Gedenken an den Holocaust

Wo Musik zum Mahnmal wird

Die Oerlinghauser Erinnerungskultur anlässlich des Holocaust-Gedenktags bietet in der Hedwigskapelle einen ganz neuen und außergewöhnlichen Ansatz, um die Vergangenheit zu bewältigen.

Mit Musik gegen das Vergessen. Das Ensemble BiMetall und die Verantwortlichen der Akademie am Tönsberg vor dem Konzert in der Hedwigskapelle: Kai Boettinger (v. li.) Yo Bayou, Nicole Bergmann, Nike Alkema und Axel Zumblick. | © Horst Biere

Horst Biere
28.01.2025 | 28.01.2025, 00:00

Oerlinghausen. Der Holocaust-Gedenktag, an dem der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz vor 80 Jahren gedacht wurde, besaß in Deutschland eine enorme Resonanz – mit Veranstaltungen, Filmen, diversen Fernsehbeiträgen. Viel Erinnern in Medien und an Mahnmalen also und mit ebenso vielen öffentlichen Veranstaltungen. Doch es gibt offenbar auch eine andere Erinnerungskultur, die mit Musikalität, Tanzmusik, sogar mit einer gewissen Leichtigkeit daherkommt. Eine solche Gedenkstunde, die den unsäglichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mit Werken aus der Weltmusik und Liedern aus dem jüdischen Kulturkreis gegenübertrat, erlebten jetzt viele Oerlinghauser in der voll besetzten Hedwigskapelle am Tönsberg.

„Aufwachen – Erinnern“ lautete der Titel des außergewöhnlichen und ansprechenden Musikprogramms, das jiddische Lieder, auch international bekannte weltliche Werke und Klezmer-Musik umfasste.

Es spielte das Ensemble Bi-Metall, das sich aus Kai Boettinger an der Klarinette, Yo Bayou am Kontrabass und Axel Zumblick am Akkordeon zusammensetzte. Die Klezmer ist eine jüdische Festmusik, die früher in den jüdischen Gemeinschaften Osteuropas zur Begleitung von Hochzeiten aber auch fröhlichen religiösen Festen, wie dem Purim-Fest auch der Synagogen-Einweihung gespielt wurde.

Doch wenngleich die muntere Musikfarbe dem Gedenken gelegentlich die Schwere zu nehmen schien – immer standen die Fakten der Vergangenheit dahinter, eben Verbrechen an jüdischen Menschen, aber auch Sinti und Roma oder sonstigen Opfern, die einfach anders gedacht haben.

Die notwendigen Informationen lieferte Axel Zumblick zu den jeweiligen Liedern. Etwa die Vertreibung der Juden aus Spanien im Mittelalter oder aber die „Ghetto Swings“ mit „Es brennt“. Oder auch die Musik zum Filmklassiker „Exodus“ sowie zu „Schindlers Liste“.

Alte Synagoge, jüdischer Friedhof und Stolpersteine in Oerlinghausen

Zumblick erinnerte auch an das jüdische Leben in Oerlinghausen und nannte Orte wie die alte Synagoge, den jüdischen Friedhof am Tönsberg oder aber die jüngst verlegten Stolpersteine, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern sollen. „Vieles ist unter die Haut gegangen“, fasste Nike Alkema, die Leiterin der Akademie am Tönsberg, als Veranstalterin des musikalischen Abends in einer bemerkenswerten Rede zusammen. „Die Dimension des Bösen darf nicht vergessen werden; darf nicht in den Hintergrund rücken“. Gerade mit Hinblick auf die gegenwärtigen politischen Entwicklungen in der „laut einer Umfrage der Jewish Claims Conference zwölf der Jugendlichen zwischen 18 und 29 Jahren noch nie etwas von den Begriffen Holocaust gehört haben, und dass 40 Prozent nicht wissen, dass während der NS-Zeit sechs Millionen Juden umgebracht worden sind. . . Das ist erschreckend und lässt uns ratlos zurück.“

Dennoch helfe es nicht, nur auf Politik und Bildung und Medien zu schimpfen. Da müsse man sich fragen, „ob wir die junge Generation mitnehmen, ob wir ausreichend dafür sorgen, dass die Erinnerungen wach gehalten bleiben, dass wir die Geschichten der Zeitzeugen aufnehmen und weitererzählen. Wir müssen uns auch fragen, ob wir ausreichend dagegenhalten, wenn Menschen der eigenen Generation bereit sind zu verklären, umzudeuten, zu verharmlosen, Unwahrheiten akzeptieren, sich radikalisieren.“

„In welcher Welt leben wir“, fragte Nike Alkema. „In welcher Welt wollen wir leben? Und was ist jetzt unsere Kraft? Was sind unsere Möglichkeiten?“ Die Antwort, um dem Vergessen der Gräueltaten des Nationalsozialismus entgegenzuwirken, so scheint es, kann durchaus in musikalischen Abenden wie jenem in der Hedwigskapelle zu finden sein. Wenn auch jene Bürger, die eine rechtsorientierte Partei wählen, wohl nicht in der großen Publikumsschar gewesen sein dürften.