Paderborn

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Vorwürfe von Macht und Missbrauch am Theater Paderborn

Zwischen der Intendanz und dem Ensemble tobt in Paderborn eine Zerreißprobe.

Im Theater Paderborn läuft es derzeit nicht rund. Zwischen den Schauspielern und dem Chefin tobt ein Streit. | © Viktoria Bartsch

19.12.2020 | 22.12.2020, 13:22

Paderborn. Mit einem „offenen Brief" an die geschäftsführende Intendantin Katharina Kreuzhage wurde von der Genossenschaft Deutscher Bühnen Angehöriger (DGBA) bereits im Oktober ein erster Schritt eingeleitet, um dem Ensemble und der Belegschaft in angespannter Situation den Rücken zu stärken.

Kreuzhage wurde darin aufgefordert, sich dem Diskurs mit dem Ensemble zu stellen. Dieses erhebt schwere Vorwürfe gegenüber der Intendantin: Machtmissbrauch, die Erzeugung von Angst, Täuschung. Nach Momenten des Stillstands ist das Schauspielensemble dann mit einem betriebsoffenen Brief in die Offensive gegangen.

Das Theater Paderborn ist nicht das einzige Theater, an dem konkrete Beschuldigungen des Machtmissbrauchs von Seiten des Schauspielensembles gegenüber der Leitung laut werden. In Essen stimmte die Theaterbelegschaft im März als „Gefangenenchor" die Ratsherren auf ihren Protest ein.

Intendantin Katharina Kreuzhage setzt jetzt auf eine Mediation, um den Konflikt zu entschärfen. - © Theater Paderborn/Christoph Meinschäfer
Intendantin Katharina Kreuzhage setzt jetzt auf eine Mediation, um den Konflikt zu entschärfen. | © Theater Paderborn/Christoph Meinschäfer

Am Staatstheater Karlsruhe wurde der Begriff des „toxischen Klimas" in einem offenen Brief im September an die Öffentlichkeit geschwemmt. Während in Essen der bühnenreife Protest die Geschäftsführung von sich aus zu einem Abgang bewegte, bleibt es in Karlsruhe beim alten Muster: Der Verwaltungsrat spricht der Intendanz das volle Vertrauen aus.

Kein einziges Mitglied der Theaterbelegschaft

Wie ist das möglich, muss man sich fragen, zumal jedem Theater ein Aufsichtsrat angehört. Auch in Paderborn. Wie ist dieser zusammengesetzt, über welche Kompetenzen verfügt er, was sind seine Aufgaben? Der Aufsichtsrat ist in seiner Kontrollfunktion zu verstehen, der über die Einhaltung der Regeln wacht und sich bei Verstößen einschaltet. Die Frage lautet: Wie kann er das, wenn sich der Aufsichtsrat aus Ratsmitgliedern, dem Bürgermeister und dem Kulturdezernenten zusammen setzt, aber kein einziges Mitglied der Theaterbelegschaft vertreten ist?

Dabei ist es in Deutschland, wie der Theaterkritiker Thomas Heskia ausführlich in seinem Aufsatz „Macht und Aufsicht" geschrieben hat, längst üblich, dass in Theatern, die – wie das Paderborner – als GmbH geführt werden, dem Betriebsrat Sitze eingeräumt werden.

Demzufolge wäre dieses Versäumnis in Paderborn zu beheben und eine Mitbestimmung der Belegschaft strukturell zu verankern: Einerseits um Konflikte am Haus unter verantwortungsvoller Mitbestimmung der Künstler sowie der Macher hinter den Kulissen, bereits im Anfangsstadium gemeinsam zu lösen. Andererseits um eine Diskussionskultur und ein demokratisches Miteinander zu entwickeln und zu leben.

Machtmissbrauch und Übergriffe

„Auf der Bühne werde Gerechtigkeit, Teilhabe und Demokratie verhandelt – und hinter den Kulissen wird genau das nicht gelebt", zitiert Thomas Schmidt, Professor für Theatermanagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt gegenüber dem SWR2 in seiner Stellungnahme zum Fall Essen.

Er macht deutlich, was in vielen Schriften bereits Hauptthema ist: Es sind an erster Stelle die strukturellen Veränderungen, die Theater benötigt, um Machtmissbrauch, sexuellen Übergriffen und rassistischen Äußerungen entgegenwirken zu können. Sonst käme es lediglich zu einem Wechsel der Personalie; die Struktur, die Machtmissbrauch erlaube, bleibe.

KOMMENTAR DER REDAKTION


Die Krise birgt eine riesige Chance

Ann-Britta Dohle

Über ein ganzes Jahrhundert hinweg haben sich in der deutschen Theaterlandschaft Strukturen gefestigt, die geschäftsführenden Theaterdirektoren und Direktorinnen deutschsprachiger Bühnen nahezu eine Alleinherrschaft ermöglichen. So ist es auch kein Zufall, dass die „Me Too"-Bewegung sich notwendigerweise zunächst aus Künstlerkreisen heraus entwickelt hat, wo Übergriffigkeit auf Körper und Würde an der Tagesordnung war und leider oftmals noch immer ist.

Die Künstlerinnen und Künstler befinden sich nicht selten in einer inneren Zerreißprobe. Denn während sie auf der Bühne als Helden menschliche Größe beweisen oder als Opfer auf Missstände aufmerksam machen, erleben sie in ihrer Rolle als Schauspieler nicht selten Verachtung, Geringschätzung und Schweigepflicht gegenüber Geringschätzungen ihrer eigenen Person. Solche hierarchischen Strukturen, die das ermöglichen, sind längst durchschaut und überaltert. Aber sie halten sich hartnäckig, sie sind gefestigt und gesichert. Nur wenige trauen sich, neue Schritte zu gehen. Ein Strukturwandel bedeutet Arbeit, geht nicht von heute auf morgen.

Aber eine offensichtliche Krise, wie die am Theater Paderborn, sollte von allen Beteiligten als wertvoller Lernprozess aufgegriffen werden. So gesehen, ist der Fall Paderborn eine riesige Chance für das gesamte Theater und die Stadt, um vorbildhaft zu agieren. Denn noch ist weder ein Urteil gefällt, noch eine Entlassung – gleich in welche Richtung –vollzogen. Doch um die verhärteten Fronten aufzulösen, bedarf es Courage, den Willen zur Veränderung und eine sinnvolle Aufsicht. Es ist spät; für eine beginnende Kommunikationsstruktur sollte es aber nie zu spät sein.