Pfarrer im Interview: Was hat die Corona-Pandemie mit den Menschen in Rahden gemacht?

Rahden. Vor fünf Jahren brach auch in Deutschland die Corona-Krise aus. Schnell erreichte das Virus von China aus weite Teile der Welt. Mit Lockdowns und zeitweisen Ausgangsbeschränkungen brach das öffentliche Leben über Wochen weitgehend zusammen. Der Corona-Ausbruch hierzulande jährt sich in diesen Wochen zum fünften Mal. Was hat die Pandemie mit Menschen gemacht? Dem geht die NW in einer kleinen Serie nach. Im Interview äußert sich der Rahdener Pfarrer Udo Schulte. Vor fünf Jahren erreichte Corona auch Deutschland, die pandemische Lage wurde erklärt. In der Rückschau: Wie war das damals? Udo Schulte: Die Entwicklung hat sich in wenigen Tagen überschlagen. Im Januar hatte man von dem Virus in China gehört, aber da war es gefühlt weit weg. Und dann ging es in den ersten März-Tagen schlagartig. Anfang März war das Leben noch fast normal. Jeder kann sich wohl daran erinnern, was er machte. Ich plante ein Studiensemester in Leipzig und war Anfang März sogar in Leipzig. Zwei Wochen später fielen die Gottesdienste schon aus. Das war eine Dramatik, Ungewohntheit und Einmaligkeit. Daran hat wahrscheinlich jeder seine eigenen Erinnerungen und eine persönlichen Erfahrung an diese Zeit. Dann kam ein richtiges Ausbremsen des gesellschaftlichen Lebens – und damit auch des kirchlichen Lebens. Gleichzeitig hat einen das rund um die Uhr beschäftigt, weil diese Pandemie Neuland war. Die Medien berichteten, alles war lahmgelegt und man konzentrierte sich auf etwas, was man noch nicht kannte. Wie war es in Rahden als die ersten Gottesdienste abgesagt wurden? Wir hatten die Entscheidung schnell und einmütig gefasst, dass wir uns an die Empfehlungen halten und die Gottesdienste, das Gemeindeleben total zurückgefahren werden. Da gab es hier auch keinen Widerstand. Es war für uns vor Ort kein Thema. Wir hatten nicht den Eindruck, dass die Religionsfreiheit eingeschränkt wurde. Es war vielmehr eine sinnvolle Maßnahme, an die wir uns gehalten haben. Wie war für Sie der erste Sonntag ohne regulären Gottesdienst? Öffentliche Gottesdienste waren nicht möglich. Ich persönlich feierte Gottesdienste weiter in der Johannis-Kirche. Allein und stellvertretend für die Gemeinde. Ich habe hier gebetet und gesungen und auch eine kurze Predigt gehalten. Lesen Sie auch: Verbote und &bdquo;weißes Gold“: Als das Coronavirus das Lübbecker Land lahmlegte Es war aber niemand da, das zu hören? Nein. Die Tür aber war auf, die ließ ich bewusst offen. Bei den Gottesdiensten habe ich mir vorgestellt, dass Jesus Christus auf der Orgelbank sitzt und ich mit ihm spreche. Es waren ja mehrere Wochen und das habe ich regelmäßig an den Sonntagen so gemacht. Wie war Ostern ohne Gottesdienst? Das dürfte doch das erste Osterfest seit der Christianisierung ohne Gottesdienst gewesen sein? Für die christliche Kirche zumindest seit dem ursprünglichen Ostern. Es war an Ostern 2020 total warm. Ich hatte die Türen von St. Johannis aufgemacht. Eine Person kam hinein und setzte sich. Fernsehgottesdienste gab es, aber Gottesdienste in Präsenz waren länger nicht erlaubt. Dann durfte nicht gesungen werden und keine Instrumente eingesetzt werden bis auf die Orgel. Ich weiß nicht mehr alle Details, es änderte sich vieles und auch schnell. Aber jede Änderung musste auf der Leitungsebene verantwortet werden. Das kostete auch sehr viel Kräfte. Die Konfirmationen zum Beispiel mussten verschoben werden. Man hatte die Hoffnung, dass sich die Lage nach fünf bis sechs Wochen deutlich entspannen würde. Aber das tat sie nicht. Es war eine Wellenbewegung. Leichter Entspannung folgten neue Spannungen. Auf Lockerungen folgten strengere Maßnahmen. Wenn die Zukunft so schwer einzuschätzen ist, dann ist das eine ganz anstrengende Lebenssituation. Ich glaube, dass die gesamte Situation eine Dünnhäutigkeit des gesellschaftlichen Lebens hervorgebracht hat. Lesen Sie auch: Wie ein 34-jähriger Stemweder mit Long Covid leidet In welcher Hinsicht? Der Schulunterricht war unterbrochen, für den Unterricht mussten neue Formen gesucht werden. Bei der Arbeit war Homeoffice ein großes Thema: Wie kann man arbeiten, ohne anderen Menschen zu begegnen? Das gesellschaftliche Leben wurde auf die Kernbeziehung beschränkt. Vereine durften sich nicht mehr treffen. Feiern wurden unterbunden. Urlaub und Reisen war nicht mehr möglich. All das, was wir so gern machen, war nicht mehr möglich. Es gab extreme Einschränkungen bei Kontaktmöglichkeiten. Das hat Alte und Kranke besonders betroffen. Für Angehörige war es doch furchtbar, einen kranken Menschen nicht mehr besuchen zu dürfen, oder? Ja. Und andersherum auch. Gerade ältere Kranke, die keinen Besuch bekommen, vereinsamen total. Ein Beispiel aus der pastoralen Arbeit: Trauerfeiern durften nur mit eingeschränkter Personenzahl und nur draußen stattfinden. Machten solche Trauerfeiern für manche Angehörige nicht den Eindruck, dass die Toten eilig verscharrt werden anstatt sie würdig zu bestatten? Das glaube ich weniger. Aber Trauer ist auch ein soziales Geschehen. Man trauert gemeinsam mit Familie, Angehörigen und Freunden. Und dann durften damals nur zehn Personen an einer Trauerfeier teilnehmen. Was ist das, wenn ich nicht mehr trauern darf? Haben Sie sich damals von der Politik und den Behörden gut informiert gefühlt? Da kann ich nicht klagen. Es kamen Informationen. Manche Vorschrift kam sehr kurzfristig. Aber diese Kurzfristigkeit war auch nachvollziehbar, weil sich die Lage immer kurzfristig änderte. Ein Beispiel dafür ist Heiligabend 2020. Wir hatten zu Heiligabend 2020 draußen Gottesdienste geplant mit Abstand und mit Anwesenheitslisten. Die Gottesdienste planten wir in allen Ortschaften. Wenige Tage vorher haben wir dann doch wieder alles absagen müssen, weil sich die Vorschriften geändert hatten. Wenn man das bewertet: Die Einsicht in die notwendigen Maßnahmen war in der Regel vorhanden. Aber die Kurzfristigkeit, die kostete viel Energie und war Kräfte verschleißend. Für Kirchengemeinden wie Rahden war das ja auch die Geburtsstunde der Online-Gottesdienste. Wie werden die heute genutzt? Die Online-Gottesdienste haben sich verstetigt. Jeden Sonntag. Es gibt eine feste Gruppe von Menschen, die das nutzt. Und die Qualität der Aufnahmen in Rahden ist gut. Die Online-Gottesdienste sind eine Folge der Corona-Einschränkungen, für unsere Gemeinde aber mit guten Folgen. Zum Thema: Das passiert in dem Corona-Notfallzentrum der Mühlenkreiskliniken Was hat die Corona-Krise mit den Menschen gemacht? Aus meiner Sicht hat die Corona-Krise eine Dünnhäutigkeit bewirkt. Es gibt eine schnellere Reizbarkeit bei Konflikt-Themen. Das scheint mir eine Wirkung zu sein. Die Ursache liegt aus meiner Sicht auch darin, dass viele Maßnahmen beschlossen worden sind mit oft dominanter Begründung, deren Infragestellung kaum zugelassen wurde. Ein Beispiel: Wenn sich jemand nicht gegen Corona impfen lassen wollte, war er automatisch ein &bdquo;Corona-Leugner“. Aber manche Menschen hatten auch einfach nur Angst und Sorgen vor einer Impfung, die kurzfristig entwickelt worden war und deren Risiken nicht so erforscht waren wie bei anderen Impfungen. Dadurch entsteht schnell ein Schwarz-Weiß-Denken: pro oder contra, ja oder nein, richtig oder falsch. Das sieht man auch in den politischen Diskussionen unserer Tage. Es gibt bei vielen Themen polarisierende Haltungen, wo die Gegen-Positionen nicht mehr zueinanderfinden. Meinungsverschiedenheiten werden oft nicht mehr bearbeitet. Das nährt doch Unversöhnlichkeit, oder? Das nährt ein Freund-Feind-Denken. Das gefährdet sogar demokratische Meinungsbildungsprozesse. In unserer Gesellschaft wird zurzeit sehr stark polarisiert bei zahlreichen Themen. Das betrifft unter anderem die Themen Flüchtlinge und Migration, Umweltschutz, Energiewende und Industrie sowie die Landwirtschaft. Und wo nicht mehr diskutiert wird, da werden politisch die Ränder gestärkt. Welche Lehre sollte aus Ihrer Sicht aus der Corona-Krise gezogen werden? Mein Schlagwort ist immer, dass es nicht so viele eckige Tische geben sollte, sondern runde Tische. Runde Tische laden ein, auch zum Gespräch mit anderen Meinungen und Positionen. Was ist Ihre persönliche Bilanz fünf Jahre nach Corona-Ausbruch? Was macht das mit Ihnen? Positiv kann ich schätzen die Beziehung zu Familie, zu Freundschaften und auch zur Gemeinde. Die Zeit konnte auf der Beziehungsebene unbeschadet durchlebt werden. Ich spüre aber die Dünnhäutigkeit unserer Gesellschaft. Wir sind reizbarer geworden. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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