Paderborn. Widerstand bei den Fans, Widerspruch aus der Politik: Der FC Schalke kommt auch nach der Entscheidung von Clemens Tönnies, sein Amt als Aufsichtsratschef des Fußballvereins drei Monate ruhen zu lassen, nicht zur Ruhe. Der vom Ehrenrat des Revierclubs nach einer mehrstündigen Sitzung mitgetragene Vorschlag des Vereinspatrons sorgte für lebhafte Debatten.
"Clemens Tönnies kann so nicht mehr das Gesicht von Schalke sein", meint beispielsweise Manfred Beck von der Schalker Fan-Initiative. Aus Sorge vor weiteren Dissonanzen gab der Vorstand des Revierclubs am Mittwoch eine Erklärung ab: „Bei aller Emotionalität und Aufgeregtheit der letzten Tage lassen wir den Ruf des Vereins nicht auf eine diskriminierende Aussage reduzieren." In der Region stößt der Fall auf unterschiedliches Echo.
Das sagt ein Bielefelder Konfliktforscher
Der Sozialpsychologe Andreas Zick lehrt an der Universität Bielefeld. Er begrüßt, dass die Causa Tönnies Konsequenzen nach sich zieht. „Einfach so wegwischen" lässt sich das Thema aus seiner Sicht allerdings nicht. „Wir sollten uns noch mehr Zeit geben, die menschenfeindlichen Bilder, Stereotype und Vorurteile zu überlegen. Denn das Afrikabild, das hier zu Tage kommt, ist uralt und zeigt, wie tief die negativen Bilder in der Gesellschaft verankert sind", sagt der Wissenschaftler. Menschen, die auf einem Kontinent leben, in dieser Weise natürliche Merkmale zuzuschreiben und herabzuwürdigen, sei schlichtweg rassistisch. „Herr Tönnies hätte feststellen können, dass solche Bilder und Äußerungen rassistisch sind. Er hätte ein Angebot machen können, wie er sich damit beschäftigen möchte", sagt Zick.
Dass sich nun auch der Ehrenrat schwer damit getan habe, das Problem beim Namen zu nennen, sei eher Teil des Problems, als eine Lösung. „Wir alle müssen fähig sein, über uns nachzudenken, das Spitzenpersonal umso mehr", sagt Zick. Wolle er sich wirklich mit der Thematik auseinandersetzen, dann sei Clemens Tönnies die Lektüre von Toni Morrisons letztem Buch, „Gott hilf dem Kind", ans Herz zu legen, meint Andreas Zick. „Dort ist nachzulesen, wie viel Schaden Rassismus in einer zerrissenen Gesellschaft erzeugt. Das Thema lässt sich eben nicht einfach wegwischen. Auch hier werden wir merken, dass die Bilder erhalten bleiben, wenn der Alltag wiederhergestellt ist."
Das sagen Vereine und Fans aus OWL
Der DSC Arminia Bielefeld ist Kooperationspartner des Fleischkonzerns Tönnies. In einer Stellungnahme betont Medien- und Kommunikationsleiter Daniel Mucha, im Verein gebe es keinen Platz für Diskriminierung, Ausgrenzung, Gewalt und Extremismus. Der DSC Arminia sei hingegen auch kein Freund von überhitzten, öffentlichen Diskussionen. „Kein Mensch ist ohne Fehler. Fehler anzusprechen und für Fehler geradezustehen ist dabei genauso wichtig wie zu verzeihen und jemandem die Chance zu geben, Fehler nicht zu wiederholen", schreibt Mucha.
Der Geschäftsführer des SC Paderborn, Martin Hornberger, bewertet die Aussage von Clemens Tönnies mithilfe des Fußball-Regelwerks: „Die Äußerungen zu den Bewohnern in Afrika sind aus meiner Sicht ein grobes verbales Foulspiel." Dieses sei nach seiner öffentlichen Entschuldigung nun mit einer Tätigkeitssperre beim FC Schalke 04 geahndet worden. Wie im „richtigen Fußball", solle man Tönnies nach dieser Zeit wieder unvoreingenommen mitspielen lassen.
Dass es nach der Entschuldigung „auch einmal gut sein" müsse, findet auch Michael Horstkötter, Geschäftsführer des Frauensportvereins Gütersloh. Hier steht Tönnies als Hauptsponsor auf den Trikots der Spielerinnen, die ihre Spiele in der Tönnies-Arena in Rheda-Wiedenbrück austragen. Die Aussage finde Horstkötter zudem „nicht absolut rassistisch."
Schalke-Fanklubs aus Bielefeld, Brakelsiek, Rietberg und Hövelhof geben Tönnies ebenfalls weitestgehend Rückendeckung. Die meisten Fanklubs sehen den Rassismus-Vorwurf nicht bestätigt und sprechen von einem Fehler, der medial „aufgebauscht" werde.
„Der Satz von Tönnies war natürlich falsch", sagt Volker Upgang, Vorsitzender des Schalke-Fanklubs Hövelhofer Knappen. „Vielleicht wollte er in einer Rede vor Handwerkern einfach mal einen raushauen. Und dann war es eben eine Pointe, die danebengegangen ist." Peter Meinberg, Vorsitzender des Fan-Clubs Brakelsiek, ist davon überzeugt, dass Tönnies so eine Aussage nicht noch einmal äußern werde. Sie sei falsch gewesen, doch sie dürfe Tönnies nicht sein Amt kosten. Er kritisiert, dass Menschen zu schnell als rassistisch abgestempelt würden.
Das sagt der Erzbischof
Erzbischof Hans-Josef Becker, der selbst Zuhörer der Tönnies-Rede war, betont seine klare Haltung gegen Fremdenfeindlichkeit und Populismus, die er mehrfach deutlich zum Ausdruck gebracht habe. Darauf weist das Erzbistum Paderborn in einer allgemeinen Stellungnahme hin. Auf weitere Nachfragen wollte das Erzbistum nicht eingehen.
Die Aussagen von Clemens Tönnies seien zurecht öffentlich debattiert worden. Aus Sicht des Bischofes sei es von besonderer Bedeutung für ein gelingendes Miteinander, auf den umsichtigen Gebrauch von Sprache zu achten, heißt es weiter. „Denn die Art und Weise, wie Menschen mit- und übereinander reden, habe erheblichen Einfluss darauf, wie sie sich mit- und zueinander verhalten", schreibt das Bistum.
Aggressivität, Gewalt und Häme gelte es bereits in der Sprache zu vermeiden und stattdessen ein Mitgefühl für Mitmenschen zu kultivieren, insbesondere für diejenigen, die anders oder fremd sind. „Verantwortung und Solidarität, Mitmenschlichkeit und Geschwisterlichkeit seien gefragt, um einen gedanken- und geistlosen Egoismus zu überwinden." Im Falle von Clemens Tönnies dürfe jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass dieser inzwischen öffentlich um Entschuldigung gebeten habe.
Das sagt die Kreishandwerkerschaft Paderborn
Peter Gödde ist Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Paderborn-Lippe, die Tönnies eingeladen hatte. Er macht sich insbesondere Sorgen um den guten Ruf des Handwerks. „Wir sind keine Rassisten!" Mit diesen Worten beginnt eine Pressemitteilung zum Thema. Man stehe für ein weltoffenes Deutschland und gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit.
Peter Gödde habe sich unmittelbar nach den Äußerungen von Clemens Tönnies klar positioniert und diese als „nicht zielführend, schräg, kontraproduktiv und bescheuert" kritisiert. Weitere Stellungnahmen seitens der Handwerker habe es bewusst nicht gegeben. „Die Kreishandwerkerschaft sieht sich nun Anfeindungen und Beleidigungen ausgesetzt und soll in eine Rechtfertigungslage gebracht werden, in der wir uns nicht befinden", sagt Gödde weiter. Er beklagt außerdem, dass nun gezielt Gäste der Veranstaltung „Tag des Handwerks" medial ins Visier genommen würden.
Peter Gödde widerspricht Darstellungen, wonach Clemens Tönnies für seine umstrittenen Äußerungen Beifall bekommen habe. Vereinzelt und leise hätten einige Zuhörer geklatscht, so stellt es die Kreishandwerkerschaft in ihrer Mitteilung dar. „Dass jetzt nicht nur wir, sondern sämtliche unserer 1.600 Gäste sich dem Rassismus-Vorwurf ausgesetzt sehen, ist eine Ungeheuerlichkeit", sagt Gödde.
Das sagt die Chefin im Sportausschuss des Bundestags
Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende im Sportausschuss des Bundestags, kritisiert die Entscheidung des Schalker Ehrenrates im Fall Tönnies deutlich: „Offensichtlich hat ja nicht der Ehrenrat von Schalke 04 die Entscheidung einer kurzen Auszeit getroffen, sondern Herr Tönnies selbst." Damit zeige das Gremium seine eigene Ohnmacht im Verein und mache sich so letztlich auch selbst überflüssig. „Die ersten Reaktionen im Netz sind wenig schmeichelhaft für den Ehrenrat und dessen Vorgehen. Sie reichen von „Farce" bis zu völligem Unverständnis", sagt die Politikerin.
Freitag sieht jetzt den Deutschen Fußball Bund (DFB) gefordert: „Solche Entgleisungen sind ein Tabubruch ohne Skrupel", sagt Freitag gegenüber NDR Info. „Ihre Wirkung in die Gesellschaft ist – insbesondere in diesen Zeiten – verheerend." Vom DFB verlangt sie, deutlicher Kritik zu üben. In diesem Zusammenhang erinnerte sie an den Fußball-Slogan: „Say no to racism – Sage nein zu Rassismus". Alleine das müsste den DFB natürlich in seiner Linie bestärken, eine klarere Haltung zu finden.
Die Politikerin sagt, die Entgleisung von Clemens Tönnies werde durch seine selbst verfügte „Auszeit" zu einer Petitesse reduziert. „Schwamm drüber" dürfe hier allerdings nicht die Losung bleiben. Wer einen ganzen Kontinent in eine Ecke stelle, der erfülle eher den Tatbestand des Rassismus als nur den der Diskriminierung, findet die Sozialdemokratin. „Der Schaden dieser verbalen Entgleisung bis tief in die Gesellschaft bleibt. Denn die Kernbotschaft ist: Was bei einer offiziellen Festrede salonfähig ist, ist es dann am Stammtisch allemal", sagt die Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestages.
INFORMATION
Clemens Tönnies wird während seines dreimonatigen Rückzugs offenbar auf Stadionbesuche verzichten. Das berichtet die Bild-Zeitung. In diesen Zeitraum fallen auch die Heimspiele des FC Schalke 04 gegen Rekordmeister Bayern München (24. August) und das Revierderby gegen Borussia Dortmund (26. Oktober). Am 15. August wird sich außerdem die Ethikkommission des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit dem Fall beschäftigen. Das Gremium kann aber keine Sanktionen aussprechen, nur Untersuchungen einleiten und bei hinreichendem Tatverdacht Anklage bei der Ethik-Kammer des Sportgerichtes erheben.
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