Paderborn. Mit der kleinen Ella erlebte Nelly Tomm das letzte Mal den bewegenden Moment. Den Augenblick des ersten Schreis eines Neugeborenen. Bis zum Schluss hat dies Tomm Gänsehaut bereitet.
„In der Regel dauert es ungefähr eine Minute, bis der erste Atemzug kommt. Es ist dieser Moment, der die Eltern und Geburtshelfer besonders verbindet", sagt sie in einer Mitteilung des Evangelischen Krankenhaus St. Johannisstift.
38,5 Jahre war Tomm als Hebamme in der Geburtshilfe des Krankenhauses werdenden Müttern – und Vätern – eine große Stütze im Kreißsaal.
Vielen ist sie in Erninnerung. „Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist. Und das ist es!", sagt sie mit leuchtenden Augen. „Dabei wollte ich eigentlich Lehrerin werden oder Jura studieren – und bin nur meiner besten Freundin zuliebe Hebamme geworden."
Bei Ellas Geburt sei alles richtig schön verlaufen, die komplette Geburt im sogenannten „Hebammengeführten Kreißsaal" nur mit der Betreuung durch Nelly Tomm. In drei Stunden habe die Mutter Steffi ihr zweites Kind zur Welt gebracht. „Das erste Kind leistet die Vorarbeit. Das zweite kommt dann meistens schneller!" Für die Frauen und ihre Bedürfnisse strahlte Tomm dabei immer sehr viel Erfahrung und Gespür aus. Dutzende Hebammen, die mit ihr gearbeitet und von ihr gelernt haben, bestätigen das.
Bei Bedarf ist ein Arzt zur Stelle
Der „Hebammengeführte Kreißsaal" ist vor mehr als zehn Jahren auf Tomms Bestreben im St. Johannisstift initiiert worden und findet immer mehr Gefallen bei den werdenden Eltern. Der Ansatz: Bei unproblematischen Schwangerschaften und nach einem klärenden Anmeldungsgespräch, können Frauen ausschließlich mit Betreuung der Hebamme gebären, auf aufwendige Technik wird verzichtet. Sobald es nötig wird, ist aber ein Arzt zur Stelle. „Viel Wert legen wir dabei auf eine individuelle Betreuung", sagt Tomm.
17 Jahre lang hat sie die Abteilung der Geburtshilfe und Gynäkologie geleitet und gestaltet. In dieser Zeit wurde viel umgebaut, renoviert und stetig optimiert. Tomm entwickelte neue Farbkonzepte und setzte sich ein für neue Kreißsaaleinrichtungen wie eine Sprossenwand, den Einbau einer Gebärwanne, ein Romarad und gestaltete mit ihrem Team das Stillzimmer.
"Am meisten freue ich mich über eine persönlich geschriebene Karte"
Die neue Elternschule wurde ins Leben gerufen – mit vielen verschiedenen Angeboten, diversen Vortragsreihen, Frauen- und Paarkursen (auch als Wochenendcrashkurs-Format), Säuglingspflege, Vorbereitung auf das Stillen, Rückbildungskurse – um nur einige Formate zu nennen. Außerdem hat Tomm die Geburtshilfe im St. Johannisstift geprägt durch: einen Frühstücksraum, in dem sich junge Eltern treffen und austauschen können, ein Wehenzimmer, in dem werdende Eltern vor der Geburt in appartementähnlicher Atmosphäre auch übernachten können, und letztlich auch die gern genutzten Familienzimmer.
Nelly Tomm blickt auf eine bewegte Vergangenheit zurück. „Und auf meterweise Merci-Schokolade! Dabei freue ich mich am meisten über eine persönlich geschriebene Karte!" Dass sie viele Kolleginnen bei deren eigenen Geburten unterstützen durfte, mache sie auch lange danach noch besonders stolz. Es sei eine tolle Anerkennung. Die Nachsorge bei den Müttern zu Hause hat Tomm schon vor fünf Jahren jüngeren Kolleginnen überlassen. Wichtig sei der persönliche Besuch bei den jungen Familien: „Da sieht man erst so richtig, ob die Familie auch wirklich zu Hause angekommen ist. Und es ist eine ganz intime Umgebung für jegliche Fragen." Wenn eine Frau keine Hebamme für die Nachsorge zu Hause findet, sei die Wochenbettambulanz im St. Johannisstift eine gute Alternative.
Auch der frühere Chefarzt erinnert sich
Bei mehr als 4.000 Geburten könne Nelly Tomm einzelne nicht hervorheben – aber insbesondere die vielen Geburten ihrer Kolleginnen und Mitarbeiter, die sie persönlich begleitete, blieben ihr in schöner, ehrenvoller Erinnerung bleiben. Entscheidend gewesen sei für sie immer die gute Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Ärzten. An ihre Mentorinnen Karla Wilhelm, Lore Wolförster und Elke Hartmann-Plaß erinnere sie sich immer noch dankbar. Mit ihrer Kollegin Antonia Schön verbindet sie eine ganz besonders enge Freundschaft. „Wir haben so viele tolle, emphatische Hebammen, mit so viel Wissen und Lust auf die Geburtshilfe!"
Gregor Haunerland, früherer Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, blicke gerne auf die gemeinsame Arbeit – wenn auch unter erschwerten anatomischen Bedingungen: „Ich erinnere mich gerne an die Geburten mit Frauen im Stehen oder in der Hocke – und ich mit Dir am Boden davor!"
Auch Steffi, die Mutter von Ella, wird Nelly Tomm wohl nie vergessen.