grosches Gedanken

Erwin Grosches Gedanken: Die Stollenprüfung als Fest der Sinne

Der Kabarettist, Autor und Kleinkünstler schreibt in seiner Kolumne über die Prüfung eines beliebten Weihnachtsgebäcks.

Macht sich Gedanken: Erwin Grosche. | © Harald Morsch

14.11.2020 | 20.11.2020, 15:18

Eine Stollenprüfung muss eine aufregende Angelegenheit sein. Welche Düfte und Genüsse dort auf einen Prüfer warten, kann man nur erahnen. Ich würde vor Glück verrückt werden. Die Stollenschau gilt als Startschuss in die Weihnachtszeit. Was sich hier testen lässt, wird auch später in den Regalen der heimischen Bäcker zu finden sein. In diesem Jahr waren erstmals auch lippische Betriebe aufgerufen, ihre Stollen prüfen zu lassen.

Kein anderer als Kultstollenprüfer Karl-Ernst Schmalz war in die Paderstadt gekommen, um den Stollen auf den Grund zu gehen. „Alles was wir wollen, ist ein leckerer Stollen." Der gelernte Bäcker ist seit 30 Jahren Stollenprüfer des Deutschen Brotinstituts und gilt als unbestechlicher Kenner der Materie.

„Treffen sich zwei Rosinen. Eine hat einen Sturzhelm auf, fragt die andere: „Wieso trägst du einen Helm?" Sagt sie: „Ich gehe gleich in den Stollen."

60 eingereichte Stollen

Gutgelaunt fand sich der Prüferprofi, er hatte seit einem Monat die Finger von allen Süßigkeiten gelassen, im Probiersaal der Kreishandwerkerschaft Paderborn ein, um die 60 eingereichten Stollen auf Herz und Rosinen zu prüfen. Der Weihnachtsstollen ist ein Kuchen, der, dick mit Puderzucker bedeckt, an das gewickelte Christkind erinnern soll. Ein liebevoll geschmücktes Bescherungszimmer fördert seine Wirkung und erinnert an die Botschaft der Weihnachtszeit.

Wer wie Karl-Heinz Schmalz in einem ungastlichen Saal der Kreishandwerkerschaft die Stollen probieren muss, wird selbst als Stollenprüfer geprüft. Hatte Stephan Peters von der Kreishandwerkerschaft Paderborn-Lippe zu wenig Zeit, um ein wenig Tannengrün in dem nüchternen Raum zu platzieren? So feiert man vielleicht in Lippe Weihnachten, wir Paderborner mögen es kuscheliger. Das ist kein erfreulicher Anblick, wenn Nuss-Mohnstollen, Eierlikörstollen und Bratapfelstollen noch von einer Plastikfolie umhüllt, kreuz und quer auf zusammengeschobenen Resopaltischen präsentiert werden. Das Auge isst auch mit.

„Süßer die Stollen nie schmecken"

Auch Weihnachtswitze wie „Wussten Sie schon, dass im Wort ,Advent’ auch das ,Fahrradventil’ steckt?" heben nicht die Stimmung. Warum beklebte Stephan Peters nicht schnell die Fenster des Saales mit weihnachtlichen Symbolen? Warum trat er selbst nicht als Engel in Erscheinung? Er hätte während der Prüfung auch Weihnachtslieder singen können, wie „Süßer die Stollen nie schmecken". Natürlich hätte auch ein kleiner Tannenbaum diesem Startschuss in die Weihnachtszeit mehr Würde geben können.

Das ist doch die Botschaft der Bäcker in der Weihnachtszeit. Wir sind für euch da. Wir begleiten euch durch die Kälte und die Dunkelheit des Winters. Wir backen für Euch mit Liebe unsere Kuchen und unser Brot, damit Ihr wisst, dass Ihr nicht allein seid.

War eigentlich der Stollen aus dem Lipperland weniger süß und spart man dort an Rosinen?