Fünf Jahre Corona-Pandemie: Rahdener Kinderarzt blickt auf die Krise zurück

Rahden. Vor fünf Jahren brach auch in Deutschland die Corona-Krise aus. Schnell erreichte das Virus von China aus weite Teile der Welt. Mit Lockdowns und zeitweisen Ausgangsbeschränkungen brach das öffentliche Leben über Wochen weitgehend zusammen. Der Corona-Ausbruch hierzulande jährt sich in diesen Wochen zum fünften Mal. Was hat die Pandemie mit Menschen gemacht? Dem geht die NW in einer kleinen Serie nach. Im Interview äußert sich der Rahdener Kinderarzt Wolfgang Adam. Vor fünf Jahren erreichte ein bis dato unbekanntes Virus Europa. Was war das damals aus Ihrer Sicht als Mediziner? Wolfgang Adam: Es war anfangs nicht ganz klar: Breitet sich das weltweit aus? Ist es wirklich eine Sars-Variante, die eine sehr hohe Krankenlast hat und schwerste Erkrankungen zu Folge haben kann? Man hat sich als Mediziner immer wieder neues Wissen verschaffen wollen. Und das Wissen aus Großbritannien und Israel hatte, im Rückblick betrachtet, den höchsten Stand. Dann kamen viele Todesfälle unter älteren Menschen und die Angst war verbreitet, dass bis zu fünf Prozent der älteren Menschen versterben können. Wann erreichte das Coronavirus Ihr persönliches Umfeld? Das geschah eigentlich durch einen Anruf des Geschäftsführers des Rahdener Unternehmens Meier Guss. Sie hatten 1.500 Masken übrig und wollten die gern spenden. Zu Beginn der Pandemie waren Masken ja absolute Mangelware. Meier Guss sagte, dass ich als Arzt wüsste, wo die Masken am dringendsten gebraucht würden. Die gespendeten Masken von Meier Guss habe ich ausschließlich an Arztpraxen und Schulen verteilt. Über den Präventionsrat wurden weitere 1.000 Masken beschafft. Die wurden an Schulen verteilt. Was waren Ihre Gedanken, als erstmals Veranstaltungen verboten und der erste Lockdown verhängt wurde? Ich empfand das aufgrund der sehr großen Angst in der Bevölkerung und den ersten Informationen zu einer schweren Pandemie aus medizinischer Sicht als richtige Maßnahme. Es war zu der Zeit noch so viel unklar, welche Gefahr für die Gesellschaft durch das neue Virus besteht. Dadurch hatten wir im ersten halben Jahr viel weniger Todesfälle in Deutschland als etwa in Italien. Dann öffnete man den Lockdown und rückte in die Corona-Winterwelle und zu Weihnachten 2020 folgte der nächste Lockdown. Was waren die besonderen Augenblicke? Ich bekam ständig Anrufe. In einem Fall fuhr ich auch nach Tonnenheide. In einem Haus lag der Senior im Obergeschoss und die Angehörigen hatten Angst, dass sie sich infizieren. Da nahm ich Abstriche. Ende 2020 gab es dann viele Infektionen und ich bekam einen Anruf vom Gesundheitsamt, ob ich für das mobile Team Abstriche nehmen könnte. Das habe ich abgelehnt. Ich war gerade 70 geworden und habe Asthma. Deswegen habe ich diese Anfrage abgelehnt aufgrund des eigenen hohen Risikos. Aber für die Impf-Kampagne haben Sie sich dann doch engagiert. Einen Monat später bekam ich einen Anruf von der Kassenärztlichen Vereinigung, ob ich mich beim Impfen im Impfzentrum in Hille beteiligen würde. Da habe ich Ja gesagt. Warum? Das Jahr 2020 war für mich insgesamt nicht leer. Ich recherchierte immer weiter, um die Gesellschaft, die verunsichert war, bestmöglich aufklären zu können. Sicher, es gibt Fehler. Vielleicht war es ein Fehler, allzu engagiert an das Impfen heranzugehen. Aber das war die einzige Chance, die Pandemie einzudämmen und Todesfälle zu verhindern. Was meinen Sie mit &bdquo;allzu großem Engagement für das Impfen“? Eine korrekte Aufklärung durch die medizinische Wissenschaft und durch die Politik hätte täglich erfolgen müssen. Man hätte täglich betonen müssen, dass eine Impfung auf der einen Seite in der Regel vor schweren und schwersten Krankheitsverläufen oder gar Todesfällen schützt, aber auf der anderen Seite auch neben leichten Nebenwirkungen in einzelnen Fällen auch schwere Nebenwirkungen haben kann. Was haben Sie denn bei den vielen Impfungen im Impfzentrum in Hille erlebt? Bis auf leichte Nebenwirkungen oder Ohnmachtsanfälle habe ich nur einen Fall mit einer Frau erlebt, die im Impfzentrum intensivmedizinisch behandelt werden musste und dann ins Krankenhaus kam. Das war ein Fall bei vielen 1.000 Impfungen. Wie reagierten die Menschen auf die Impf-Möglichkeiten? Es gab zwei Phasen, als ich im Impfzentrum impfte. Ich habe in einer Phase auch Anrufe von Menschen bekommen, die sich nicht für die Anmeldung zum Impftermin einwählen konnten. Das war anfangs ja auch sehr kompliziert. Diesen Menschen habe ich dann Hilfe vermittelt, damit sie sich einwählen konnten. In der zweiten Phase waren genügend Termin-Möglichkeiten im Impfzentrum vorhanden, aber die Nachfrage ließ nach. Aber wie war denn nun die Reaktion der Menschen auf die Möglichkeit, sich impfen lassen zu können? Es gab einen Zeitpunkt, wo es Vorbehalte gab gegen das Impfen von jüngeren Frauen mit dem Impfstoff von Astra Zeneca. Die Vorbehalte bezogen sich auf mögliche schwere Nebenwirkungen. Da habe ich vielen Frauen, die Astra Zeneca bekommen sollten, zu Biontech geraten – bevor aus Berlin dann die Anweisung kam, jüngere Frauen nicht mehr mit Astra Zeneca zu impfen. Ich erinnere mich auch an einen besonderen Moment: Da stand ein sehr alter Mann vor mir in der Impfkabine und weinte. Ich frage ihn, ob er Angst vor der Impfung hat. Das verneinte er. Er sagte, dass er gern seine schwerstkranke Frau besuchen würde, die auf der Intensivstation eines Krankenhauses lag. Aber er durfte seine schwerstkranke, sterbende Frau im Krankenhaus nicht besuchen. Ich habe dann in der Mittagspause in dem Krankenhaus angerufen und vermittelt. Und dann durfte der alte Mann nach dem Impftermin seine Frau besuchen. Den gleichen Missstand von Besuchsverboten´gab es ja außerdem in Seniorenheimen. Was hat die Coronakrise aus Ihrer Sicht mit der Gesellschaft gemacht? Was ich besonders fand, das waren die riesige Hilfsbereitschaft und die Dankbarkeit der Menschen auch gegenüber dem medizinischen Personal für Informationen, Impfungen und Hilfe. Hat Corona aber nicht auch Teile der Bevölkerung abgehängt? Ja, natürlich. In den Seniorenheimen gilt das für ältere Menschen und es gilt sicherlich auch für die Kinder in Kitas und Schulen. Sie haben damals angesichts der Schließung von Kitas und Schulen vor den seelischen Folgen für die Kinder gewarnt. Sehen Sie sich mit diesen Warnungen heute bestätigt? Wir wissen ja durch die aktuellen Zahlen, dass wesentlich mehr psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen auftreten, die wir Kinder- und Jugendärzte zu großen Teilen auch auf die Pandemie und die darauf folgenden Kita- und Schulschließungen zurückführen. Aber: Es wurde von Teilen der Medien auch so dargestellt, dass Kinder eine geringere Viruslast hätten und nicht so leicht die Oma infizieren könnten. Aber diese Behauptung war nicht richtig. Sie wurde wissenschaftlich widerlegt. In der Rückschau: Was hat gut funktioniert in der Pandemie und was nicht? Wir hatten in Deutschland rund 200.000 Tote. Der Spitzenreiter waren die USA. Wir sind aus meiner Sicht einerseits relativ gut dadurch gekommen aufgrund der schnellen Verfügbarkeit von Impfstoffen. Andererseits war vieles auch Aktionismus durch die Politik, weil man nichts falsch machen wollte. In Rahden – und das konnte ich mithilfe von vielen Mitstreitern umsetzen – hat das Test- und Impfzentrum prima funktioniert und kam bei der Bevölkerung sehr gut an. Ist nach der Pandemie nicht aber auch vor der Pandemie – vor allem, wenn das Artensterben so weitergeht? Die Corona-Pandemie entstand wahrscheinlich durch die Überbevölkerung und den engen Kontakt zu Tieren, sodass es wahrscheinlich ist, dass eine weitere Pandemie folgt. Offen ist wann. Wir haben aus Corona bislang nicht ausreichend gelernt, um die nächste Pandemie besser zu managen. Was ist Ihr Fazit fünf Jahre nach dem Corona-Ausbruch? Ich würde alles wieder so machen wie damals – mich informieren und Hilfe anbieten. Das ist mein Beruf. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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