Kommentar

Wirtschaftskrise in OWL: Wir brauchen Investitionen in Deutschlands Zukunft

OWL ist eines der Kraftzentren der deutschen Wirtschaft. Doch auch die Region leidet unter der Wirtschaftskrise. Deshalb braucht es eine klare Perspektive, meint unser Autor.

Ostwestfalen-Lippe ist eines der Kraftzentren der deutschen Wirtschaft. | © picture alliance / Robert B. Fishman

Klaus Schrotthofer
30.10.2024 | 30.10.2024, 10:49

Bielefeld. In Berlin geht es zu wie am Mount Everest in der Hochsaison. Unter widrigen Bedingungen stauen sich die Gipfelstürmer, damit sie ihr Foto bekommen. Wem das nützt? Weder das Gipfeltreffen des Kanzlers noch die Gegenveranstaltung seines dauererregten Finanzministers bringen wirklich Neues.

Wer ein differenziertes Bild von den Ursachen der Krise erhalten will, findet in Ostwestfalen ein geeignetes Anschauungsobjekt. Unsere Region ist eines der Kraftzentren der deutschen Wirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt von OWL ist größer als das von fünf Bundesländern, der Anteil der Industrie an der Wirtschaftsleistung ist höher als im Bundes- oder Landesschnitt.

Vor allem Mittelständler, viele davon Familienunternehmen, haben uns durch eine Dekade stabilen Wachstums geführt. Innovation, ostwestfälische Verlässlichkeit und viele qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren der Schlüssel zu diesem Erfolg. Aber diese Erfolgsstory kippt gerade. Erstmals seit zehn Jahren ist die Zahl der Beschäftigten in OWL rückläufig, vielerorts gibt es Kurzarbeit und namhafte Unternehmen wie Miele streichen Tausende Jobs.

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Kaufzurückhaltung wirkt sich auf die regionale Wirtschaft aus

Handel und Dienstleister leiden schon länger unter der aggressiven Marktdurchdringung der Online-Konkurrenz. Jetzt kommt die Kaufzurückhaltung dazu, die sich viele Konsumenten auferlegt haben. Die Real-Einkommen sind gestiegen, doch der Zuwachs wandert aufs Sparkonto – in unsicheren Zeiten halten die Leute ihr Geld zusammen.

Auch die in OWL so wichtige Möbel- und Hausgeräteindustrie spürt diese Konsumbremse. Sie sitzt dabei noch auf hohen Fertigungskapazitäten, die während des Corona-Booms aufgebaut wurden, als viele Menschen ihr Zuhause aufgemöbelt haben.

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Die Bauindustrie ist durch die Zinswende brutal gestoppt worden, darunter leidet auch das Handwerk. Und auch im weltweiten Maßstab hat das Ende der Null-Zins-Phase dramatische Folgen für OWL.

Stagnierende Investitionen haben Einfluss auf OWL

Jeder dritte Arbeitsplatz in Ostwestfalen hängt direkt oder indirekt am Export. Doch die Investitionen weltweit stagnieren. Das spürt der Landmaschinenhersteller Claas in Harsewinkel ebenso wie die vielen Maschinenbauer und ihre Zulieferer. Wenn Produktionsanlagen weltweit nicht wachsen, gibt es auch für die traditionell starken ostwestfälischen Ausrüster weniger zu verdrahten und verschalten.Zulieferer wie ZF oder Benteler erleben die Folgen der verfehlten Modellpolitik der deutschen Autoindustrie, die stark auf China und zu stark auf Verbrenner gesetzt hat. Elektroautos haben kein Getriebe.

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Es gibt keine einzelne Antwort auf diese Krise. Aber klar ist: Die Exporthemmnisse werden sich so schnell nicht abbauen lassen. Der Impuls zur Wende muss also vorrangig die Konjunktur im Inland befeuern. Zu tun gibt es genug: Auf mindestens 400 Milliarden wird der Investitionsbedarf geschätzt, um unsere maroden Verkehrswege, die digitale Infrastruktur oder die Energieversorgung zu modernisieren.

Eine verlässliche Förderkulisse für die Energiewende hilft Stiebel-Eltron-Mitarbeitern, die in Höxter Wärmepumpen bauen und den Beschäftigten von Beckhoff in Verl, deren Produkte in vielen Windrädern stecken. Von einer Erneuerung der Infrastruktur profitieren Bau-Riesen wie Goldbeck und Schüco in Bielefeld ebenso wie viele Spezialunternehmen und Handwerksbetriebe.

Beschäftigte in OWL brauchen klare Perspektive

Aber nicht nur Unternehmen brauchen dringend solche Impulse – auch die Beschäftigten verdienen eine klare Perspektive. Das nützt der Wirtschaft insgesamt: Menschen, die sich sicher fühlen, investieren in ihr Umfeld, sie bauen, sie sanieren, sie kaufen, sie konsumieren.

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Für all dies würde sich ein Gipfeltreffen wirklich lohnen – ein ganz diskretes, ohne öffentliches Getöse. Zwei Teilnehmer reichten aus: der Kanzler und der CDU-Chef. Zusammen hätten sie die Kraft, eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern anzustoßen, um die Mittel für ein umfassendes Investitionsprogramm locker zu machen – ein Sondervermögen, ähnlich dem für die Bundeswehr, das nur für Investitionen in Deutschlands Zukunft genutzt werden darf.

Auch der CDU, vor allem in den Ländern, ist klar, dass der gewaltige Investitionsstau nicht ohne eine Öffnung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse aufzulösen ist. Warum sie dennoch an ihr festhält?

Strategie von Friedrich Merz ist hochriskant

Solange die Krise der Ampel schadet, profitiert die Union. Erst nach der nächsten Wahl will sich Friedrich Merz die Schuldenbremse abverhandeln lassen. Doch diese Strategie ist hochriskant.

Zum einen ist fraglich, ob sich 2025 verträglichere Partner als heute in einer Koalition zusammenfinden. Zum anderen könnten extreme Parteien wie AfD und BSW eine Sperrminorität im Bundestag erringen. Die Wirtschaft und die Menschen haben keine Zeit für solche Spielchen. Der Baum brennt. Jetzt.