Rund 500 Paderborner gedenken ermordeter Juden

Paderborn. Vor 85 Jahren hat in Paderborn wie in vielen Städten die jüdische Synagoge gebrannt. Überall wurden jüdische Geschäfte geplündert und verwüstet, Wohnungen und Friedhöfe zerstört. Daran wurde zum Jahrestag am Platz an der Alten Synagoge in Paderborn erinnert. Aufgrund des zum Krieg eskalierten Konflikts im Nahen Osten ist die Debatte um Antisemitismus und Diskriminierung aktueller als in anderen Jahren. Das war zuletzt auch in Paderborn zu spüren in der Debatte etwa über eine Pro-Palästina-Demo vor knapp zwei Wochen, über vermeintliche Hetze und fehlende Distanzierung vom Hamas-Terror. Entsprechend groß war mit etwa 500 Personen die Zahl der Teilnehmer an der Gedenkveranstaltung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Paderborn für den Novemberpogrom von 1938. Monika Schrader-Bewermeier, katholische Vorsitzende der GCJZ sprach mit Blick auf Israel von einem Oktober-Pogrom, bei dem unter Hamas-Führung 1.400 Menschen getötet und 240 als Geiseln nach Gaza verschleppt wurden. Es sei &bdquo;Terror aus Hass auf Juden“ und die Hamas wolle diese Bilder. Es herrschten Angst, Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit, die Gräben würden tiefer und der Glaube an eine friedliche Koexistenz sei in weite Ferne gerückt. Schrader-Bewermeier zitierte aus Zuschriften, die sie aus Israel erhalten habe – unter anderem von Ruth Aloni, Enkelin der aus Paderborn nach Israel ausgewanderten Autorin Jenny Aloni. Reichspogromnacht "Anfang für die millionenfache, planmäßig organisierte Ermordung der Juden" Die Reichspogromnacht war &bdquo;der Anfang für die millionenfache, planmäßig organisierte Ermordung der Juden in Deutschland und Europa“, sagte Bürgermeister Michael Dreier. Anders als in den meisten deutschen Städten, dauerte es in Paderborn bis zum 10. November, ehe die Synagoge niedergebrannt wurde. &bdquo;Gewalt, Plünderung, Brandstiftung und Mord – all das geschah auch auf unseren Straßen und Plätzen in Paderborn. Es geschah auf den Straßen und Plätzen, auf denen wir uns täglich bewegen“, so Dreier. Das Mahnmal stehe dafür, dass die Geschichte nicht in Vergessenheit geraten dürfe – und &bdquo;dass aus Nachbarn Täter und aus Freunden Feinde wurden“. Anstatt aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, wiederhole sich dieser schlimme Teil der Geschichte gerade im Nahen Osten. Die Terrorakte der Hamas hätten tiefe Wunden gerissen. &bdquo;Wenn Hunderte von schlafenden Zivilisten und feiernde junge Menschen getötet werden, zeigt sich das brutale Gesicht des Antisemitismus“, so Dreier. &bdquo;Wir stehen tief betroffen an der Seite aller von Gewalt und Terror betroffenen Zivilisten.“ Der Bürgermeister gab ein klares Statement gegen Gewalt und jedwede Form von Antisemitismus: &bdquo;Wir in Paderborn stehen fest an der Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.“ Dreier appellierte an alle, weiterhin für Solidarität, Respekt für den Nächsten und eine von Offenheit geprägte Kultur einzustehen. Antisemitische Taten und Worte seien immer auch Angriffe auf die ganze Gesellschaft. "Wir sind wieder dabei, Menschen zu diffamieren und zu diskriminieren" Erinnerungskultur war das Thema der Gedenkrede von Angelika Strotmann, Vorstandsmitglied der GCJZ und emeritierte Theologin der Uni Paderborn. Zu einer guten, zukunftsfähigen Erinnerungskultur gehöre dreierlei: Erstens das Erinnern an das Vergangene selbst, auch wenn diese Erinnerung sehr unangenehm sei und bleibe, wie die an die deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus. Zweitens notwendig sei die Vergegenwärtigung, dieser Erinnerung. Also, das Erinnerte für das Handeln in der Gegenwart fruchtbar zu machen, damit sich die Vergangenheit nicht wiederholt. Und drittens als Schmiermittel und als Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart die Solidarität, ja in gewisser Weise die Identifikation mit den Opfern der Geschichte, um in der Gegenwart solidarisch und menschenfreundlich handeln zu können. Heute sei man noch nicht so weit wie 1938 oder 1933. Doch: &bdquo;Wir sind wieder dabei, Menschen zu diffamieren und zu diskriminieren, sie auf ihre Hautfarbe und ihr Aussehen, auf ihre ethnische Herkunft, auf ihre Religion, auf ihre sozial-marginale Situation zu reduzieren und ihnen pauschal bestimmte negative Verhaltensweisen und Motivationen zuzuschreiben“, sagte Strotmann. Antisemitismus sei immer noch virulent und treibe auch &bdquo;mitten in unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft sein Unwesen: Ich erinnere nur an Herrn Aiwanger aus Bayern und seinen unsäglichen Umgang mit seiner Vergangenheit oder an die antisemitischen Äußerungen über orthodoxe Juden des philosophischen Medienstars Richard David Precht.“ "Die politische Mitte springt auf den Zug auf, mit dem die Rechten fahren" Vergegenwärtigung der Verbrechen an Juden im Nationalsozialismus und all dessen, was zu diesen Verbrechen führte, bedeute aber ebenso, auch alle anderen wahrzunehmen, die Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen machten, und sich für sie einzusetzen. Es bedeute, den Blick zu richten auf Rassismus, auf Anti-Ziganismus, auf Hass gegen Muslime, Asylsuchende, Behinderte und psychisch Kranke oder Obdachlose. Rechtsextreme Einstellungen und Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Bevölkerung hätten deutlich zugenommen. Der Umgang in der Politik mit dem sogenannten &bdquo;Flüchtlingsproblem“ sollte nachdenklich machen. &bdquo;Die politische Mitte springt auf den Zug auf, mit dem die Rechten fahren“, sagte Strotmann und bekam dafür Zwischenapplaus. Wichtig sei, allen ein Gesicht und Namen zu geben, ihnen ihre Geschichte, ihre Religion und ihre Kultur zu geben und sie als Menschen und als Individuen zu sehen. Die Namen der jüdischen Paderborner Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Opfer des Naziterrors geworden sind, wurden von Schülerinnen und Schüler des Edith-Stein-Berufskollegs des Erzbistums Paderborn vorgelesen. Alon Süssholz sprach das Gebet, Holger Kley und Andre Schulte von der Feuerwehr legten den Kranz nieder. Für die passenden Klänge zwischen den mahnenden Worten sorgten Dieter Nowak und Timo Isakof. Am Ende stellten Teilnehmer Kerzen vor das Mahnmal.

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