
Düsseldorf. Sebastian Hartmann, der seit etwas mehr als ein Jahr an der Spitze der NRW-SPD steht, hat ein wichtiges Etappenziel erreicht. Nach monatelanger Vorarbeit hat der Landesverband sich auf dem Landesparteitag in Bochum am Wochenende in einem nahezu einstimmig beschlossenen Leitantrag inhaltlich neu positioniert - und zwar deutlich weiter links als bisher.
"Rot pur" nennt Hartmann den neuen Kurs, den er auch als wichtiges Signal an die Bundes-SPD verstanden wissen will. Denn was der mitgliederstärkste Landesverband sagt und tut, hat Gewicht in der Gesamtpartei.
Die NRW-SPD fordert eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung
Mehr als 100 Seiten umfasst der Leitantrag und ist damit so etwas wie ein neues Grundsatzprogramm der NRW-SPD. Unter der Überschrift "Das bessere Morgen solidarisch gestalten" fordert die NRW-SPD unter anderem eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung, den Abschied von der Riesterrente und die Pflicht für Unternehmen, ihren Arbeitnehmern eine Betriebsrente anzubieten, einen Mindestlohn von mindestens zwölf Euro, die Überwindung von Hartz IV sowie die Einführung einer Grundsicherung für Kinder aus armen Familien. Die Beschlüsse der Partei seien das Fundament für die Kommunalwahlen 2020 und das Wahlprogramm für die Landtagswahlen 2022, sagt Generalsekretärin Nadja Lüders.
Strittig war der Linksschwenk - zumindest auf dem Parteitag - nicht. Wer beispielsweise Kritik von der in NRW entstandenen Gruppe "SPD pur 2030" um den Herforder Bürgermeister Tim Kähler und den früheren Landesvorsitzenden Michael Groschek erwartet hatte, wurde enttäuscht. Beide waren nicht zum Parteitag gekommen. So kam die einzige allerdings erwartbare Kritik aus der NRW-CDU. "Die SPD im Rückwärtsgang", twitterte CDU-Generalsekretär Josef Hovenjürgen, schon bevor der Leitantrag vom Parteitag überhaupt beschlossen war.
Die Zahl der Mitglieder ist von 112.000 auf 105.000 gesunken
Mit ihrer Neupositionierung will die SPD, die bei der Europawahl in NRW zuletzt hinter CDU und Grüne auf Platz drei abgestürzt war, verlorene Wähler gewinnen. Über den Berg ist sie damit aber längst noch nicht. Ein Blick auf die Mitgliederzahlen beispielsweise zeigt, dass der Trend deutlich nach unten zeigt. Innerhalb eines Jahres ist die Zahl von 112.000 auf 105.000 zurückgegangen - auch wenn die Partei jetzt im Zusammenhang mit der Mitgliederbefragung über die neue Parteispitze wieder Mitgliedereintritte registriert.
Die nächste Herausforderung sind die in einem Jahr anstehenden Kommunalwahlen. Hier will die Partei verloren gegangenes Terrain zurückgewinnen, muss aber zunächst einmal Nackenschläge hinnehmen. Mit den langjährigen Oberbürgermeistern von Dortmund und Gelsenkirchen, Ullrich Sierau und Frank Baranowski treten zwei der bekanntesten Kommunalpolitiker in NRW nicht wieder an.
Vor allem der Verzicht von Baranowski, der auch Bundes- und Landesvorsitzender der Sozialdemokratischen Gesellschaft der Kommunalpolitiker (SGK) ist und gerade 57 Jahre alt ist, trifft die Partei hart. Hatten doch viele immer wieder gefordert, die erfolgreichen Kommunalpolitiker müssten in der Partei eine größere Rolle spielen. Baranowski selbst begründete im Gespräch mit dieser Zeitung den Verzicht mit seiner langen Amtszeit. Nach 16 Jahren müsse einfach einmal Schluss sein.
Wer die NRW-SPD in die Landtagswahl führt, ist noch offen
Völlig offen ist weiterhin die entscheidende Personalfrage, nämlich wer die NRW-SPD in die nächsten Landtagswahlen führt. Sebastian Hartmann und der Vorsitzende der Landtagsfraktion, der ehemalige NRW-Justizminister Thomas Kutschaty, haben beide Ansprüche angemeldet. Nach einer zuletzt auch öffentlich ausgetragenen Rivalität haben die beiden jetzt so etwas wie ein Burgfrieden geschlossen.
Ein Wörtchen mitreden dürfte in der Frage der Spitzenkandidatur aber auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Als Klimaschutzministerin nimmt sie eine Schlüsselrolle im Bundeskabinett und dürfte inzwischen die bekannteste Sozialdemokratin aus NRW sein.
Svenja Schulze erfuhr große Aufmerksamkeit
Obwohl sie auf dem Parteitag in Bochum gar nicht redete, erfuhr sie die größte Aufmerksamkeit. Nicht nur, weil sie nach dem Klimakompromiss der Bundesregierung von Fernsehkameras und Journalisten umlagert war. Viele Delegierte suchten das Gespräch mit ihr, wünschten ihr Erfolg für ihre Arbeit. Nicht wenige ließen sich auch mit ihr ablichten. Svenja Schulze ließ das gerne mit sich machen, bis sie am Nachmittag den Parteitag verließ, um in den Flieger nach New York zu steigen - zum Weltklimagipfel der UNO.
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