Kloster Dalheim: Sonderausstellung über die Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus

Lichtenau-Dalheim. Man kennt Edith Stein, man kennt Dietrich Bonhoeffer, ebenso sind die Geschwister Scholl von der Weißen Rose bekannt. Alle eint, dass sie für christliche Werte standen und gegen die Nationalsozialisten Widerstand leisteten – das bezahlten sie mit ihrem Leben. Ihr Glaube war der größte Antrieb, etwas gegen das NS-Regime zu unternehmen. Von der katholischen oder evangelischen Kirche gab es hingegen kaum öffentlichen Widerstand. Daher stehen schon seit Jahrzehnten viele Fragen im Raum: Waren die Kirchen Opfer oder Täterinnen, hätten sie nicht mehr Kritik üben und Widerstand leisten müssen und auch die Rolle des Papstes ist undurchsichtig. Diesen und noch mehr Fragen ist das LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Stiftung Kloster Dalheim, nachgegangen – sehr ausführlich. Vom Aufstieg der Nationalsozialisten über die Kriegszeit und Judenverfolgung bis hin zu heute. Führende Experten aus den Bereichen Theologie und Geschichtswissenschaft begleiteten den Prozess. Nach jahrelanger Arbeit kann nun eine Ausstellung mit 200 Exponaten und noch mehr Hintergrundinformationen gezeigt werden. Ein Jahr lang wird die Ausstellung im Kloster Dalheim laufen – vom 17. Mai 2024 bis zum 18. Mai 2025. &bdquo;Erstmals widmet sich eine Ausstellung in diesem Umfang und dieser Komplexität dem Verhältnis der christlichen Kirchen und Klöster zum Nationalsozialismus – wir wollen alles sehr neutral auf Fakten basiert vermitteln und dabei sind nicht Schwarz oder Weiß wichtig, sondern die Grautöne“, erläuterte die Vorstandsvorsitzende der Stiftung Kloster Dalheim und LWL-Kulturdezernentin, Barbara Rüschoff-Parzinger. Das Thema hat auch eine gewisse Explosivität Dabei sei es anfangs nicht einfach gewesen, wie das heiße, emotionsgeladene Thema angepackt und aufgearbeitet werden sollte. Es habe schließlich auch eine gewisse Explosivität, so Rüschoff-Parzinger, und werde zugleich auch in der Fachwissenschaft kontrovers diskutiert. Daher sei es sehr wichtig gewesen, in der langen Vorbereitungsphase einen wissenschaftlichen Beirat hinzuzuziehen. Dem gehören unter anderem Kirsten John-Stucke, Leiterin des Kreismuseums auf der Wewelsburg, und der Kirchenhistoriker Hubert Wolf von der Uni Münster an. Die Sonderausstellung hat den passenden Titel &bdquo;Und vergib uns unsere Schuld? Kirchen und Klöster im Nationalsozialismus“. Darin wird die komplexe Wechselbeziehung von Christentum und Nationalsozialismus für ein breites Publikum aufgearbeitet, allerdings gibt es keine Antworten auf die vielen Fragen. &bdquo;Wir wollen dem Publikum keine Meinung aufnötigen, wohl aber ermöglichen“, betonte Georg Lunemann, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Die Frage nach dem Verhältnis der christlichen Kirchen und Klöster zum Nationalsozialismus habe eine große moralische Fallhöhe, unterstrich Lunemann die Relevanz der Schau. Besucher begeben sich auf die Spuren von Tätern und Opfern Laut des Direktors soll die Ausstellung Raum für eine schonungslose Begegnung mit der deutschen Vergangenheit geben. &bdquo;Die Besucher begeben sich auf die Spuren von Tätern und Opfern, von Mithelfern und Widerstandskämpferinnen, von Fluchthelfern und Profiteurinnen und werden so zu einer persönlichen Auseinandersetzung mit Themen wie Verantwortung und Schuld angeregt“, erläuterte Rüschoff-Parzinger. Sie betonte auch, wie wichtig es sei, dass sich &bdquo;gerade in dieser Zeit auch Schüler mit diesen Themen beschäftigen und auseinandersetzen“. Daher wird unter dem Titel &bdquo;Widerstand zwecklos? Die Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus“ auch ein Programm für die Schulklassen 9 bis 13 angeboten. Anhand konkreter Biographien können die Jugendlichen den historischen Sachverhalt erarbeiten und eine eigene Haltung zum Umgang mit Verantwortung und Schuld – damals wie heute. Mit zehn Fragen führt die Ausstellung die Besucher in die Zeit vor und während des Nationalsozialismus bis in die Nachkriegszeit. Im Spannungsfeld von Kollaboration und Widerstand stellt die Schau dabei kirchliches und christliches Verhalten in den Kontext der Zeit. Sie beleuchtet die Maßnahmen, mit denen das NS-Regime den christlichen Glauben aus dem Alltag zu verdrängen suchte und zeigt zugleich die Verstrickung der christlichen Kirchen und ihrer Anhänger in die nationalsozialistische Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik. Nazis wollten das christliche Weihnachtsfest abschaffen &bdquo;Antichristliche und antikirchliche Überzeugungen zählten von Beginn an zum nationalsozialistischen Weltbild“, erläuterte Museumsdirektor Ingo Grabowsky. Ein neuheidnisches Brauchtum sollte christliche Feste ersetzen. Einen besonderen Stellenwert habe dabei das &bdquo;Julfest“ gehabt, das anstelle des christlichen Weihnachtsfests gefeiert werden sollte. In der Ausstellung wird auch ein Julleuchter aus dem Familienbesitz eines damaligen Waffen-SS-Mannes gezeigt. Das ist nur eins von mehr als 200 Exponaten aus Museen, Archiven, Bibliotheken und privaten Sammlungen. Zeitgenössische Plakatkunst oder Fotografien verdeutlichen, wie die Ideologie des Nationalsozialismus weite Teile der deutschen Gesellschaft durchdrang und auch vor den beiden großen christlichen Kirchen nicht haltmachte. &bdquo;Alltagsgegenstände erzählen Geschichten, sie sind Beleg dafür, was passiert ist und sollen die Besucher auch emotional berühren“, meint Rüschoff-Parzinger. Besonders eindringlich sind Bittschreiben von Juden an Papst Pius XII. Tausende wandten sich damals an die katholische Kirche, lange waren diese Schreiben aus den vatikanischen Archiven unbekannt. Seit 2020 sind sie der Forschung zugänglich. Emotionale Bittschreiben von Juden an den Papst Und einige sind auch in Dalheim zu lesen. &bdquo;Bevor ich den letzten Schritt meines jungen Lebens tue, das noch keinen rosigen Tag gesehen hat, wage ich es seine Hochwürden um Hilfe zu bitten“, so leitet der 20-jährige Student Martin Wachskerz 1942 seinen Brief ein. Dieses Schreiben und viele andere führen das unvorstellbare Leid der Opfer nationalsozialistischer Verbrechen vor Augen. Nach Kriegsende grenzten sich Kirchen und Klöster vom Nationalsozialismus ab, berichtet Grabowsky. Auch die Mehrheit der Bevölkerung habe die Kirchen als Opfer und Gegner des ehemaligen Regimes gesehen. Die kritische Aufarbeitung setzte erst in den 1960ern ein und sei ein bis heute fortdauernder Prozess. &bdquo;Wir haben nicht die Aufgabe zu werten. Wir wollen keinen bevormunden und auch nicht mit dem erhobenen Zeigefinger agieren“, lädt der Museumsdirektor alle Interessierten ein, sich selbst ein Bild vom Verhältnis der Kirchen und Klöster im Nationalsozialismus zu machen.

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