Kommentar

Lindner, Merz und Co.: Sexismus, der Machtverhältnisse zementieren will

Schmierige Witze, Gestrigkeit beim Thema Homosexualität: Warum man das nicht einfach an sich abperlen lassen sollte - nicht nur in der Politik - erörtert unsere Autorin.

FDP-Chef Christian Lindner auf dem Parteitag am vergangenen Wochenende. | © picture alliance/dpa

Daniela Vates
23.09.2020 | 24.09.2020, 08:53

Die Frau hätte aufstehen können. Ihr Chef hat sie erst geholt, und dann nach einem Jahr abserviert. Unfähigkeit war das Urteil, so lange gestreut, bis sie aufgab. Und dann, beim öffentlichen Abschied, auf offener Bühne dieser Spruch, wie viele Morgen man miteinander den Tag begonnen habe – "nicht was ihr jetzt denkt", zwinker, zwinker. Übergriffige, schmierige Worte waren das.

Auf der Bühne grinste der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. In der ersten Saalreihe erstarrte die bisherige Generalsekretärin Linda Teuteberg.

Lindner hatte Glück: Teuteberg blieb sitzen. Sie hat ihrem Ex-Chef damit einen größeren Skandal erspart und ihm zumindest vorerst das Bleiben ermöglicht. Aber es ist ja nicht nur ein Christian-Lindner-Problem oder eines der FDP.

Mit Witzen über das Einparken lassen sich noch Hallen füllen

Die "Aufschrei"-Debatte, die vor einigen Jahren sexuelle Belästigungen im Alltag in den Vordergrund rückte, hat eine Weile lang Betroffenheit ausgelöst. Genug verändert hat sie offenkundig nicht, nicht einmal im Politikbetrieb, auf den sie fokussiert war.

Natürlich: Die Gesellschaft ist diverser, gleichberechtigter geworden in den vergangenen Jahrzehnten. Aber mit Vorurteilen über schlecht einparkende Frauen lassen sich immer noch Hallen füllen. Das Ganze firmiert unter Komik, was man auch schon in Frage stellen kann. Aber immerhin nicht unter Parteivorsitz.

Friedrich Merz, der an die CDU-Spitze und ins Kanzleramt will, sagt zwar mittlerweile, dass er sich einen schwulen Kanzler vorstellen kann. Aber er springt so schnell von Homosexualität zu Pädophilie, also von sexueller Identität zu psychischer Störung, als hätte er die letzten Jahrzehnte im Tiefschlaf verbracht.

Alltags-Chauvis im Hipster-Outfit

Es gibt sie noch, die guten alten Vorurteile, die die Welt so einfach machen. Damit zu spielen macht sich genauso schlecht wie Gedankenlosigkeit oder fehlende Reflexion. Das gilt vor allem, wenn man von sich behauptet, die Zukunft gestalten zu wollen, Führungsverantwortung hat oder sie anstrebt. Aber es gilt auch sonst. Behäbige Breitbeinigkeit und Rücksichtslosigkeit gibt es nicht nur in der Politik.

Und Chauvinismus ist auch keine Generationenfrage. Der so genannte Altherrenwitz, diese freundliche Umschreibung von Sexismus, und seine Äquivalente haben auch Fans im Hipster-Outfit. Es muss nicht immer so offenkundig anzüglich werden wie bei Lindner.

Es reicht die aggressiv-dominante Pose und die Abwesenheit von Empathie, gerne verbunden mit mimosenhafter Unverträglichkeit von Kritik.

Es geht darum, wer am weitesten spuckt

Die Rolle des tollen Hechts bedarf eines ständigen Maßnehmens des Heldentums. Es geht darum, wer am weitesten spuckt und am lautesten lacht - mindestens.

Die Alltags-Chauvis geben sich gern aufgeklärt und modern. Sie kritisieren Lindner und das patriarchale Paralleluniversum der katholischen Kirche – und vertragen es doch nicht, wenn jemand nicht mitmacht beim gegenseitigen Schulterklopfen.

Die miserable Bewertung der SPD-Chefin Saskia Esken hat nicht nur, aber eben auch damit zu tun, dass die Berliner Politik nach wie vor mehrheitlich ein Männerbetrieb ist.

Von "Kohls Mädchen" zu "Mutti"

Angela Merkel war noch "Kohls Mädchen”, als sie diesen lang überholt hatte und bekam dann das nicht als Anerkennung gemeinte Prädikat "Mutti”. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die zuvor Ministerpräsidentin war, wurde von ihren Gegnern als "Mini-Merkel” beschrieben und ihr damit die Eigenständigkeit abgesprochen.

Man kann das an sich abperlen lassen. Und tatsächlich haben solche Lindner-Momente ja etwas Lächerliches, Blamables, Trauriges. Und was bleibt von einem angeblichen Rhetorik-Talent, wenn der Griff in die Schenkelklopfer-Mottenkiste zum Standard gehört?

Aber leider sind diese Momente keine Petitessen: Sie sind Ausdruck von Strukturen und von Machtverhältnissen und vom Versuch, diese zu zementieren. Sie nerven und sie zermürben. Sie schrecken ab, kosten das Gegenüber Energie, behindern Karrieren. Sie verlaufen nicht immer auf offener Bühne, sondern weit öfters viel subtiler.

Sollte man sich nicht lieber mal mit Sachfragen beschäftigen? Gerne. Wenn sich das alle zu Herzen nähmen, ginge es noch einfacher.

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