Häusliche Gewalt: In Paderborn suchen mehr Frauen Hilfe

Paderborn. Lockdown, Homeoffice, finanzielle Sorgen: Experten warnen seit Beginn der Pandemie vor mehr häuslicher Gewalt. An offiziellen Zahlen ist das bislang allerdings noch nicht zu erkennen. Im Vergleich zu den Vorjahren sind sowohl die Strafanzeigen zu häuslicher Gewalt als auch die Wohnungsverweisungen und Rückkehrverbote zurückgegangen, zeigen die Zahlen der Kreispolizeibehörde Paderborn. 156 Übergriffe in den eigenen vier Wänden wurden im Jahr 2021 angezeigt - und damit deutlich weniger als in den zwei Jahren zuvor. 2020 gab es 228 Strafanzeigen, 2019 lag der Wert noch höher bei 277. Doch die Dunkelziffer liege wesentlich höher, nur wenige Übergriffe werden auch bei der Polizei zur Anzeige gebracht, weiß Mechthild Beckmann von der Frauenberatungsstelle Lilith in Paderborn. Zwar stellte auch sie fest, dass 2020 weniger Frauen das Beratungsangebot in Anspruch genommen haben. "Als Corona losging und der erste Lockdown kam, haben sich nur wenige Frauen bei uns gemeldet." So wenig, dass das Team der Frauenberatung selbst irritiert gewesen sei. Beckmann schätze, dass die Verunsicherung zu der Zeit noch sehr groß gewesen sei: "Viele saßen zu Hause mit ihrem Partner fest und konnten daher nur schwer Kontakt zu uns aufnehmen." Doch aufgrund der oftmals bedrohlichen Situation sei der Beratungsbedarf höher gewesen. Obwohl insgesamt weniger Frauen die Hilfe der Beratungsstelle in Anspruch genommen haben, haben Beckmann und ihre Kolleginnen insgesamt mehr Gespräche durchgeführt, berichtet die Sozialpädagogin.2021 deutlich mehr Anfragen Nach dem zweiten großen Lockdown haben die Anfragen in 2021 dann deutlich zugenommen, so Beckmann. "Insbesondere in den vergangenen Monaten hatten wir viele Anmeldungen mit dem Thema häusliche Gewalt."Ihrer Erfahrung nach wirke Corona wie ein Brennglas, und jetzt habe sich die Situation in vielen Familien zugespitzt. "Kleine Kinder zu Hause, finanzielle Engpässe - da eskaliert die Situation schneller und der Aggressionspegel ist bei sowieso aggressionsbereiten Männern noch höher."Diese Entwicklung kann die Beratungsstelle Belladonna grundsätzlich bestätigen. "Im Sommer nach dem ersten Lockdown ging es wieder richtig los", sagt Rita Schlottmann, Sozialarbeiterin bei Belladonna."Im Gegensatz zu anderen Bundesländern war das wohl in ganz NRW so festzustellen." Die Beratungen zu häuslicher Gewalt seien "nicht eklatant" gestiegen, der Schnitt liege bei rund 180 Fällen pro Jahr.Allerdings haben die Anfragen zu sexualisierter Gewalt stark zugenommen, berichtet Schlottmann. In der Statistik werde zwischen den beiden Kategorien unterschieden. Schlottmann: "Die Fälle überschneiden sich zum Teil auch." Frauen in Beratung wollen sich oft trennen Die Männerberatung von KIM verzeichnet derzeit noch keinen Anstieg der Beratungsgespräche. Für Jochen Hunold-Berle, Sozialarbeiter in der Männerberatung, ist das jedoch nicht überraschend. "Aus Erfahrung wissen wir, dass es einen zeitlichen Versatz von Opfer- und Täterberatung gibt."Erst steige die Anzahl der Beratungen bei Opfern und erst im Anschluss bei den Tätern. "Die Hemmschwelle da oft höher", sagt Hunold-Berle. Dennoch seien sie auf einen Anstieg an Beratungen vorbereitet. "Der Bedarf wird steigen", ist sich der Sozialarbeiter sicher, "und dafür müssen wir personell noch aufstocken." Die Gründe, warum Täter, und damit in vielen Fällen Männer, in Beratung gehen, unterscheiden sich von deutlich den Gründen der Opfer. "Ein Großteil der Männer wollen weiter mit ihrer Partnerin zusammenbleiben und was verändern", sagt Hunold-Berle. Das ist in der Beratungsstelle Lilith anders. "Von den Frauen, die sich bei uns melden, ist der Prozentsatz sehr hoch, die sich dann auch tatsächlich trennen wollen", sagt Beckmann."In diesen Zeiten wird mehr ausgehalten" Dass sich in Konsequenz mehr Paare scheiden, ist aktuell jedoch noch nicht ersichtlich. 423 Scheidungen sind 2021 beim Amtsgericht Paderborn durchgeführt worden - und damit 66 weniger als im Vorjahr. "Wenn sich ein Ehepaar trennt, muss es in der Regel ein Jahr warten, bis es den Scheidungsantrag einreichen kann", erklärt Maria Kuhlenkamp. Die Paderborner Fachanwältin für Familienrecht habe jedoch auch einen deutlichen Anstieg an Beratungsgesprächen verzeichnet. "Nach dem zweiten Lockdown habe ich so viele Mails und Anrufe bekommen, dass die Menge teils gar nicht mehr zu bearbeiten war", sagt Kuhlenkamp. Bei ihren Kollegen im Familienrecht sei das ähnlich gewesen. "Der Mitteilungsbedarf war enorm hoch, das habe ich als sehr belastend empfunden."Allerdings sei es oft bei Beratungen geblieben. "Viele Frauen waren vorsichtiger, die Trennung dann auch umzusetzen." Das liege vor allem daran, dass es schwieriger sei, eine neue Wohnung oder einen neuen Job zu finden. Zudem komme häufig noch die Sorgen um Geld oder Job hinzu. Kuhlenkamp: "Ich glaube, in diesen Zeiten wird mehr ausgehalten."

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