Bäckern über die Schulter geschaut: So entsteht Christstollen Bünder Art

Bünde. Der Blick über die Schulter von Bäcker Frank Wiele offenbart durchaus Überraschendes: Denn Rosinen, Zitronat oder auch Rum sucht der Betrachter an diesem Vormittag in der Backstube bei Erdbrügger am Goetheplatz vergebens. Dabei bereitet der 58-Jährige hier zwischen frisch aus dem Ofen gekommenem Gebäck und Broten gerade einen Christstollen vor. Dafür gießt Wiele, der seit seinem 16. Lebensjahr bei Erdbrügger ist, einen ordentlichen Schluck Wein und Kirschwasser in einen Bottich mit Cranberrys, Aprikosen, Äpfeln, Mandeln und Haselnüssen. Noch verströmt diese Frucht-Nuss-Mischung einen recht hochprozentigen Geruch, doch nach dem Backen wird dieser zu einem Aroma verflogen sein. &bdquo;Das ist ein ganz neues Rezept, das wir in diesem Jahr zum ersten Mal ausprobieren“, verrät Volker Erdbrügger, Seniorchef der 1901 gegründeten Bäckerei und Konditorei. Zusammen mit seinem Team habe er nach einer Alternative für all diejenigen gesucht, die keine Rosinen mögen. Dabei herausgekommen sei der Früchte-Nusszauber-Stollen. Christstollen &bdquo;Dresdner Art“ weiter im Angebot Auf die Frage, ob er sich damit in Dresden blicken lassen dürfe oder aus der sächsischen Landeshauptstadt verbannt würde, muss Volker Erdbrügger lachen. Für alle Liebhaberinnen und Liebhaber des traditionellen Stollens versichert er aber: &bdquo;Wir haben natürlich auch weiterhin den klassischen Christstollen Dresdner Art im Angebot.“ Der Grundteig sei bei beiden Varianten ohnehin identisch. Der Hefeteig mit der speziellen Vorteigführung müsse schließlich stabil genug sein, um die jeweiligen Früchte und Nüsse überhaupt tragen zu können. &bdquo;Bei uns ist der maximale Frucht- und Butteranteil, den die Teigzubereitung technisch hergibt, drin“, versichert Juniorchef Christoph Erdbrügger. Und auch bei den Zutaten setze man auf Qualität. Die Rosinen im klassischen Stollen kämen beispielsweise aus Australien. &bdquo;Das ist ein himmelweiter Unterschied zum Stollen aus dem Supermarkt“, versichert Volker Erdbrügger. Extremer Preisanstieg bei Butter ist großer Faktor Dass es auch einen Unterschied beim Verkaufspreis im Vergleich zum Discounter gibt, ist offensichtlich. Dieser erkläre sich durch den Zeitaufwand beim Vorbereiten und Backen – die Früchte beispielsweise würden 24 Stunden eingelegt – sowie der Qualität der Zutaten. Allein der extreme Preisanstieg bei Butter sei &bdquo;ein großer Faktor“, erklärt Christoph Erdbrügger. Doch den Kundinnen und Kunden, die einen echten Bäckerstollen kaufen, sei es das wert. Christstollen werden auch knapp vier Kilometer weiter westlich gebacken. &bdquo;Bestimmt schon seit hundert Jahren“, sagt Björn Vollmer, &bdquo;Chef“ des 1911 gegründeten, gleichnamigen Familienbetriebs. &bdquo;Bei uns im Keller liegen Backformen, die sind mindestens 70 oder 80 Jahre alt.“ Eltern und Großeltern hätten das schon gemacht, daran könne er sich noch erinnern. Das Rezept habe er nur einmal geändert, um das Jahr 2000 herum sei das gewesen. &bdquo;Mehr Mandeln und Rosinen – und noch ein paar andere Sachen“, sagt der 42-Jährige kurz und bündig. Er muss auf die Uhr schauen – die fast fertigen Stollen liegen im Ofen, in ein paar Minuten müssen sie raus. Auf zehn Kilo Mehl kommen 14 Kilo Früchte und vier Kilo Butter Sein ureigenes Rezept kann er natürlich nicht verraten, aber ein paar Einblicke in das Besondere des Vollmer’schen Stollens gewährt er: &bdquo;Auf zehn Kilo Mehl kommen 14 Kilo Früchte und vier Kilo Butter – dazu Marzipan, Salz und Rum“, erzählt er. Stollengewürz benutze man im Hause Vollmer nicht, &bdquo;man soll mehr die einzelnen Zutaten herausschmecken“. Der gesamte Prozess des Stollenmachens dauere etwa 24 Stunden, angefangen mit dem Einlegen der Früchte in Rum, über das Herstellen und Ruhenlassen von Vorteig und Teig, das Formen der 850 Gramm schweren Rohlinge und gegebenenfalls das Einarbeiten einer Marzipanrolle am nächsten Tag, bis hin zum Einschieben in den Backofen. Um die 45 Minuten bleiben sie dort in ihren Formen liegen, &bdquo;die Kerntemperatur sollte 92 Grad betragen“, sagt Vollmer und schaut wieder auf die Uhr. Und dann ist es so weit: Die Stollen können raus aus dem Ofen. Zuerst die kleine Variante, die braucht nicht so lange. Vollmer nimmt den Deckel von einer der Formen und schiebt das Thermometer in einen der Stollen, in etwa bis zur Mitte – Stichwort Kerntemperatur. &bdquo;Passt“, sagt er. Christstollen kann für längere Zeit liegen Und dann muss alles ein bisschen zackig gehen: Der Bünder stellt die Formen mit den Stollen auf den Tisch und streicht sie mit Butter ein. &bdquo;Manche tauchen sie in Butter, wir machen es lieber so“, erklärt er, während sein Vater Heinz sich die noch warmen Stücke schnappt und in Zucker wälzt – fertig sind die Mini-Christstollen. Mit den großen Exemplaren läuft es ein paar Minuten später ganz genauso. &bdquo;Wenn sie kalt sind, werden sie eingepackt“, sagt Vollmer. Viele sagen, dass man den Christstollen danach noch für längere Zeit liegen lassen sollte, bevor man ihn anschneidet und isst. &bdquo;Kann man machen“, sagt Björn Vollmer. Um mit einem verschmitzten Lächeln hinterherzuschieben: &bdquo;Unsere Stollen schmecken aber auch schon, wenn sie frisch aus dem Ofen kommen.“ Wer wollte das bezweifeln?

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