schreckschusswaffen, einem Messer und einer Machete. Er schießt um sich, von Projektilen getroffen wird jedoch niemand. Im Internet soll er seine Tat angekündigt haben, zudem soll es Warnungen durch ausländische Sicherheitsbehörden gegeben haben. Auch im Frühwarnsystem „PeRiskoP“ der Polizei war der 20-Jährige vermerkt.
In der neuesten Folge von Ostwestfälle, dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen, sprechen Birgitt Gottwald und Lukas Brekenkamp über den beängstigenden Fall und warum die Tat nicht vorher verhindert werden konnte, obwohl der 20-jährige Bielefelder als Gefährder im Frühwarnsystem geführt wurde.
Es ist Freitagmittag, der letzte Tag vor der Sommerferien. Nur noch einige Hundert Schüler befinden sich an diesem Tag auf dem Gelände des Schulcampus Rosenhöhe. Glück im Unglück? Denn um 12 Uhr geht ein Alarm ein: Schüler und Lehrer melden Schüsse aus den Fluren des Berufskollegs Senne. Panik geht um in den Klassenräumen. Die Lehrer lotsen ihre Schüler in sichere Räume. Viele verbarrikadieren sich in den Klassen. In Windeseile erscheint eine SEK-Einheit der Polizei und sucht nach dem oder möglicherweise auch den Schützen.
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15 Minuten nach Eintreffen der Polizei wird der 20-Jährige auf dem Dach einer Mensa festgenommen, auf das sich der Täter zurückgezogen hat. Anschließend beginnt eine stundenlange Suche in den Schulgebäuden. Die Polizei will ausschließen, dass sich noch ein zweiter Täter auf dem Schulgelände verschanzt. Für mehrere Stunden müssen die Schülerinnen und Schüler in ihren Klassen ausharren.
Um 16 Uhr gilt die Lage als entschärft, bis 19 Uhr sind trotzdem noch Einsatzkräfte vor Ort und befragen Schüler als Zeugen. Mit der Festnahme werden schnell Details zum Tathergang bekannt. F. soll sich in einer Toilette im zweiten Obergeschoss des Gebäudekomplexes auf die Tat vorbereitet haben. Ein Schüler habe sich ihm in den Weg gestellt, daraufhin eröffnete der 20-Jährige das Feuer auf ihn, verletzte ihn jedoch nicht. Auch ein weiterer Schüler versuchte erfolglos, auf den Täter einzureden.
Die Bielefelder Amoktat und das Warnsystem „PeRiskoP“ - Alle Fakten im Überblick
- Im Juni 2022 stürmt ein 20-jähriger Bielefelder bewaffnet ein Berufskolleg.
- Er bereitet sich in einer Toilette auf die Tat vor und wird noch von mehreren Schülern aufzuhalten versucht.
- Trotzdem begibt er sich dann auf den Weg durch das Schulgebäude und schießt um sich.
- Hinterher zeigt sich, dass Anton F. die Schüsse mit einer Schreckschusswaffe abgefeuert hat - schwer verletzt wird niemand.
- F. wird nach der Tat zu einer Jugendfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, danach folgt die Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung.
- Der junge Mann hatte die Tat in einem Video im Internet angekündigt und war außerdem im Frühwarnsystem „PeRiskoP“ der Polizei verzeichnet.
- Das System erfasst durch Zusammenspiel zwischen Behörden wie dem Gesundheitsamt, Jugendamt oder Psychiatern auffällige beziehungsweise potenziell gefährliche Personen.
- Je nach Gefahreneinschätzung werden Präventionsmaßnahmen ergriffen. So ist es auch bei F. geschehen. Trotzdem kam es zur Tat.
Täter war psychisch vorerkrankt
Anton F. macht sich auf den Weg durch das Gebäude, will in ein Klassenzimmer eindringen, doch die Schüler verbarrikadieren sich. 18 Schüsse habe der 20-Jährige nach Angaben der Staatsanwaltschaft auf insgesamt neun Personen abgegeben. Auch zeigte sich: F. schoss mit Platzpatronen. Diese Schüsse sind nicht tödlich, können aber durchaus gefährlich werden.
Schwerverletzte gibt es an diesem Tag nicht, zahlreiche Menschen tragen jedoch einen psychischen Schock davon. Ein Schüler erleidet durch die Nähe zur Schreckschusswaffe ein Knalltrauma, ein anderer durch einen Sturz auf der Flucht eine Rippenprellung.
Der Schüler, der das Knalltrauma erlitt, tritt im Dezember 2022 vor Gericht als Nebenkläger auf. Anton F. habe vor Gericht nach Angaben der Richterin unbeteiligt gewirkt, Reue soll er nicht gezeigt haben. Nach drei Verhandlungstagen wird ihm aufgrund psychischer Vorerkrankungen eine verminderte Schuldfähigkeit ausgesprochen. Verurteilt wird er schlussendlich zu drei Jahren Jugendfreiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung, Störung des öffentlichen Friedens und Verstoß gegen das Waffengesetz. Darauf folgte die Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung.
Anton F. war den Behörden bekannt
Schon in der Vergangenheit soll F. Gewalttaten angedroht haben, auch die Amoktat kündigte er im Internet mit einem Video an. Der 20-Jährige war den Behörden bekannt und auch im Frühwarnsystem „PeRiskoP“ verzeichnet. Er galt wegen Androhung verschiedener Gewalttaten in der Öffentlichkeit als Risiko.
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Das Frühwarnsystem „PeRiskoP“ wurde im Jahr 2021 eingeführt und neben Bielefeld in zwei weiteren Polizeibehörden getestet, danach wurde es landesweit ausgerollt. Personen, von denen ein Risiko ausgeht, sind in diesem System verzeichnet. Die Gründe, warum Menschen in das System gelangen, können vielseitig sein. Gewalt- und Waffenaffinität, aber auch Abbruch von Medikamenteneinnahme ohne Kenntnis der Behörden.
„PeRiskoP“ verzeichnet Personen nach verschiedenen Kriterien
Um in dem System verzeichnet zu werden, gelten verschiedene Kriterien, die sich aus Informationen verschiedener Behörden wie dem Gesundheitsamt, der Polizei oder dem Jugendamt ergeben. Dazu gehört zum Beispiel die Gewaltbereitschaft einer Person oder die Frage, ob sie sich im Waffenbesitz befindet.
Dann gliedert das System in zwei Stufen. Auf der ersten wird sondiert, ob bei den entsprechenden Personen ein Risiko ausgeschlossen werden kann, die Gefährder erreichen dann die zweite Stufe. In diesem Fall können Maßnahmen ergriffen werden, etwa Gefärdenansprachen, also Kontaktaufnahmen der Behörden mit der auffällig gewordenen Person, wie es sie auch im Fall von F. gegeben hat.
Dieser zufolge habe er als stabil gegolten, weitere Maßnahmen wurden in seinem Fall nicht als erforderlich erachtet. F. ist der einzig bekannte Fall, der im behördlichen System verzeichnet ist und dennoch bis zur Tat schreiten konnte. In anderen Fällen, etwa dem eines Bielefelders, der als Frauenschläger bekannt war, konnte durch genauere Untersuchung eine Maschinenpistole sichergestellt werden.
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